„Das Hauptziel war, einen Out-of-Sample-Datensatz auf Aktienfaktoren hin zu testen“

Die Schaffung neuer Datensätze für „Out-of-Sample“-Tests liefert echten Mehrwert, da sich kaum jemand die Zeit für so etwas nimmt. Darüber und andere Themen sprechen wir mit Robeco Quant Investment Specialist Bart van Vliet. Robeco | 21.02.2022 08:08 Uhr
Bart van Vliet, Quant Investment Specialist, Robeco / © Robeco
Bart van Vliet, Quant Investment Specialist, Robeco / © Robeco
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Was wollten Sie mit Ihrem wegweisenden Research erreichen und sind Ihnen dabei Überraschungen begegnet?

„Das Hauptziel bestand darin, einen Out-of-Sample-Datensatz, der einen bislang von niemandem abgedeckten Zeitraum umfasste, auf Faktoren hin zu testen. Konkret wollten wir wissen, ob die für den Zeitraum seit 1926 dokumentierten Faktormuster auch auf die 61 Jahre davor zutrafen. Zu Beginn und im Verlauf des Projekts rechneten wir damit, dass wir aufgrund der Art der Analyse mit einer Reihe von Datenproblemen konfrontiert sein würden. Das war auch der Fall. Das ist der Grund, weshalb die Erstellung des Researchpapiers1 fünf Jahre in Anspruch genommen hat.

„Ich will Ihnen etwas vom Kontext vermitteln. Bereits bevor ich während meines Praktikums in das Projekt involviert wurde, arbeiteten zwei Studenten der Erasmus Universität an den Daten. Ich hatte das Glück, dass sie einen Großteil der Plackerei erledigt haben. Zu dem Zeitpunkt, als ich einen Blick darauf warf, wusste ich bereits, welche Börsen zu ignorieren sind und welche Aktien aus unseren Ausgangsdaten auszuschließen sind. Doch der aus meiner Sicht schwierigste Aspekt war die Berücksichtigung der Liquidität.“

Daten zur Marktkapitalisierung der Unternehmen haben wir manuell aus digitalisierten alten Zeitungen entnommen

„Beispielsweise mussten wir darüber nachdenken, wie man selten gehandelte Aktien mit geringer Börsenkapitalisierung berücksichtigt. Bei einem Ansatz mit gleicher Gewichtung hätte eine Bank mit einer Marktkapitalisierung von 1 Million US-Dollar dasselbe Gewicht wie ein Eisenbahnunternehmen mit einer Kapitalisierung von 500 Millionen Dollar gehabt. Um diese Verzerrung zu vermeiden, beschafften wir uns Daten zur Kapitalisierung der Unternehmen aus digitalisierten alten Zeitungen. Insgesamt bestand die größte Herausforderung darin, die Daten sinnvoll zu interpretieren. Dabei haben wir einige überraschende Beobachtungen gemacht.“

Sie hatten es ja bereits angedeutet. Können Sie uns eine nähere Vorstellung davon vermitteln, wieviel Arbeit in dieses Projekt geflossen ist?

„Ich und die beiden Studenten der Erasmus Universität haben zahllose Stunden mit dem Projekt zugebracht. Dies war erforderlich, um den Datensatz zu entwickeln und sicherzustellen, dass er sauber ist. Dadurch wurde meine Aufgabe, die Daten zur Marktkapitalisierung zu ergänzen, wesentlich einfacher. Ich entsinne mich, Wochen damit verbracht zu haben, Zeitungen durchzusehen und Zahlen in diverse Excel-Tabellen einzugeben. Zeitweilig war ich kurz davor, die Sache hinzuwerfen, weil sie so zeitaufwendig war.“

„Die digitale FRASER-Bibliothek verfügt über ein Archiv, das alle Commercial & Financial Chronicle-Zeitungen von den 1860er bis in die 1960er Jahre enthält. Damit bin ich sehr vertraut geworden. Der Ausgangspunkt unseres Research ist das Jahr 1866, da wir die ersten Daten zur Börsenkapitalisierung im Dezember 1865 fanden. Die Zeitungen enthalten historische Marktdaten wie beispielsweise das ausgegebene Aktienkapital und die Nominalbeträge. Im Rahmen meiner Aufgabe in dem Projekt erfasste ich manuell Daten aus mehr als 60 Jahren. Dieser Aufwand liefert tatsächlich ein Mehrwert, da sich niemand die Zeit nimmt, Daten manuell zu erfassen.“

Welche waren die wichtigsten Ergebnisse, nachdem Sie die Daten auf Aktienfaktoren getestet hatten?

