Die Omikron-Variante lässt Anleger ihre Prognosen für 2022 revidieren. Aktien sind nach wie vor erste Wahl, wobei die Renditen wahrscheinlich eher früher als später erzielt werden, weil die Zentralbanken allmählich die Zinsen anheben dürften.
Nach unserer Einschätzung begünstigen die wirtschaftliche Dynamik, die Zinssätze und die Liquidität sehr stark risikoreiche Vermögenswerte, auch wenn wir diesen Ausblick im Fall eines Lockdowns in den USA möglicherweise in Frage stellen müssten.
Wenn man sich das für Aktien und Unternehmensanleihen günstige nominale Wachstum ansieht, sind die Gewinnerwartungen für 2022 zu niedrig. Wir rechnen mit steigenden Ergebnisprognosen: Die derzeit hohen Margen sollten sinken, wenn die Vorleistungs- und insbesondere die Arbeitskosten im späteren Verlauf von 2022 allmählich anziehen werden.
Wir sehen also zumindest für die nächsten Quartale weiteres Aufwärtspotenzial bei Aktien, und die Risikoprämien für diese sind im Vergleich zu Anleihen immer noch positiv.
Wie wirkt sich Covid 3.0 auf die Märkte aus?
Es könnte noch ansteckendere SARS-CoV-2-Stämme geben, so wie wir dies jetzt bei der Omikron-Variante erleben. Zumindest aber gibt es jetzt einen Plan, wie die Regierungen mit dieser Bedrohung für die öffentliche Gesundheit umgehen können.
Als Covid-19 im Jahr 2020 zum ersten Mal auftauchte, hätte es an den Finanzmärkten eigentlich eine Depression ähnlich wie in den 1930er Jahren geben müssen. Doch dazu ist es nicht gekommen, weil die Regierungen gehandelt und die Wirtschaft mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen am Laufen gehalten haben. Es ist alles beherrschbarer geworden, und wir haben mittlerweile einen Modus Operandi gefunden.
Möglicherweise erleben wir noch gelegentliche, durch Covid 3.0 ausgelöste Volatilitätsschübe und hier und da eine Wachstumsverlangsamung. Insgesamt dürfte Covid im Jahr 2022 aber nicht mehr der Haupteinflussfaktor für die Märkte sein. Mittlerweile reagieren die Anleger weniger heftig auf neue Ausbrüche, so dass das Auftauchen einer neuen Variante nicht zu einem länger anhaltenden Kurseinbruch führen sollte.
Die Zwischenwahlen im Fokus
Die US-Zwischenwahlen im November, bei denen ein neuer Kongress gewählt wird, und die anhaltenden Spannungen zwischen den USA und China gelten als die beiden größten Risiken neben Covid.
Was die Zwischenwahlen anbetrifft, dürfte US-Präsident Biden die Wähler unter anderem mit Konjunkturpaketen bei Laune halten wollen. Die Inflation ist für die Wähler eigentlich kein Thema, weil die USA bei den meisten Gütern über sehr hohe Vorratsbestände verfügen und angesichts der hohen Barmittel der Verbraucher mit weiteren aufgestauten Konsumausgaben zu rechnen ist. Zudem dürfte Biden versuchen, die Wahlbeteiligung von Arbeitern zu erhöhen, weil dies den Demokraten zusätzliche Stimmen einbringen sollte.
Spannungen mit China
Was China angeht, gibt es nach wie vor Spannungen im Verhältnis zu den USA und mit dem von China als Teil seines Staatsgebiets beanspruchten Taiwan, was einen potenziellen Krisenherd darstellt. Peking muss sich aber auf innenpolitische Fragen konzentrieren, weil sich das Wachstumsbild abschwächt und der Konsum bisher nur verhalten zunimmt.
China hat immer noch mit Kreditproblemen und der schwierigen Situation im Immobiliensektor zu kämpfen. Die Kreditmärkte des Landes stehen unter Druck, und der Kreditimpuls verschlechtert sich. Deshalb wird Chinas Staatsführung versuchen, Wachstum und Wohlstand zu fördern.
Inflationssorgen
Die Inflation gibt nach dem sprunghaften Anstieg der Energiepreise in 2021 immer mehr Grund zur Sorge.
Da die Zentralbanken der G7-Staaten ihre sehr expansive Geldpolitik fortsetzen, um Covid-19 entgegenzuwirken, ist der überall zunehmende Preisdruck nicht verwunderlich.
Dies ist zum Teil auf überdurchschnittliches Wachstum im Gefolge der Pandemie zurückzuführen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2021 und 2022 ein Weltwirtschaftswachstum von
5,9 Prozent bzw. 4,9 Prozent – das sind die höchsten Zuwachsraten in einem Zweijahreszeitraum seit mehr als 50 Jahren. Unser zentrales Szenario für unseren Fünfjahresausblick „Expected Returns“ beruht auf moderater Inflation, vorübergehendem Inflationsdruck und solidem Wachstum. Ein Stagflation-Szenario ist sehr unwahrscheinlich.
