Die EZB prüft die Möglichkeit der Einführung eines digitalen Euros. Erhofft wird davon bessere Effizienz, mehr Sicherheit des Zahlungsverkehrs, ja sogar positive Wohlstandseffekte, und mehr Unabhängigkeit von ausländischen Zahlungssystemen.
Zumindest letzteres ist, um einem alten Dichterwort zu folgen, ein „Ziel, aufs innigste zu wünschen“. Fast zwei Drittel der elektronischen Zahlungen im Handel in Europa erfolgen über Mastercard oder Visa – und zu deren Konditionen. Bei jeder einzelnen PayPal Transaktion rechnet man übrigens mit bereits 600 Trackern. Die Einseitigkeit der Zahlungen aus der EU in die USA unter den Titel Lizenzen oder Copyrights oder Streaming und noch anderem mehr an US -Firmen ähnelt immer mehr einem Zustand nahe der Ausbeutung.
Zu den Wohlstandseffekten gibt es eine auf der Homepage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich publizierte Studie „CBDC Policies in Open Economies“, die – theoretische - positive Effekte ausweist. So sollten etwa Central Bank Digital Currencies auf Grund ihres „Bequemlichkeitsgewinnes“ einen niedrigeren Zinssatz ausweisen, was wiederum zu geringeren staatlichen Zinsausgaben und deshalb zu niedrigeren Steuern führen. Das sind Annahmen, über die man wohl streiten könnte.
Konkreter lässt sich bei der Technik argumentieren. Zunächst einmal ist zwischen Systemarchitektur und Benutzeroberfläche zu unterscheiden. Letztere ist bereits bei heutigen Zahlungssystemen so gestaltet, dass sie durch eine digitale Währung schwerlich weiter zu verbessern ist. Man kann heute schon mit dem Handy zahlen, wird vielleicht morgen über einen Iris – Scanner zahlen können oder mit Finderabdruck oder wie immer. Und Überweisungen dauern bei der heutigen Technologie gerade einmal einen Tag und könnten übrigens – wenn man den Banken den Vorteil unterschiedlicher Valutatage wegnehmen will – auch noch schneller abgewickelt werden. In beiden Fällen könnte schon auf Basis heutiger Technologie das erreicht werden, was von einem digitalen Euro erwartet wird.
Und auch wenn man sich mit der beabsichtigten Systemarchitektur näher auseinandersetzt, zeigen sich einige der behaupteten Vorteile als übertrieben, und tauchen außerdem nicht geringe Probleme auf.
Die kritischen Fragen sind schließlich die nach Zuverlässigkeit und nach Sicherheit. Und für beides spielen die fundamentalen Unterschiede zwischen den heutigen kontenbasierten Zahlungssystemen und einem Zahlungssystem auf Basis der Blockchain-Technologie, wie sie erstmals bei der Schaffung von Bitcoin angewendet worden ist, eine große Rolle.
Bei jedem Zahlungssystem, das über den Einsatz von Bargeld hinausgeht, ist die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Dokumentation entscheidend. Man muss jederzeit nachweisen können, wer was wem gezahlt hat. Das wird in der Praxis des gegenwärtigen Bankensystems dadurch erreicht, dass alle Beteiligten ein Konto führen, bei dem die Berechtigten genau definiert sind. Auch jede einzelne Überweisung wird buchhalterisch festgehalten. Jedes Detail kann so im Streitfall rekonstruiert werden
Nun hatte die Schaffung von Bitcoin, dem ersten reinen Krypto Asset, anspruchsvolle Ziele, nicht zuletzt unter dem Titel der Demokratisierung die völlige Unabhängigkeit von staatlicher Kontrolle, und damit die Durchführung von Transaktionen unter Wahrung von Anonymität.
Aber dann kann man ja nicht auf Konten verweisen, die Inhabern zugeordnet werden können, sondern man muss ohne eine solche Zuordnung nachweisen können, dass man selber und niemand sonst eine bestimmte Transaktion durchgeführt hat. Genau das leistet die sogenannte Blockchain-Technologie. Sie speichert nicht Kontendaten, sondern eine immer länger und damit praktisch endlos werdende Kette von Transaktionen – eben die sogenannte chain. Der Nachweis, dass eine bestimmte Transaktion von einem bestimmten „peer“ veranlasst wurde, ist nur mit Hilfe sogenannter Hash – Funktionen möglich. Die sind inhaltlich (und übrigens auch vom damit verbundenen Energieverbrauch her) ziemlich aufwendig, denn sie erfordern leistungsfähige Verschlüsselungstechniken.
Jeder kann zwar Bitcoins kaufen und verkaufen wie jede andere Ware, aber Transaktionen mit Bitcoin sind eher umständlich. Das hatte zunächst unerwartete Nebenwirkungen. Wegen der dabei möglichen Anonymität der Geldempfänger ist es bereits zum Standard geworden, Erpressungsgelder in Bitcoins einzufordern.
Daraus allein schon ergibt sich ein erstes Problem. Die EZB als oberste Währungsbehörde wird kaum die zu kriminellen Missbrauch geradezu einladende Anonymität fördern wollen. Will man Anonymität zur Sicherung gegen illegale Transaktionen vermeiden, dann kommt man um die Entscheidung, welche Daten auch für Behörden zugänglich sein sollen und welche nicht, bei einem digitalen Euro nicht herum. Nachträgliches Löschen ist keine Lösung, wenn es z.B. allein schon aus Beweisgründen notwendig werden sollte, Transaktionen zu rekonstruieren.