„Die wichtigste Erkenntnis war die, dass die Resultate die Ergebnisse des Research bestätigen, welches den Zeitraum von 1926-2020 abdeckt. in der Forschungsliteratur gibt es umfangreiche Evidenz dafür, dass etablierter Aktienfaktoren auf Verhaltensverzerrungen zurückzuführen sind. Im Zuge unserer Analyse fanden wir ähnliche Muster im Hinblick auf Faktorprämien im Zeitraum vor 1926. Aus unserer Sicht waren diese Ergebnisse nicht überraschend, da sich menschliches Verhalten nicht über Nacht ändert. Tatsächlich ändert es sich wahrscheinlich auch nicht über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte.“

„Eine weitere interessante Beobachtung war die, dass die Märkte im 19. Jahrhundert recht effizient waren. Auf Grundlage unserer eigenen Analysen und akademischer Studien Dritter stellen wir fest, dass die Transaktionskosten nicht so hoch waren, wie wir das anfänglich erwartet hatten. Es ist naheliegend anzunehmen, dass die Märkte heute weit effizienter sind, da wir über einen täglichen Handel und Market Maker verfügen. Doch tatsächlich war dies nicht zwangsläufig der Fall, zumindest nicht in dem angenommenen Ausmaß. Ich möchte nebenbei anmerken, dass ich in der Schule Geschichte nicht sonderlich mochte. Doch bald stellte ich fest, dass 30 % dieses Projekts mit Geschichte zu tun haben und die übrigen 70 % mit Wirtschaft. So gesehen hat mir das ganze Verfahren wirklich Spaß gemacht, selbst der historische Part. Ich erwischte mich sogar dabei, in Gesprächen mit Freunden über Eisenbahnfirmen des 19. Jahrhunderts zu reden.“

Hat es einen Grund, weshalb Sie den Test auf die Faktoren, Momentum, Short-Term Reversal, Size und Value beschränkten?

„Zunächst ist festzuhalten, dass wir die Charakteristik unserer Datenbank berücksichtigten, um zu bestimmen, auf welche Aktienfaktoren wir die verfügbaren Informationen tatsächlich testen konnten. Anschließend legten wir unsere Freiheitsgrade fest. Dementsprechend verfeinerten wir unsere Ausgangsliste, indem wir uns nur auf in der Forschung etablierte Faktoren fokussierten. Daraus ergab sich unsere abschließende Auswahl. Für den Faktor Value verwendeten wir die Dividendenrendite als Annäherung, weil für den betrachteten Zeitraum keine Buch/Marktwert-Verhältnisse verfügbar sind. Das liegt daran, dass Unternehmen die entsprechenden Informationen vor den 1930er Jahren nicht publizieren mussten. Einige taten das zwar bereits in den 1920er Jahren, in der Breite der verwendeten Daten waren es aber für unsere Testzwecke nicht genug.“

„Gemeinsam ist allen von uns getesteten Faktoren, dass sie renditebasiert sind. Man kann sie also analysieren, indem man entweder Gesamterträge, Kurserträge oder Dividendenrendite betrachtet. Nimmt man beispielsweise den Faktor Quality, sind die seine Charakteristik definierenden Daten nur ab 1963 problemlos verfügbar und schon gar nicht für die Zeit vor 1926. Somit basiert unsere Faktorauswahl darauf, dass wir den Fokus auf wichtige etablierte Faktoren legten und gleichzeitig bestimmte Restriktionen berücksichtigten.

Die Existenz und die Dauerhaftigkeit etablierter Aktienfaktoren ist weitgehend verhaltensbasiert

Wie interpretieren Sie Ihre Ergebnisse aus Investorensicht, insbesondere da sie sich auf eine ganz andere Wirtschaftsepoche beziehen?

