Schwarze Schwäne sind allgegenwärtig

Pünktlich zum Start in das Wochenende kommentiert der anerkannte Kapitalmarktexperte Dr. Josef Obergantschnig wöchentlich das Börsengeschehen aus erfrischend neuen Blickwinkeln. Markets | 17.03.2023 09:20 Uhr
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Financial Strategies GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Financial Strategies GmbH
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Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig:
Schwarze Schwäne sind allgegenwärtig

Schwarz ist eine interessante Farbe. Das Herzstück der Wiener Kaffeehäuser ist und bleibt ein kleiner Schwarzer. Der starke, schwarze Kaffee ohne Milch und Zucker lässt das Herz eines Espresso-Liebhabers höher schlagen. Unternehmen wiederum können rote und schwarze Zahlen schreiben. Auch in diesem Fall ist die Farbe schwarz positiv besetzt. Der Ursprung liegt in der fernen Vergangenheit, als negative Zahlen in roter Farbe geschrieben und damit herausgehoben wurden. Und dann gibt es noch die vielsagende Redewendung: Ich sehe schwarz! Als Börsianer kommt mir natürlich auch der 24. Oktober 1929 in den Sinn, der als Schwarzer Freitag in die Börsengeschichte eingegangen ist und als Auslöser der Großen Depression und der Weltwirtschaftskrise gilt. Und dann hätten wir auch noch den Schwarzen Schwan. An der Börse wird damit ein plötzliches, unerwartetes und sehr seltenes Ereignis beschrieben, welches große Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und den Finanzmarkt hat. Einzig in Bezug auf selten bin ich mir nicht sicher, ob der von Nassim Taleb geprägte Begriff nicht einmal überarbeitet werden sollte. An der Börse sind Schwarze Schwäne gefühlt allgegenwärtig.

In meinen ersten Berufsjahren habe ich beispielsweise 9/11 oder die Lehman-Pleite hautnah miterlebt. Beide Ereignisse fanden im September statt. Wen wundert es, dass bei mir jedes Jahr im September die Alarmglocken läuten. Bei einer genaueren Überlegung sollte ich das aber tunlichst überdenken. Im März 2020 erlebten wir den ersten Corona-Shutdown. Vor etwas mehr als einem Jahr ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Beide Ereignisse würde ich von ihrer Dimension auch als Schwarzer Schwan betrachten.

Und nun im März 2023 sorgt der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank für Aufsehen und setzt die Börsen vorübergehend in Schockstarre. Seit 2001 sind 563 US-Banken gescheitert. Die Pleite der Silicon Valley Bank dürfte ein bedrohliches Ausmaß annehmen. Der Kollaps war der größte seit der Finanzkrise 2008 und der zweitgrößte in der US-Geschichte überhaupt. Die Rating-Agentur Moody’s sieht sich bereits veranlasst, den Ausblick für den Bankensektor aufgrund der Vertrauenskrise von „stabil“ auf „negativ“ herabzustufen. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass viele Investorengesichter Sorgenfalten zieren.

Auch die europäische Credit Suisse (CS) kämpft dieser Tage mit Liquiditätsproblemen. Am Mittwoch brach die Aktie in der Spitze um 30% auf ein Allzeit-Tief ein. Auslöser war die Sorge, dass die Pleite der Silicon Valley Bank eine globale Schockwelle auslöst und die geschwächte schweizerische Traditionsbank Credit Suisse mit in den Abgrund reißt. In der Schweiz läuten die Alarmglocken. Die CS wird bis zu 50 Milliarden Euro von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aufnehmen, um ihre Liquidität zu stärken. Als Sicherheiten wird die Bank „erstklassige“ Vermögenswerte einbringen. Die Credit Suisse kämpft mit einer Vertrauenskrise und ist damit die erste global systemrelevante Bank seit der Finanzkrise, die maßgebliche Unterstützungsmaßnahmen erhält. Die Credit Suisse verarbeitet viele Skandale. Bankenchef Ulrich Körner lässt keinen Stein auf dem anderen und plant tiefgreifende Umstrukturierungen. Bleibt zu hoffen, dass die Alarmglocken bald wieder von den Kuhglocken abgelöst werden. 

