Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Pleiten, Klassentreffen und ein Glas Wein!
Dieses Wochenende treffen sich die Notenbanker mit Rang und Namen in Jackson Hole, einem Tal in den Rocky Mountains im US-Bundesstaat Wyoming. Das wirtschaftspolitische Symposium wird heuer zum 46. Mal ausgerichtet. In den nächsten Tagen werde ich bei meinem morgendlichen Espresso „digitale“ Höhenluft schnuppern. Schließlich liegt das Tal auf rund 2.000 Metern. Das Motto der diesjährigen Veranstaltung, die seit 1981 ununterbrochen in Jackson Hole stattfindet, ist „Strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft.“ Im Fokus stehen auch die Kapitalmärkte, die aufgrund von Inflationssorgen sowie Rezessionsängsten doch gehörig unter Druck geraten sind. Traditionellerweise nutzen Währungshüter die Veranstaltung auch, um ihre längerfristigen Perspektiven und Einschätzungen den Finanzmarktakteuren darzulegen. Die Investorenschar wird an den Lippen von Fed-Präsident Jerome Powell oder EZB-Präsidentin Christine Lagarde kleben, um vielleicht doch den einen oder anderen Hinweis darüber zu erhalten, ob sich der historische Zinsanhebungszyklus schon bald dem Ende zuneigen wird.
Dieser Tage kommen vor allem die Zinsmärkte gehörig unter Druck. Finanzunternehmen rund um den Globus haben heuer bereits Anleihen im Wert von über $2 Billionen abverkauft. Das ist enorm und auch historisch betrachtetet ein absoluter Rekordwert. Grund dafür sind steigende Zinsen der Notenbanken. Diese Entwicklung treibt die Finanzierungskosten der Banken stark in die Höhe. Und das wiederum ist für viele Finanzinstitute der Auslöser, sich von ihren Anleihenpositionen zu trennen und mit dem Verkaufserlös ihre Außenstände bei der EZB, Fed oder einer anderen Notenbank zurückzubezahlen. In den letzten Jahren haben Notenbanken im Zuge ihrer expansiven Notenbankpolitik auch Anleihenbestände in Billionenhöhe vom Markt aufgekauft, um damit das Zinsniveau künstlich tief zu halten. Im Zuge der Inflationsbekämpfung wurde diese Strategie aber über Bord geworfen. Insofern fehlen auf der anderen Seite die Käufer. Und genau das führt dazu, dass die Marktpreise für Anleihen sinken und die Renditen steigen.
Aufgrund der abnehmenden Wirtschaftsdynamik und der stark steigenden Finanzierungskosten wird das Umfeld auch für Unternehmen zusehends rauer. Im heurigen Jahr schlitterten bereits mehr als 400 Emittenten von Unternehmensanleihen in die Insolvenz. Damit sind heuer bereits annähernd so viele Pleiten zu verzeichnen wie in den Jahren 2022 und 2021 zusammen! Wen wundert's? Beruhigend für Investoren von Unternehmensanleihen ist, dass laut einer Analyse der Rating-Agentur S&P rund 72% der ausstehenden Anleihen mit einer Fixzinsvereinbarung ausgestattet und im günstigen Umfeld der Niedrigzinsphase auch die Finanzierungsdauer deutlich gestreckt wurde. Die höheren Zinsen schlagen sich damit für einen Großteil nicht sofort sondern erst schleichend im Zuge einer Neufinanzierung in höheren Zinsausgaben nieder.
Kommen wir nun zu den Aktienmärkten. Der etwas ins Stocken geratene Aufwärtstrend wird vor allem von den großen Tech-Aktien angetrieben. Es fehlt dem Aufschwung allerdings doch etwas die Breite. Von den im globalen Aktienindex MSCI ACWI gewichteten Unternehmen liegt jedes zweite noch unter dem Vor-Corona-Höchstständen. Liegt es daran, dass wir uns inmitten einer Tech-Blase befinden oder dass gerade die von der Börse geliebten Unternehmen aufgrund ihres technologischen Fortschritts und ihres Geschäftsmodells die Gewinner des Transformationsprozesses sind? Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Fakt aber ist, dass diese Fragestellung polarisiert und einen Richtungsstreit zwischen Investorengruppen ausgelöst hat.
Abschließend möchte ich mich als Espresso-Liebhaber dem Wein zuwenden. In den vergangenen 20 Jahren ist die globale Weinproduktion mit 240 Millionen Hektolitern relativ konstant geblieben. Wussten Sie, dass Italien vor Frankreich und Spanien etwas mehr als 50% der globalen Weinproduktion für sich vereinnahmen? Dahinter folgen mit deutlichem Respektabstand die USA und Australien. Deutschland rangiert mit 3,5% auf Rang 9, Österreich mit 1,0% auf Rang 17. Mit einem Marktanteil von 19,3% kommt nahezu jede fünfte Flasche aus „Bella Italia“. Für einen Italienliebhaber beginnt ein guter Tag mit einem Espresso und endet mit einem Glas Rotwein. Als Steirer kann ich dem durchaus etwas abgewinnen, wobei ich persönlich an einem lauen Augustabend doch einen steirischen Weißwein bevorzuge. Vielleicht hätte ich doch ein paar Flaschen nach Jackson Hole schicken sollen? Auch wenn Christine und Jerome bei ihren Klassentreffen auf knapp 2.000 Meter keinen lauen Sommerabend erleben werden, würde ihnen vermutlich etwas Entspannung auch nicht schaden.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at