Die Notenbanken weltweit haben mehrmals an der Zinsschraube gedreht. So ließ die Fed ihren Leitzins seit März 2022 (einen Monat nach Kriegsausbruch) neunmal ansteigen. Die Bandbreite für den Leitzins beträgt mittlerweile 4,75 bis 5,0 Prozent. Das ist der höchste Stand seit 2006 und ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Nullzinsniveau, welches seit dem Beginn der Corona-Krise im Jahr 2020 vorherrschte.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hob ihren Leitzins sechsmal nacheinander an – von null vor der Pandemie auf 3,5 Prozent. Unterdessen hat die Bank of England (BoE) ihre Zinsen zehnmal erhöht, von fast null auf aktuell 4,25 Prozent. Dies geschah in allen Fällen zur Eindämmung der Inflation, die bisweilen im zweistelligen Prozentbereich lag und ein 40-Jahres-Hoch erreichte.
Die Mehrheit der Marktteilnehmer rechnet damit, dass die Leitzinsen gegen Ende dieses Jahres zu sinken beginnen, nicht zuletzt, um eine ebenfalls erwartete Rezession zu verhindern. „Aber machen Sie sich keine verfrühten Hoffnungen, jetzt wo die Inflation endlich gestiegen ist - mehr als ein Jahrzehnt, nachdem sie es den Erwartungen zufolge das erste Mal hätte tun sollen“, sagt Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies bei Robeco.
Die allgemeine Auffassung nach der globalen Finanzkrise war, dass die beispiellose Bereitstellung von Geld und Liquidität für das Finanzsystem zu einem massiven Inflationsschub führen würde, obwohl wir uns auf einem deflationären Pfad befanden.
Inflation in der Realwirtschaft
Bis vor kurzem führte dies in der Realwirtschaft noch nicht zu einer beschleunigten Teuerung. Tatsächlich nahm die Inflation bei Gütern und Dienstleistungen erst Fahrt auf, als es ab 2020 während der Corona-Pandemie zu Störungen der Lieferketten kam. Von daher konnte die Geldpolitik locker bleiben und die Zentralbankbilanzen konnten wesentlich längere Zeit aufgebläht bleiben.
Die Notenbanken machten sich deshalb keine Sorgen. Sie glaubten immer, über die notwendigen Instrumente zur Dämpfung der Inflation zu verfügen, indem sie den Preis von Geld über die Zinsen anhoben oder indem sie die Geldmenge durch quantitative Straffung verringerten.
Jetzt, da die Inflation sich beschleunigt hat, heben die Notenbanken ihre Leitzinsen rasch an. Allerdings sind sie zusätzlichem Druck ausgesetzt in Form von erhöhten Staatsausgaben wie beispielsweise im Rahmen des Inflation Reduction Act in den USA sowie Energiepreiszuschüssen. Das erschwert ihre Bemühungen erheblich.
Sind wir zurück in den 1970er Jahren?
Die derzeitige Inflationsspirale weist Parallelen zu den 1970er Jahren und den Fördereinschränkungen der OPEC- Staaten im Jahr 1973 auf, die einen starken Anstieg der Energiepreise mit sich brachten. Das führte letztlich zu erhöhten Lohnforderungen, Streiks, Rezessionen und steigenden Zinsen. Letztere erreichten ein zweistelliges Niveau, während die Notenbanken darum kämpften, den Preisauftrieb im verbleibenden Teil der Dekade zu verringern.
Die Implikationen sind problematisch, da der Weg hin zu niedriger Inflation und höherer Arbeitslosigkeit ohne eine harte Landung der Konjunktur erheblich schmaler geworden ist. Die angespannte Lage an den Arbeitsmärkten begünstigt erhöhte Lohnforderungen. Das ist der deutlichste Indikator dafür, dass sich in den Köpfen der Verbraucher höhere Inflationserwartungen verfestigt haben.
Sofern die Geldpolitik nicht gestrafft wird, führt eine Spirale aus höheren Preisen zu höheren Löhnen, was wiederum weitere Preisanstiege nach sich zieht. Die Lehrbücher aus den 1970er Jahren verraten, wie schädlich diese Spirale für die wirtschaftliche Stabilität sein kann. Aktuell ist die Geldpolitik noch relativ locker angesichts der umfassenden Verfügbarkeit von Krediten und negativen Realzinsen.
