Spät, aber dafür umso herzlicher: Prosit Neujahr!!! Schon komisch, wie wir das immer so machen, dass wir rein stichtagsbezogen, das alte Jahr mit all den Dingen, die da so passiert sind, hinter uns lassen und voller Zuversicht (was die zukünftige Performance angeht, nicht unbedingt die Gesamtsituation ;-)) in die Zukunft blicken. Nun, auch wenn das letzte Mittwochsmail des Jahres 2022 sich durchaus mit den Dingen beschäftigt hat, die da heuer den Bach runter gehen können, wollen wir heute doch einen einigermaßen objektiven Blick auf die Situation werfen und uns fragen: Wird nun wirklich alles gut? :-)
Schauen wir uns zum Beispiel ein – zugegebenermaßen etwas hypothetisches – Portfolio an, das zu 50% aus dem Eurostoxx 50 und zu 50% aus 30-jährigen deutschen Staatsanleihen besteht. Da wären wir seit Jahresanfang rund sieben Prozent im Plus (auch natürlich, wenn wir 100% in dem einen oder 100% in dem anderen Asset gehabt hätten :-)), am Geldmarkt für die nächsten knapp 12 Monate würden wir in Euro schon irgendwo rund drei Prozent bekommen, macht in Summe mit ein bisserl Glück rund 10% Jahresperformance. Da gibt´s eigentlich nur eines: Bücher zu und ab in die Karibik. :-) Leider wird es den meisten von uns a) nicht gelungen sein, die ganze Performance bisher mitzunehmen und b) nicht vergönnt sein, so „aggressive“ Entscheidungen treffen zu können und hernach die Füße in den Sand zu stecken. Was also zwangsläufig folgen muss, ist eine Unzahl von Entscheidungen unter Unsicherheit, die – je nach Stimmungslage – zu einer gewissen Grundvolatilität führen.
Wie schon mehrfach festgestellt, ist aber das Opportunity Set heuer so groß wie zumindest die letzten zehn Jahre nicht mehr, weil endlich eines fehlt: Das bedingungslose Kommitment der Zentralbanken jeden wie auch immer gearteten individuellen oder systemischen Fehler zu sozialisieren und mit gedruckter Liquidität auszugleichen. Das wiederum muss zwangsläufig dazu führen, dass mittelfristig richtige Entscheidungen belohnt und Fehler bestraft werden. Ein bisserl schwierig wird´s unter Umständen deswegen, weil rund 50% (oder mehr? ;-)) der aktiven Marktteilnehmer noch nie in einem Umfeld steigender Zinsen operiert haben und – you can trust me, oder halt dem Powell ;-), on that – die Zinsen am Langen-Ende noch ein bisserl steigen werden müssen.
Warum sollen sie das tun? – Nun weil die Inflation zwar hüben wie drüben zurückkommen wird, aber nicht auf Pre-Covid Niveaus und weil die ganze Welt davon auszugehen scheint, dass wir in eine tiefe und prolongierte Rezession schlittern werden, was so aber nicht unbedingt stattfinden wird. Sollten wir – vor allem in den USA – tatsächlich mehrere Quartale mit einem effektiven Schrumpfen der Wirtschaft konfrontiert sein, dann wird das mit aller Wahrscheinlichkeit (wenn überhaupt) weniger stark ausfallen, als gemeinhin erwartet. Auch in Europa sind wir mit dem Gröbsten durch, weniger Gas wird´s kaum geben, Energiewende, Rüstungsindustrie und enger Arbeitsmarkt tun das ihrige, um das Werkl am Laufen zu halten. Die Wiedereröffnung Chinas hilft aktuell natürlich auch…
Bleibt also eigentlich nur ein echter Spielverderber: Die Politik. Politisches Chaos, Uneinigkeit und Korruption in Europa und Großbritannien (und vielen anderen nicht unwesentlichen Teilen der Welt ;-)), mittelplanbare Diktatoren in Russland und China und so Spielchen wie die im Sommer auftretende Debt-Ceiling in den USA, die sich immer trefflich dazu eignet, den Markt als Geisel zu nehmen, sind immer für echt blöde Entwicklungen gut. Hier steht den Damen und Herren ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung, es reicht von selbstinduzierter Handlungsunfähigkeit, über Invasionen, bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen. Wir sehen also: Die Tails sind durchaus fett, aber zum einen sind wir uns dieser durchaus gewahr und zum anderen sind es halt doch nur Tails. Halten wir uns also alle fest die Daumen! :-)
Wie passen – abseits von den potenziellen geopolitischen Katastrophen – die zum Teil immer noch recht hohen Bewertungen auf den (US)Aktienmärkten in dieses doch einigermaßen positive Basisszenario? Keine Ahnung! *lol* Möglicherweise ist es nach langer Zeit wieder soweit, jedes Unternehmen gesondert zu analysieren, Märkte, Management und Wachstumsperspektiven zu kennen und sein Kapital dort zu allokieren, wo langfristig Werte geschaffen werden und kurzfristige Volatilitäten hinzunehmen. Tatsächlich ist es mir als eher Anleihen-affinem Menschen sowieso höchst unklar, warum ein Unternehmen heute X wert sein soll und dann morgen 25% mehr oder weniger. Hausübungen machen, abwarten und Tee trinken… :-)
Also: Mutig in die neuen Zeiten, frei und gläubig sieh uns schreiten, arbeitsfroh und hoffnungsreich. :-)
Liebe Grüße
Florian
Florian Gröschl, Geschäftsführer und Miteigentümer der Absolute Return Consulting GmbH
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Florian Gröschls obiger Kommentar stellt eine Markteinschätzung aufgrund von selbstentwickelten Systemen und persönlichen Erfahrung dar. Keinesfalls ist obiger Kommentar eine Empfehlung oder Meinung der ARC und/oder Florian Gröschl, Positionen welcher Art auch immer einzugehen.