Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig:
Frühjahrsputz und Lebensmittel-Gutscheine
Zu Wochenbeginn war irgendetwas anders. Das ist verwunderlich, denn mein Montagmorgen begann wie jeden anderen Tag im Jahr mit einem Espresso, während ich über die Börsen und das Weltgeschehen in aller Ruhe nachdenke. Ob das etwas damit zu tun hat, dass wir am Wochenende einen ordentlichen Frühjahrsputz gemacht und uns von einigen Dingen getrennt haben? Wohl eher nicht. Aber ein anderer Verlust macht mir irgendwie zu schaffen.
Die schweizerische Institution Credit Suisse wurde zu Grabe getragen. Ein Unternehmen, welches mich Zeit meines Berufslebens begleitet hat. Nicht immer im positiven Sinne. Es gab schließlich einige Skandale, die letztlich das Vertrauen der Kunden bis ins Mark erschüttert haben. Und ohne Vertrauen kann keine Bank überleben. Der große Bruder UBS musste in die Bresche springen und war bereit, das angeschlagene Institut für 3 Milliarden Schweizer Franken zu kaufen. Ob hier auch der Druck der Politik oder der SNB eine Rolle gespielt hat? Die Credit Suisse wurde ja als „Too-Big-To-Fail“ eingestuft. Für mich stellt sich die Frage, ob für das neue Institut eine Steigerungsform von „Too-Big-To-Fail“ eingeführt werden muss?
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was „Too-Big-Too-Fail“ überhaupt bedeutet?
Prinzipiell werden damit Unternehmen bezeichnet, deren Pleite gravierende Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben würde. Das Unternehmen ist schlicht und einfach zu groß und wirtschaftlich mit anderen Stakeholdern zu sehr vernetzt, um es in die Insolvenz gehen zu lassen. In diesem Fall eilt der Staat als Retter in der Not zu Hilfe. Auch wenn der Begriff auf die Finanzkrise 2008 infolge der Lehman-Pleite zurückgeht, liegt der Ursprung bereits in den 1980ern, als die Continental Illinois National Bank – immerhin die siebendgrößte Bank der USA – als „Too-Big-Too-Fail“ oder systemrelevant gerettet wurde.
Die G20-Länder – ein Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – haben den Finanzstabilitätsrat (FSB) eingerichtet, welcher seit 2011 jährlich eine Liste der systemrelevanten Banken publiziert. Ein Zusammenbruch dieser Banken hätte laut Einschätzung der Experten verheerende Folgen für das Finanzsystem, die Realwirtschaft und damit auch für Unternehmen und private Haushalte. Aus diesem Grund gelten für sie verschärfte Anforderungen. Systemrelevante Banken müssen z.B. einen größeren Kapitalpuffer haben, um gegen Krisen besser gewappnet zu sein. Auf der aktuellen Liste des FSB finden sich neben der UBS und der Credit Suisse noch 28 weitere Institute, wie z.B. JPMorgan Chase, die Bank of America, ING, die Deutsche Bank oder Barclays. Und jetzt ist es erstmals so, dass zwei dieser 30 systemrelevanten Banken miteinander fusionieren.
Die UBS und Credit Suisse verwalten Vermögen in der siebenfachen Höhe des Schweizer Brutto-Inlandsproduktes. Der größte Asset-Manager der Welt ist BlackRock mit einem verwalteten Vermögen von $9,5 Billionen vor Vanguard mit $8,1 Billionen. Durch den Zusammenschluss der beiden schweizerischen Großbanken kommt die „neue“ UBS auf ein verwaltetes Vermögen von $5,9 Billionen und schafft es damit auf das Podium der Top-3 Asset-Manager.
Kommen wir nun zu den Notenbanken, die in diesen Tagen vor der Herausforderung stehen, eine Bankenkrise abzuwenden und die hohen Inflationsraten einzufangen. Am Mittwoch dieser Woche hat der Präsident der US-Notenbank Jerome Powell eine weitere Zinserhöhung um 0,25% verkündet. Das ist bereits die neunte Zinsanhebung in Folge. Mit steigenden Leitzinsen setzt die Fed den Kampf gegen die Inflation fort. Das aber wiederum ist Gift für den in Trubel geratenen Bankensektor. Noch Anfang März hat Powell verdeutlicht, dass die amerikanische Notenbank bereit sei, das Tempo der Zinsschritte wieder zu erhöhen. Zur Erinnerung: Im Vorjahr wurden die Leitzinsen mehrmals um 0,75% angehoben. Durch den Kollaps mehrerer kleiner US-Banken hat Powell den Fuß aber augenscheinlich doch etwas vom Gas genommen.
Durch den Zinsanstieg werden Kredite für Unternehmen und Privatpersonen teurer. Dadurch ist davon auszugehen, dass weniger Geld für Investitionen und den privaten Konsum zur Verfügung stehen. In den USA trägt der Konsum der privaten Haushalte immerhin rund zwei Drittel zur Wirtschaftsleistung bei. Für einige US-Bürger ist die Situation schon ziemlich angespannt. 2022 waren 41 Millionen Menschen auf staatliche Lebensmittel-Hilfen angewiesen. Das sind immerhin 12% der Bevölkerung. Die Zahl ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Anfang des Jahrtausends waren es noch 17 Millionen oder 6% der Bevölkerung. Besorgniserregend empfinde ich auch, dass die Zahl der Lebensmittel-Gutscheinbezieher die Anzahl der Arbeitslosen von rund 6 Millionen deutlich übersteigt. Die USA ist anscheinend nicht nur das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern auch ein Land der „working poor“.
Kommen wir nach Europa. Auch die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat wieder einmal klar und deutlich kommuniziert, dass die EZB den Fokus auf der Preisstabilität hat und die Inflation auf mittlere Sicht wieder in Richtung 2%-Marke führen möchte. Nachdem das „nicht verhandelbar“ ist, würde es mich nicht verwundern, wenn weitere Zinserhöhungen ante-portas stehen.
Die Kapitalmärkte sind gut ins Jahr 2023 gestartet, in den letzten Wochen aber doch etwas unter Druck gekommen. Die Frage, ob an den Finanzmärkten auch ein Frühjahrsputz bevorsteht, kann ich Ihnen erst im Juni beantworten.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Financial Strategies GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Manangers. Mit seinem eigenen Unternehmen ist er mittlerweile im Consulting tätig und stellt darüber hinaus seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz für diverse Weiterbildungsangebote zur Verfügung.
Berater: www.diebildungsstelle.at
Privatanleger: www.ecobono.com
Aktuelle Bücher:
ECOBONO: Nachhaltigkeit im Wandel (story.one, 2022)
Jung - Alt - Tot. Was mich die Börse für mein Leben lehrte. (2021; story.one)
Tagebuch eines Börsianers – Corona Crash 2020 – Wie alles begann“ (2020; SCEN.Zeitwertverlag.ruhr)