Selbst wenn wir uns in der Nähe des Höchststands der Leitzinsen befinden, stehen noch keine baldigen Zinssenkungen an, sofern es nicht zu einer Krise im Finanzsystem kommt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich unsere Einschätzung vom Marktkonsens. Dieser geht davon aus, dass die US-Notenbank ihre Leitzinsen bald senkt und die EZB gegen Ende des Jahres nachzieht.
Nicht länger im Rückstand
Graham meint, dass die Rücknahme der geldpolitischen Unterstützung bislang mild verlaufen ist und dass diejenigen Bereiche des Finanzsystems allmählich deutlich werden, in denen es während der Phase der Nullzinsen zu überhöhter Verschuldung gekommen war.
Die allgemeine Einschätzung ist geschwunden, dass die Notenbanken mit ihrer Geldpolitik im Rückstand seien, vielleicht mit Ausnahme von Japan. Die Notenbanken in weniger entwickelten Volkswirtschaften, die mit der Straffung ihrer Geldpolitik lange vor der EZB und der US-Notenbank begonnen hatten, haben nun Spielraum für Zinssenkungen, da die inländische Inflation bereits gesunken ist.
Allerdings könnte es noch zu einem „finanziellen Unfall“ kommen, der eher Parallelen zur Krise von 2008/2009 aufweist als zu der der 1970er Jahren, sagt er. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und die erzwungene Übernahme der in Schwierigkeiten befindlichen Credit Suisse durch die UBS zeigen, dass Teile des Bankensektors nach wie vor in gefährlicher Weise anfällig sind.
Laufzeit-Diskrepanz erweist sich als fatal
In den USA wurde im Jahr 2018 die Regulierung von Regionalbanken gelockert. Dabei wurde es kleineren Banken erlaubt, länger laufende Anleihen als Gegenposten zu Sichteinlagen in ihren Bilanzen zu halten. Dadurch entstand eine Diskrepanz auf Laufzeitebene.
US-Staatsanleihen gelten als risikofreie Anlage. So konnten Banken durch Kauf von Staatsanleihen mittels Sichteinlagen ihre Profitabilität erhöhen, wenn die Renditen zurückgingen. Als die Renditen von US-Anleihen in diesem Jahr nach oben schossen, kam es zum gleichen Zeitpunkt zu Buchverlusten, als die Kontoinhaber ihre Liquidität beschleunigt reduzierten, da es an neuem Kapital für Startup-Aktivitäten mangelte.
Die Bankkunden zogen also ihre Einlagen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten ab. Das hatte zur Folge, dass Banken mit einer Laufzeit-Diskrepanz Anleihen zur Deckung der Abhebungen verkaufen mussten. Dadurch materialisierten sich die Verluste in der Bilanz. Das führte zu einem Teufelskreis, da andere Kunden ihre Anlagen bedroht sahen und ebenfalls ihre Sichteinlagen abzogen, was die Liquiditätsknappheit der Bank verschärfte.
Beschleunigt wurde dieser Teufelskreis durch die sozialen Medien und Online-Banking, als sich das Liquiditätsrisiko zu einem umfassenderen Solvenzproblem entwickelte.
Ein weiterer Teufelskreis?
Steht uns also ein weiterer Teufelskreis bevor? Das nicht, aber man sollte keine Leitzinssenkungen erwarten, die theoretisch dieses spezielle Problem abmildern würden.
Die Situation weist Ähnlichkeiten zu 2008 auf. Sie ist allerdings nicht so gravierend, da ein Großteil des Geldüberhangs in private Vermögenswerte geflossen ist. Gleichzeitig ist die Qualität der Bankaktiva aufgrund der strengeren Regulierung nach der globalen Finanzkrise höher.
Die Risse, die infolge der strafferen Geldpolitik zutage treten, sind ein normaler Vorgang. Dabei wird deutlich, welche Bereiche des Finanzsystems in der Zeit kostenlosen Kapitals florierten. Die gute Nachricht ist, dass die Realwirtschaft nach wie vor robust ist.
In unserem Basisszenario lässt die straffere Geldpolitik das nominale Wirtschaftswachstum gegen Ende dieses Jahres deutlich zurückgehen. Allerdings glauben wir, dass die Notenbanken nicht über ausreichenden Spielraum für Leitzinssenkungen verfügen, bevor die Inflation nicht besiegt ist und solange es nicht zu einem Absturz des Wirtschaftswachstums kommt.
Von Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies bei Robeco