Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Eine Bastion ist gefallen – oder nicht?
Passend zum Ferragosto – also die Zeit rund um den 15. August, in der die Büros in Italien wie leergefegt sind und in der sich Bürohengste im Schattenhüpfen auf den überfüllten Sandstränden üben - kann ich mich dazu bekennen, ein absoluter Italienliebhaber zu sein. Das hat viele Gründe. Dazu zählen Kultur, Land und Leute. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass mein geliebter Espresso im Land des "Dolce Vita" seinen Ursprung hat. Ich weiß es nicht.
Die drittgrößte Volkswirtschaft ist nach vorläufigen Zahlen der Statistikbehörde ISTAT im zweiten Quartal 2023 überraschend geschrumpft und setzt damit die Regierung Meloni gehörig unter Druck. Italien hat aber immer wieder mit chronisch leeren Staatskassen und einem ausgewaschenen Budgetdefizit zu kämpfen. Wen wundert es, dass sich die Staatsschulden Jahr für Jahr in die Höhe schrauben und mittlerweile ein Niveau von 144% des jährlichen Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht haben.
Mit dem Kapitalmarkt verbinde ich die Wallstreet und die USA. Der Ursprung – also die älteste Börse der Welt – liegt aber in Europa. Die Amsterdamer Börse wurde bereits 1602 gegründet, um den Aktienhandel der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) zu ermöglichen. Die VOC war eine der bedeutendsten Handelsgesellschaften seiner Zeit und betrieb den Handel mit Gewürzen von den Inseln des Indischen Ozeans. In seiner Blütephase war es zu einem der reichsten und mächtigsten Unternehmen aufgestiegen. Vor allem durch Missmanagement, Korruption nahm der Höhenflug aber ein jähes Ende und VOC musste knapp 200 Jahre nach ihrer Gründung aufgelöst werden.
Die älteste Börse der USA wurde 1790 – also 188 Jahre nach jener in Amsterdam – in Philadelphia gegründet. Zwei Jahre danach wurde der heutige Branchenprimus, die New York Stock Exchange (NYSE) gegründet. Wussten Sie eigentlich, dass die Wallstreet im 17. Jahrhundert eine befestigte Siedlung der niederländischen Kolonialmacht und weithin als „New Amsterdam“ bekannt war? Ganz in der Nähe der Siedlung war eine hölzerne Verteidigungsmauer, die das Gebiet vor feindlichen Angriffen schützen sollte und „Wall Street“ genannt wurde.
Diese Woche hat aber selbst die „Wall Street“ keinen Schutz geboten. Die Rating-Agentur Fitch hat der USA die Bestnote AAA entzogen. Im Anschluss notierten die Börsen im tiefroten Bereich. Nach S&P, die die USA bereits 2011 herabgestuft haben, ist das bereits die zweite große Rating-Agentur, die der Kreditwürdigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt keine blütenweiße Weste mehr attestiert. Mit Australien, Dänemark, Deutschland, Luxemburg, Norwegen, den Niederlanden und der Schweiz gibt es nur mehr sieben Länder, die sowohl bei S&P, Moody’s als auch Fitch mit der Best-Note „Triple-A“ bewertet werden. Österreich wird von allen drei Rating-Agenturen mit einer Stufe unter der Bestnote gelistet.
Warum ist es nun zu einem Downgrade gekommen? Auch die USA kämpft mit einem großen Budgetdefizit und mit stetig steigenden Schulden, die mittlerweile auf 129% in Relation zum BIP gestiegen sind. Das ist zwar noch nicht ganz auf dem Niveau Italiens, aber nichtsdestotrotz auf einem schwindelerregend hohen Niveau. Und bis zum BBB-Rating Italiens geht es noch einige Stufen der Rating-Leiter hinunter. Die Finanzministerin und ehemalige Fed-Präsidentin kritisierte die Herabstufung scharf und hält die Entscheidung für willkürlich. Die USA habe sich schließlich rasch von der Corona-Rezession erholt, die Arbeitslosenquote befinde sich auf einem Jahrhunderttief und der Wirtschaftsmotor scheint so langsam wieder an Fahrt aufzunehmen.
Bei aller Aufregung darf man aber auch nicht vergessen, dass die gesamte Rating-Leiter in Summe 23 Stufen hat. Und die USA befindet sich immer noch auf Stufe 22!
Um das Ausmaß der Verschuldung zu veranschaulichen, erlauben Sie mir noch ein kleines Gedankenspiel. Das profitabelste Unternehmen der Welt ist Apple, welches im Vorjahr knappe 100 Milliarden US-Dollar verdient hat. Die USA hat mittlerweile einen Schuldenberg von knapp über 32 Billionen US-Dollar. Apple müsste also die Gewinne von 320 Jahren aufwenden, um den Schuldenberg abzutragen. Und vor 320 Jahren schrieben wir das Jahr 1703. Damals gründete Zar Peter der Große St. Petersburg als neue Hauptstadt des russischen Reiches, in England wurde die Sklaverei verboten und mit dem „The Boston News-Letter“ nahm die erste regelmäßige Zeitung in Nordamerika ihren Betrieb auf. Apple ist darüber hinaus auch noch das wertvollste Unternehmen der Welt und an der Börse mit über 3 Billionen US-Dollar bewertet. Ach ja – in diesem Zusammenhang ist es vielleicht auch noch erwähnenswert, dass es 1703 noch 87 Jahre dauern sollte, bis die erste Börse in den USA ihre Pforten öffnete.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at