Regulatory Corner | Capital Markets Union (CMU) – ein wenig Klartext zu einem offenbar missverständlichen Akronym

Markets | 09.08.2024 10:50 Uhr
e-fundresearch.com Gastautor Prof. (FH) Dr. Armin Kammel, LL.M., MBA, Managing Director der FS&R Excellence GmbH (in cooperation with DLA Piper Austria) / © e-fundresearch.com / FS&R Excellence GmbH (in cooperation with DLA Piper Austria)
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Regulatory Corner Kompakt auf den Punkt – Gedankenanstoß und Orientierungshilfe

verfasst von e-fundresearch.com Gastautor Prof. (FH) Dr. Armin Kammel, LL.M., MBA, Managing Director der FS&R Excellence GmbH (in cooperation with DLA Piper Austria).

Das Jahr 2024 war unter anderem geprägt von EU-Themen: Wahlkampf, Erweiterungsfragen, neue/alte Kommissionspräsidentin, Wettbewerbsfähigkeit der EU und natürlich wer als österreichischer Kommissar nominiert wird. Obwohl diese kursorisch aufgezählten Themen auf den ersten Blick wenig Gemeinsames haben, findet sich doch ein verbindendes Element und zwar jenes der wirtschaftlichen Zukunft der EU. Sieht man sich Wirtschaftsdaten an, dann gibt es berechtigte Sorge, da die Europäische Kommission in der vergangenen Legislaturperiode wirtschafts- und wettbewerbspolitisch dem mittlerweile klischeehaften Motto „America innovates, China replicates, Europe regulates“ gefolgt ist. Dies bedeutet nicht, dass Regulierung per se negativ konnotiert ist, denn Regulierung kann auch positive wirtschafts- und wettbewerbspolitische Auswirkungen haben – wenn es richtig gemacht wird. Grundsätzlich sollte man in der EU wissen, wie es geht: das OGAW-Rahmenwerk ist seit dem Jahr 1985 eine Erfolgsgeschichte und hat dazu beigetragen, die EU-Investmentfondsindustrie auch global zu etablieren und EU-Regulierungsmaßnahmen wurden sogar von Drittstaaten übernommen. Auch das vielgescholtene EMIR-Rahmenwerk setzte international Regulierungsstandards, während durch komplexe Überregulierung der gut intendierte European Green Deal wirtschaftlich zu einem Bumerang wurde. 

Ein Regulierungsdossier, das an sich die Voraussetzungen für eine EU-Erfolgsgeschichte hätte, schaffte heuer wieder verstärkt in die politische Diskussion: die Kapitalmarktunion oder bekannter als Capital Markets Union (CMU). Die Idee einer CMU wurde mit dem am 30.9.2015 veröffentlichten „Action Plan for a Capital Markets Union“ publik, die nach den Worten des damaligen (britischen) Kommissars Jonathan Hill intendiert ist „to create the right conditions for more funding to flow from Europe’s savers to Europe’s businesses.“ Das Dossier CMU fußte ursprünglich auf sechs Säulen, und zwar a) Finanzierung von Innovation, Start-Ups und nicht-börsenotierten Gesellschaften; b) Maßnahmen, die den Zugang zu Kapital und Kapitalmärkten für Gesellschaften erleichtern sollen; c) Investitionen in langfristige Infrastruktur und Sustainable Finance; d) Maßnahmen zur Stärkung von Retail- und institutionellen Investments; e) STS-Verbriefungen sowie f) die Vereinfachung von grenzüberschreitenden Investments. 

Die genannten Säulen waren – man bedenke das Jahr 2015 –eine zukunftsorientierte Vision als Reaktion auf die globale Finanzkrise (GFC) 2007/8, da man erkannte, dass die Stärke und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft vor allem durch einen starken Kapitalmarkt bedingt ist. Durch politische Querelen und den Brexit nahm das Regulierungsdossier CMU jedoch nie richtig Fahrt auf, obwohl Teile der 6-Säulen-Struktur, man denke an STS-Verbriefungen, ELTIF 2.0 sowie Sustainable Finance – teilweise und in anderen Dossiers realisiert wurden.

