Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig | Aktienmärkte, Krypto’s und ein unbemerktes Erwachen aus dem Dornröschenschlaf
Mein Espresso ist stark und intensiv. Bereits eine kleine Menge reicht aus, um mir Tag für Tag neue Lebensenergie einzuhauchen. Eine konzentrierte Dosis Koffein kann wahrlich Wunder bewirken. Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch bei den Aktienmärkten beobachten, die eine deutliche Konzentration auf einige Top-Unternehmen zeigen. Nachdem Tesla und Berkshire Hathaway die 1-Billion-Dollar-Grenze überschritten haben, sind gegenwärtig neun Unternehmen mit mehr als einer Billion US-Dollar bewertet. Angeführt wird das Ranking von Nvidia mit 3,6 Billionen US-Dollar, gefolgt von Apple ($3,4 Bio.) und Microsoft ($3,1 Bio.). Diese drei Unternehmen haben die 3-Billionen-Grenze überschritten. Nimmt man Amazon und Alphabet (jeweils $2,2 Bio.) hinzu, sind fünf Unternehmen mehr als 2 Billionen Dollar wert. Auch Saudi Aramco ($1,8 Bio.) und Meta ($1,5 Bio.) befinden sich in diesem exklusiven Kreis. Die Top-3-Unternehmen Nvidia, Apple und Microsoft sind gemeinsam über 10 Billionen Dollar wert – das ist mehr, als weltweit an physischem Geld in Form von Münzen oder Geldscheinen existiert und entspricht rund 9% der Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen. Die Top-9, also alle Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als einer Billion US-Dollar, machen 17,6% der globalen Marktkapitalisierung aus. Diese Konzentration spiegelt sich auch in vielen Indizes wie dem globalen MSCI World oder dem S&P 500 wider.
Die Unternehmen dieses Billionen-Dollar-Clubs verzeichnen unbestritten hohe Gewinne und haben in den vergangenen Jahren beeindruckendes Wachstum gezeigt. Ihre Gewinnmargen sind trotz stark steigender Umsätze auf außergewöhnlich hohem Niveau geblieben, und sowohl ihre Wachstumsraten als auch ihre Performance lagen über dem Marktdurchschnitt. Doch wenn man einen Blick in die Zukunft wirft, könnte sich das Blatt wenden. Es ist davon auszugehen, dass kleinere Unternehmen in Bezug auf die Wachstumsraten aufholen. Die Frage ist, ob damit ein Trendwechsel eingeleitet wird und der Gesamtmarkt in Bezug auf die Performance die Lücke zu den großen Playern etwas schließen kann.
Im September und Oktober legte der chinesische Aktienmarkt um mehr als 20% zu, vermutlich aufgrund staatlicher Konjunkturprogramme. Kurzfristig betrachtet mag dies wie eine Übertreibung erscheinen, doch langfristig zeigt sich ein anderes Bild: Der chinesische Aktienmarkt hat in den letzten Jahren einen Bärenmarkt erlebt und keine nennenswerte Aufwärtstendenz gezeigt. Trotz des jüngsten Kursanstiegs liegt der Markt weiterhin auf dem Niveau von 2007. Ein Investor hat damit in den letzten 17 Jahren keinen Gewinn erzielt – mir persönlich ist kein weiterer bedeutender Aktienmarkt bekannt, der solch eine lange Durststrecke aufweist. Auch in Bezug auf die Bewertung sind die Emerging Markets – und das gilt auch für China – im Vergleich zu internationalen Märkten außerordentlich günstig bewertet. Deutet sich hier ebenfalls ein Trendwechsel an? Die Herausforderungen im Immobilienmarkt, ein möglicher Wirtschaftskrieg mit den USA oder die demografischen Entwicklungen sind trotz dieser Aufwärtsbewegung weiterhin präsent. Ich bin gespannt, wie sich die Situation in Fernost weiterentwickelt.
Noch ausgeprägter ist die Konzentration in einem anderen Bereich: Kryptowährungen. Bitcoin ist derzeit in aller Munde. Die Kryptowährung Nummer eins weist aktuell eine Marktkapitalisierung von rund 1,7 Billionen US-Dollar auf und konnte seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten in den letzten Tagen nochmals deutlich zulegen. Die zweithöchste Marktkapitalisierung hält Ethereum mit 366 Milliarden Dollar, gefolgt von Tether mit 120 Milliarden Dollar. Insgesamt gibt es rund 2.400 Kryptowährungen mit einer Marktkapitalisierung von 2,4 Billionen US-Dollar. Bitcoin allein beansprucht rund 70% dieses Werts. Alles ist relativ im Leben: Im Vergleich dazu wirkt die Konzentration auf einige Unternehmen an den Aktienmärkten fast wie ein Espresso zu einem Latte Macchiato. Auch wenn ich persönlich den Espresso bevorzuge, ist mir im Bereich der Veranlagung der „Latte Macchiato“ lieber.
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist ein anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. Mit seinem eigenen Unternehmen berät er Kapitalanlagen, Versicherungen und andere institutionelle Investoren und will darüber hinaus auch seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz an Finanzexperten, Privatpersonen und vor allem auch an junge Menschen unterhaltsam weitergeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at