Hinweise vom Rentenmarkt
Auch der Rentenmarkt kann Hinweise geben, ob die Inflation wirklich ein Problem ist. Ein Blick auf den Verlauf der Zinsstrukturkurve zeigt, dass sich Investoren am Rentenmarkt wegen der Inflation anscheinend keine großen Sorgen machen. Nach den Konsensschätzungen für die USA sollte sich die Inflationsrate zwischen dem ersten und vierten Quartal 2022 halbieren, und wir stimmen dem weitgehend zu.
Andererseits könnten anziehende Lohn- und Gehaltssteigerungen die Kerninflation erhöhen, insbesondere wenn sich der US-Arbeitsmarkt bis Mitte 2022 der Vollbeschäftigung nähert.
Insgesamt dürften die Inflationszahlen aber von ihrem derzeit hohen Niveau aus zurückgehen.
Rohstoffe und Schwellenländer
In Rohstoffe zu investieren wird oft als indirekte Anlageentscheidung für die Schwellenländer angesehen, von denen viele stark von der Gewinnung von Mineralien und von deren Preisen abhängen. Bei der Portfolio- Aufteilung sollte man Rohstoff- und Schwellenländerinvestments aber als zwei verschiedene Dinge betrachten.
Schwellenländer sind immer noch sehr stark von China und davon abhängig, ob es seiner Staatsführung gelingt, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. In Rohstoffe zu investieren ist auch eine Anlage- entscheidung für China. An den Börsen der Schwellenländer zu investieren, heißt auch, sich in großem Stil an den Rohstoffmärkten zu engagieren. Aus unserer Top-Down-Perspektive wäre unsere Herangehensweise dabei eher wie bei einer Positionierung in Rohstoffen als bei einem Schwellenländer-Investment.
Anleger sollten nicht vergessen, dass es zwischen Schwellen- und Industrieländern erhebliche Unterschiede bei der Bewertung von Substanz- und Wachstumstiteln gibt. Es kommt sehr selten vor, dass im Verlauf einer Hausse die Führung von einem Sektor zu einem anderen wechselt, weshalb wir eher dazu neigen, an den Gewinner-Sektoren festzuhalten.
Substanz- versus Wachstumstitel
Ein damit zusammenhängender Aspekt ist das Comeback des Value-Anlagestil – dem die meisten Schwellenländerportfolios ein Stück weit folgten – im vergangenen Jahr. Er ist „billiger“ als der Growth- Anlagestil. Solange aber reichlich Liquidität vorhanden ist, haben Bewertungskennzahlen geringeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Anleger, auch wenn es auf dem derzeit hohen Bewertungsniveau für den Growth-Anlagestil perspektivisch weniger Möglichkeiten gibt, eine Outperformance zu erreichen.
Wegen der relativen Sensitivität von Wachstumsaktien gegenüber der Duration müsste es schon einen deutlicheren Anstieg der realen Langfristrenditen geben (wir erwarten für 2022 nur eine bescheidene Zunahme), bevor wir unsere Portfolio-Aufteilung verändern. Zudem gibt es immer noch Einflussfaktoren, die Wachstumstitel gegenüber Substanzwerten begünstigen.
Neben einer Stabilisierung des chinesischen Kreditimpulses auf niedrigem Niveau würden wir uns eine Abwertung des US-Dollars wünschen. Möglicherweise kommt es wegen der positiven oder zunehmenden Zinsabstände zu Gunsten der USA vor einer Verschärfung der Geldpolitik durch die Fed in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu einer solchen Abwertung. Unter dem Strich wären wir sehr überrascht, wenn Schwellenländeraktien 2022 besser performten als Aktien aus Industrieländern oder Wachstumswerte.
Diversifizierung gibt es vielleicht bald nicht mehr umsonst
Die Fähigkeit eines Multi-Asset-Portfolios zur Diversifizierung hängt davon ab, dass die historischen Korrelationen zwischen den beiden Hauptanlageklassen Aktien und Anleihen bestehen bleiben.
Halten die Inflationsimpulse in den nächsten sechs bis zwölf Monaten an, könnte sich die Korrelation zwischen Anleihen und Aktien verändern. Die Folge wäre, dass es Diversifizierung nicht mehr umsonst gibt. Das Schöne an der Diversifizierung ist, dass die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen Anlegern immer weiterhilft. Wenn die Aktienkurse fallen, dann gehen auch die Anleiherenditen zurück, und das Portfolio profitiert davon.
Wenn dies aber nicht mehr zutrifft, sobald die Zinsen steigen, können wir diese Diversifizierung ersetzen, indem wir in andere Anlageklassen wie Rohstoffe oder inflationsgebundene Infrastruktur investieren.
Sollten Entwicklungen eingepreist werden, von denen wir nicht überzeugt sind, würden wir versuchen, konträrer zu investieren. Man sollte aufgeschlossen bleiben im Hinblick darauf, welches Inflationsszenario zum Tragen kommt, solange die gesamtwirtschaftliche Unsicherheit im historischen Vergleich immer noch hoch ist. Das bedeutet, dass es an den Märkten große Schwankungen geben könnte, von denen wir im Jahr 2022 profitieren könnten.