Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig: Ein Billionensprint und das abrupte Ende eines Sommermärchens
Diese Woche ist es leider passiert. Die österreichische Nationalmannschaft ist bei der Fußballeuropameisterschaft gegen ein sich aufopferndes türkisches Team ausgeschieden. Das österreichische Sommermärchen ist geplatzt; anstelle von Euphorie herrscht am Tag danach Katzenjammer. Zu sicher war man sich hierzulande, erstmals in der österreichischen Geschichte ins Viertelfinale einzuziehen. Nicht einmal mein morgendlicher Espresso mag mir am Tag danach neue Lebensenergie einzuhauchen.
An den Aktienmärkten herrscht hingegen Euphorie. Diese Woche hat der S&P 500 erstmals in seiner Geschichte über 5.500 Punkten geschlossen und damit die atemberaubende Rallye fortgesetzt. Es war das 32. „neue“ All-Time-High in diesem Jahr. Auch die Technologiebörse Nasdaq-100 ließ sich nicht lumpen und konnte erstmals die 20.000er-Hürde überspringen. Seit dem Tiefstand im Oktober 2022 ist der Börsenwert der S&P 500 Unternehmen um mehr als 16 Billionen US-Dollar gestiegen. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der vierfachen jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands oder etwas mehr als dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands.
In diesem Umfeld ist es nicht verwunderlich, dass die Wall-Street-Analysten ihre Kursziele stetig nach oben revidieren müssen. Nicht nur der eine oder andere Fußballfan lag bei seiner Prognose falsch. Auch Finanzexperten kann es einmal auf den falschen Fuß erwischen. JPMorgan’s Marko Kolanovic, Chefstratege für Globale Märkte, blickt auf zwei katastrophale Jahre zurück. Im Jahr 2022 war er noch bullish und prognostizierte steigende Aktienkurse. Der S&P 500 verlor aber 19% an Wert. Daraufhin wurde auch er pessimistisch und prognostizierte weiterhin fallende Kurse. Auch für 2024 stach er mit seiner negativen Prognose heraus. Seiner Einschätzung nach wird der S&P 500 zum Jahresende bei 4.200 Punkten stehen. Um sein Kursziel noch zu erreichen, müsste der amerikanische Aktienmarkt im zweiten Halbjahr um rund 25% einbrechen. Und das erscheint gegenwärtig als äußerst unwahrscheinlich. Seit 2022 lag JP Morgan mit seiner Einschätzung damit kontinuierlich falsch. Diese Woche hat die Bank in einem internen Memo angekündigt, dass Marko Kolanovic das Unternehmen verlassen wird. Für mich ist das wieder einmal ein Beweis dafür, dass selbst außergewöhnliche Börsenexperten mit ihrer Einschätzung grundlegend falsch liegen können. Gerade in einer komplexen Welt mit vielen internationalen Verstrickungen und unzähligen thematischen Verzahnungen ist es unmöglich, die Zukunft vorherzusehen. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass eine Pandemie die Welt lahmlegen würde? Oder wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass wir zweistellige Inflationsraten und rasant steigende Zinsen erleben werden? Auslöser und Brandbeschleuniger war bekanntlich der Russland-Ukraine-Konflikt.
Kommen wir noch zu Nvidia, dem aktuellen Börsenliebling Nummer eins. Im Juni 2023 konnte die Marktkapitalisierung erstmals die 1-Billion-Dollar-Schwelle überschreiten. Das Unternehmen hat nur 262 Tage benötigt, um die 2-Billionen-Dollar-Schwelle zu erklimmen. Und das wiederum entspricht einer Kursverdoppelung. Weitere 96 Tage waren nötig, um die nächste Billionenhürde zu überspringen. Der Sprung von 2 auf 3 Billionen Dollar entspricht immerhin auch noch einer Performance von 50%. Aktuell sind neben Nvidia noch Microsoft und Apple mit mehr als 3 Billionen Dollar bewertet. Die beiden Börsengiganten gingen es aber vergleichsweise „langsam“ an. Für den Sprung von einer auf zwei Billionen Dollar benötigte Apple 749 Tage bzw. Microsoft 786 Tage. Und für das Erklimmen der 3-Billionen-Schwelle 1.044 bzw. 945 Tage. Diese Zahlen verdeutlichen das enorme Potenzial, das im KI-Bereich schlummert – oder zumindest das, was die Investoren darin sehen.
Wir leben in absolut unsicheren Zeiten, so viel scheint klar. Aber war die Zukunft nicht immer ungewiss? Als Aktieninvestor kommt es nicht darauf an, den Indexstand per Jahresende möglichst punktgenau zu prognostizieren. An den Märkten pendelt die Stimmung zwischen Euphorie und Depression. Die Wahrheit liegt bekanntlich oftmals in der Mitte. Mit einem Aktieninvestment kann jeder von uns am internationalen Wirtschaftsgeschehen teilhaben. Bei einer langfristigen Veranlagungsdauer werden wir sehr gute, aber auch sehr schlechte Phasen erleben. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass der Investor langfristig auch dafür belohnt wird. Die Kunst ist es nur, einen langen Atem zu haben und nicht bei stürmischer See alles panisch über Bord zu werfen. Das mag in der Theorie einfach klingen, aber glauben Sie mir, liebe Leserin und lieber Leser, in der Praxis ist das aber extrem schwer durchzuhalten.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at