Erst heuer, im Jahr 2024 mit 9-jähriger Verspätung, nahm das Thema CMU wieder Fahrt auf. Politische Schwergewichte wie Enrico Letta in seinem umfassenden Bericht zum Binnenmarkt1, Mario Draghi, aber auch das deutsch-französische Duo Emmanuel Macron & Olaf Scholz trugen dazu bei, dass das Regulierungsdossier CMU wohl einen neuen politischen Anlauf nimmt. Dies ist nicht nur begrüßenswert, sondern auch notwendig, doch wie kann eine CMU im quasi zweiten Anlauf erfolgreich sein?2

Obwohl die Gefahr groß ist, dass die CMU politisch wieder zerredet wird oder Partikularinteressen das große Ganze in den Hintergrund rücken, sollte die neue Europäische Kommission eine ambitionierte CMU-Agenda vorlegen, die die wirklich großen Themen adressiert: 

  • Harmonisierung der nationalen Kapitalmarkt- sowie Steuer- und Insolvenzrechtsvorschriften: Die nationalen Kapitalmarktrechtsvorschriften sind zwar in vielen Bereichen harmonisiert, jedoch gibt es immer noch schwer zugängliche Kapitalmärkte in einzelnen Mitgliedsstaaten bzw. nationale Bevorzugungspraktiken. Da das Steuerrecht im Rahmen von EU-Finanzmarktregulierungen meist unberührt bleibt, da die Steuerkompetenz primär bei den Mitgliedstaaten liegt, bedarf es massiver Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich. Ähnliches gilt für das Insolvenzrecht, wo schon einheitliche Definitionen einen Fortschritt darstellen würden.
  • Etablierung eines Single Rulebook für den EU-Kapitalmarkt, als Pendant zur Bankenunion: Trotz viel Skepsis und Widerstand wurde die Bankenunion durchgeboxt, was wohl der Schockstarre nach der GFC 2007/8 geschuldet war. Sie ist nicht perfekt, aber funktioniert und deshalb ist es höchste Zeit, ein entsprechendes Pendant für den EU-Kapitalmarkt zu schaffen, sodass problematische nationale Aufsichtspraktiken hintangestellt werden und wirklich einheitliche Regelungen und Aufsichtsmaßnahmen für alle gelten.
  • Reform der ESAs: Obwohl EU-Aufsichtsreformen alle Jahre aufs Tableau kommen, bedarf es für eine erfolgreiche CMU einer nachhaltigen Reform der ESAs. Dies sollte zu einer Stärkung von ESMA führen, da ESMA nachweislich die entsprechende Kapitalmarktkompetenz hat. Zudem sollte man die EBA abschaffen, da sie einerseits keine Institutionen direkt beaufsichtigt und andererseits mit „Bankenregulierung“ kontraproduktiv und realitätsfern auf Kapitalmarktfragen einwirkt. Es scheint offensichtlich zu sein, dass eine neue EU-Finanzmarktaufsichtsarchitektur bestehend aus EZB, ESMA, EIOPA sowie dem ESRB vollkommen ausreichend ist.
  • Incentivierung von Investitionen am EU-Kapitalmarkt: Um einen funktionierenden, nachhaltigen EU-Kapitalmarkt zu schaffen, bedarf es nicht nur regulatorischer Maßnahmen, sondern auch einer „Kapitalmarktkultur“. Dazu bedarf es Incentivierungen im Bereich Finanzbildung, steuerlicher Anreize sowie vertrauensbildender Maßnahmen, wie einfache und tatsächliche  Anlegerinformation sowie funktionierende Sicherungseinrichtungen.

Angesichts dieser Überlegungen wäre es an der Zeit Klartext zu reden, um eine vollständige Kapitalmarktunion zu realisieren. Das Timing ist günstig, die neue EU-Kommission muss Erfolge liefern, der globale Wettbewerb wird härter und nur mit einer starken, funktionierenden und harmonisierten Kapitalmarktunion wird die EU auch in Zeiten globaler makropolitischer Herausforderungen wirtschaftliche Stärke zeigen können.

Über den Autor

Prof. (FH) Dr. Armin Kammel, LL.M., MBA ist Professor (FH) für Bankrecht und Finanzmarktregulierung an der Lauder Business School (LBS) in Wien sowie Managing Director der FS&R Excellence GmbH (in cooperation with DLA Piper Austria). 

Prof. (FH) Dr. Armin Kammel ist zudem allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger im Fachbereich Kredit, Banken, Börsen sowie Autor zahlreicher Publikationen zu bank-, kapitalmarkt- und wirtschaftsrechtlichen Themen im In- und Ausland.

1 Siehe dazu https://www.consilium.europa.eu/media/ny3j24sm/much-more-than-a-market-report-by-enrico-letta.pdf

2 Empfehlenswert dazu sind auch die Gedanken von Johannes Lindner und Sebastian Mack im Policy Brief der Hertje School, Jacques Delors Centre vom 11.7.2024, abrufbar auf https://www.delorscentre.eu/de/publikationen/detail/publication/capital-markets-union.

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