Aber es geht ja noch um etwas ganz anderes. Verschlüsselungstechnologien werden immer rechenaufwendiger, und bei digitalen Transaktionen auch immer energieaufwendiger. Es gibt zwar ganz einfache Verschlüsselungstechniken, die absolut unlösbar sind, und die stehen in jedem besseren Lehrbuch für Kryptologie. Aber die erfordern, dass der Schlüssel mächtiger, also umfangreicher ist als die Summe aller zu verschlüsselnden Zeichen, und das ist bei einem Zahlungssystem für Viele völlig unmöglich. Die kritische Frage ist vielmehr, wie weit selbst die aufwendigsten Verschlüsselungstechnologien sicher bleiben können, wenn leistungsfähige Quantencomputer, die um Potenzen schneller rechnen können als heutige Computer, einmal wirklich zur Verfügung stehen, und zusätzlich jeder beliebige Hacker Artificial Intelligence nutzen wird, um die Strukturen der jeweiligen Verschlüsselung kennen zu lernen. Schon heute sind nordkoreanische Hacker höchst erfolgreich damit, durch Einbrüche in Wallets substanzielle Beiträge zum nordkoreanischen Budget zu liefern. Besonders erfolgreich sind sie derzeit beim Hacken von Transaktionen von einer Kryptowährung in eine andere, und der gewünschte beliebige Wechsel zwischen traditionellem und digitalem Euro wäre einer derartigen Transaktion schon sehr ähnlich.
In den Überlegungen rund um den digitalen Euro geht es auch um das Thema, ob man nur Online- oder auch Offline-Transaktionen möglich machen soll. Das erfordert eine hohe Flexibilität der Systemarchitektur, erhöht aber nicht die Sicherheit. Das Risiko wird nur aus einem Hackerrisiko zu einem Verlustrisiko der Daten, deren Rekonstruktion dann über das System, von dem man sich ja offline abgekoppelt hat, nicht mehr möglich ist.
Eine weitere kritische Frage ist, wer die Wallets – oder die Konten, wenn man dabei bleiben will – der einzelnen Teilnehmer am System führen soll. Sind das die einzelnen Banken, dann erreicht man wenig mehr als eine Verdoppelung des Aufwandes für heutige Zahlungssysteme. Wenn das dagegen eine einzige Institution sein soll, dann ist diese mit einer einzigartigen Machtfülle ausgestattet, sodass eigentlich nur die EZB selbst dafür in Betracht kommt. Dann nimmt sie aber den Geschäftsbanken einen nicht zu unterschätzenden Teil ihrer Einlagen weg. Man kann nur nicht in der Praxis der Geldpolitik von den Banken immer höhere Kapitalpolster zur Abdeckung von Risken verlangen und ihnen zugleich immer mehr Geschäft abnehmen.
Und noch mehr: Die Banken haben, was in der Diskussion bisher scheinbar zu kurz gekommen ist, auch die wichtige Aufgabe der Fristen- und Riskentransformation, die Umwandlung von Einlagen in Kredite und Eigenkapital der Wirtschaft. Die Fristentransformation ist ohnedies schon wesentlich heikler geworden, seit Einleger auch im bloßen Verdachtsfall mit einem Mausklick in kürzester Zeit enorme Einlagen abziehen können, wie das bekannte Schweizer Beispiel vor kurzem gezeigt hat. Und will man nunmehr auch die Riskentransformation erschweren? Im Falle von Kapitalmärkten, die gegenüber amerikanischen Märkten so unterentwickelt sind wie es der europäische Kapitalmarkt (und übrigens der österreichische im Besonderen) nun einmal ist, fehlt Jede Einlage, die den Banken fehlt, früher oder später auch der Wirtschaft. Das ließe sich durch ein niedriges Limit für das Halten von digitalem Euro abmildern, aber das schränkt wieder die Brauchbarkeit ein.
Darüber hinaus sind auch schon die gängigen Risken einer weitgehenden Zentralisierung des Zahlungsverkehrssystems enorm. Die Royal Bank of Canada hat eine ausführliche Studie zu den Vorteilen und Nachteilen einer einheitlichen digitalen und zentral verwalteten Währung veröffentlicht und verkennt nicht die Vorteile. Aber sie weist auf das Risiko hin, dass ein einziger erfolgreicher Hacker – Angriff oder auch nur ein bloß fehlgegangenes Update den gesamten Zahlungsverkehr eines Landes ins Chaos stürzen könnte. Nur ist die Gefahr ja noch viel größer: Die Befürchtung, die bisher nur als Einzelmeinung gelegentlich auftaucht, in Zeiten eines beginnenden faktischen Cyberkriegs zwischen verschiedenen Staaten und mit der Aussicht auf Artificial Intelligence und auf Quantencomputer, beide mit ungeheuer gesteigertem Leistungsvermögen, könnten so ziemlich alle Verschlüsselungssysteme und damit auch alle Blockchainsysteme geknackt werden, ergibt sich doch eigentlich allein schon aus der logischen Struktur solcher Systeme. Allein das sollte ein wichtiger zusätzlicher Grund sein, mit einem einheitlichen digitalen Zahlungssystem mehr als vorsichtig zu sein.
Und wenn man den digitalen Euro wirklich unbedingt zu brauchen glaubt, dann wäre es doch klüger, gleich einen Stablecoin einzuführen, der an den Wert des Euro gebunden ist. Die EZB kann so einen Stablecoin besser garantieren als jede andere, und wer glaubt davon welch wunderbare Vorteile zu haben, arbeitet damit, und wer mit dem bisherigen Zahlungssystem zufrieden ist, bleibt eben in diesem System.
Von Dr. Manfred Drennig, Geschäftsführender Gesellschafter der PRIVATCONSULT Vermögensverwaltung GmbH
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