„Zum einen untermauern sie unsere bisherigen Überzeugungen als langfristig orientierte Quant-Investoren. Unseres Erachtens ist die Existenz und die Dauerhaftigkeit etablierter Aktienfaktoren weitgehend verhaltensbasiert. Deshalb ist es en starkes Indiz dafür, wenn man dieselben Muster im 19. Jahrhundert beobachtet. Die Ergebnisse unterstreichen außerdem, dass Faktorprämien nicht stark von spezifischen Marktregimen oder Marktstrukturen abhängig sind. Des Weiteren war die damalige Zeit nicht so viel anders, als wir denken. Sie war geprägt von technologischer Disruption und der Aktienmarkt spielte eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der Innovationen. Das ähnelt in gewisser Weise dem, was in jüngerer Zeit zu beobachten war.“

Sie haben auch Machine Learning-Verfahren verwendet, um im Rahmen Ihres Research auf Aktienfaktoren zu testen. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse daraus?

„Machine Learning-Techniken werden typischerweise bei umfangreichen Datensätzen mit zahlreichen Variablen verwendet. Ein bedeutendes Forschungspapier2 zu Machine Learning legte dar, dass man damit rund 100 Prognosevariablen berücksichtigen kann, um Portfolios mit guten Risiko/Rendite-Eigenschaften zu bilden. Wir haben aber auch festgestellt, dass sie ebenfalls gute Resultate liefern, wenn wir diese Techniken auf unsere Daten aus der Zeit vor 1926 anwenden, aus der weniger Querschnittsdaten verfügbar sind, als wir es heute gewohnt sind.“

„Dieses Ergebnis ist interessant, da es auf Out-of-Sample-Dateien beruht, die zuvor nicht verfügbar waren. Das illustriert das Potential, das diese Methoden besitzen. Eine weitere interessante Beobachtung war, dass diese Techniken dieselben Prognosevariablen für die Ära vor 1926 identifizierten wie für den Zeitraum von 1926-2020. Tatsächlich zeigt die genannte Forschungsstudie2, dass das „Random Forest“-Verfahren den Dividendenrenditen die höchste Gewichtung gibt, während dies beim „Neural Network“-Ansatz nicht der Fall ist. Dasselbe Ergebnis erhielten wir bei der Analyse unseres Datensatzes. Aus unserer Sicht ist das ziemlich bemerkenswert.“

Abschließend noch die Frage, ob es weitere wichtige Ergebnisse Ihres Research gibt, die Sie hervorheben wollen?

„Neben der Entwicklung eines hochwertigen Datensatzes wollten wir insbesondere sicherstellen, dass dieser eine hohe ökonomische Qualität besitzt. Das erreichten wir durch Einbeziehung von Daten zur Marktkapitalisierung und Verwendung von Liquiditätsfiltern, da es eine Vielzahl kleinerer Unternehmen gibt, deren Aktien nur selten gehandelt wurden. Eines der Hauptziele war, einen Datensatz zu bilden, der aus praktischer Perspektive einem investierbaren Universum ähnelt. Bei der Anwendung dieser Filter beobachteten wir, dass einige Faktorprämien geringer wurden, speziell im Fall des Size-Faktors. Das ist plausibel, da unser Filterprozess eine Vielzahl von kleineren Unternehmen aus dem Datensatz ausschließt.“

„Auch wenn dadurch unsere Datenbasis schrumpft, halten wir dieses Verfahren für wichtig, weil die Ergebnisse auch die typischen Liquiditätsrestriktionen berücksichtigen, mit denen Anleger konfrontiert sind. Unseres Erachtens ist dies für den Zeitraum vor 1926 noch angemessener, da es damals weitere Begrenzungen gab, die sich auf die Handelsaktivität auswirkten. Somit basieren unsere Ergebnisse auf Aktien, die eine ausreichende Liquidität besaßen, was die Ergebnisse aus unserer Sicht noch aussagefähiger macht.“

1 G. Baltussen, B.P. van Vliet und P. van Vliet, „The cross-section of stock returns before 1926 (and beyond)”, Arbeitspapier, November 2021..
2 S. Gu, B. Kelly und D. Xiu, „Empirical asset pricing via machine learning”, in: Review of Financial Studies, Februar 2020.

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