Wie kam es überhaupt zu dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank? Die Bank ist im Silicon Valley, dem Mekka der Tech- und Start-up Branche, beheimatet. Die Bank hat sich darauf spezialisiert, Start-ups vor allem aus der Tech-Branche zu finanzieren. Durch den Tech-Boom in den 2010er Jahren sind die Einlagen von Unternehmen und deren Gründer exorbitant gestiegen. Und zwar so weit, dass die Summe der Einlagen die Summe der Kredite deutlich überragt hat. Die Bank hat daraufhin viel Geld in vermeintlich sichere Staatsanleihen investiert. Solange der Ertrag bei Staatsanleihen höher ist als die Zinsen, die die Bank den Sparern für ihre Einlage bezahlen muss, ist das ein rentables Geschäft. Im Vorjahr fand der Tech-Boom ein jähes Ende. Das führte zu einer Entlassungswelle und einer Reorganisation vieler Unternehmen. Die außer Kontrolle geratene Inflation hat zu steigenden Zinsen geführt, was wiederum zu einem beträchtlichen Wertverlust von Anleihen geführt hat. Die vermeintlich krisensichere Assetklasse erlebte 2022 ein Horrorjahr. Laut einer Studie von Professor Edward McQuarrie von der Santa Clara University war es für US-Anleiheninvestoren sogar das schlechteste Jahr aller Zeiten. Das will was heißen, denn seine Analysen gehen 250 Jahre zurück. Langlaufende US-Staatsanleihen verloren 2022 mit -29,3% mehr als der amerikanische Aktienmarkt mit -18,1%. Die unter Druck geratenen Tech-Unternehmen zogen systematisch ihre Einlagen von der Silicon Valley Bank ab. Um die Einlagen auszahlen zu können, musste die Bank Anleihen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt mit hohen Verlusten verkaufen. Das blieb nicht unbemerkt. Die Gerüchteküche brodelte. Aus Angst davor, ihr Geld nicht mehr zurückzubekommen, haben viele Unternehmen große Geldbeträge abgezogen. Nachdem an einem einzigen Tag ganze $42 Milliarden abgehoben wurden, kam es zu einer behördlichen Schließung der Bank. Die Pleite war damit besiegelt.

In diesem Umfeld bleibt die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank um weitere 0,50% nahezu ein „Randereignis“. Was können wir daraus lernen? Die Bank war branchenmäßig nicht ausreichend diversifiziert, da die Mehrzahl der Kunden aus dem Tech-Sektor stammt. Wenn dieser in Probleme gerät, hat das fatale Auswirkungen. Wie heißt es so schön: Diversifikation ist der einzige Free-Lunch! Darüber hinaus hat die Bank mit den Einlagen der Kunden „spekuliert“. Der sogenannte Leverage-Effekt hat sich in der Krise so richtig entfalten können. Auch hier habe ich eine alte Börsenweisheit zur Hand: Der Kredit ist der siamesische Zwilling der Spekulation! Ob die Pleite der Silicon Valley Bank auch als Schwarzer Schwan in die Geschichte eingehen wird, wage ich gegenwärtig noch zu bezweifeln. Für mich persönlich stellt sich die Frage, ob ich meine Grundnervosität von September künftig auf Februar/März verlagern sollte?

Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Financial Strategies GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist

Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Manangers. Mit seinem eigenen Unternehmen ist er mittlerweile im Consulting tätig und stellt darüber hinaus seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz für diverse Weiterbildungsangebote zur Verfügung.

Berater: www.diebildungsstelle.at

Privatanleger: www.ecobono.com

Aktuelle Bücher:
ECOBONO: Nachhaltigkeit im Wandel (story.one, 2022)
Jung - Alt - Tot. Was mich die Börse für mein Leben lehrte. (2021; story.one)
Tagebuch eines Börsianers – Corona Crash 2020 – Wie alles begann“ (2020; SCEN.Zeitwertverlag.ruhr)

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