Goldlöckchens Rache & Co.: „Wir sind auf eine turbulente zweite Jahreshälfte vorbereitet“

Am Jahresanfang waren die Aussichten unsicher und der Assetmanager Robeco widmete sich dem Überraschungspotenzial eines Schwarms Schwarzer Schwäne: zehn Ereignisse, die die Einschätzung des Multi-Asset Strategies Team im Jahresverlauf beeinflussen könnten. „Nach der ersten Jahreshälfte haben sich bereits erstaunliche sieben von zehn materialisiert“, so Colin Graham. Der Senior Portfolio Manager zieht für die unterschiedlichen Faktoren ein Zwischenfazit und erläutert Feinjustierungen bei der Allokation. Robeco | 17.07.2023 10:21 Uhr
Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies, Robeco / © e-fundresearch.com / Robeco
Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies, Robeco / © e-fundresearch.com / Robeco
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Anfang 2023 rechneten nicht nur wir mit dem baldigen Beginn einer Rezession, der Beendigung der Zinserhöhungen durch die amerikanische Notenbank und dem Überschreiten eines Höchststands des US-Dollars. Dazu ist es jedoch nicht gekommen, und der US-Aktienmarkt hat sich wieder auf Rekordniveau erholt. In unserem Ausblick zu Beginn des Jahres hatten wir einige positive und negative Szenarien sowie Tail-Risiken untersucht. Diese waren zwar nicht Teil unseres Basisszenarios, könnten sich aber dennoch auf die Märkte und die Asset Allocation auswirken. Risiken können für kurze Zeit die Stimmung an den Finanzmärkten dominieren, ohne dass sich unser fundamentales Szenario ändert. Sobald sie in den Bewertungen berücksichtigt sind, eröffnen sie Anlagechancen. 

Wir führen darüber Buch. Sobald diese Risiken eingetreten sind, wird dies mit einem Punkt vermerkt. Wenn sie nicht eingetreten sind, erfolgt kein Scoring. Ein halber Punkt wird vergeben, wenn eine Entwicklung teilweise eingetreten ist. Die möglichen Szenarien, die wir zu Beginn des Jahres 2023 identifiziert hatten, haben sich bisher wie folgt entwickelt: 

Tabelle 1: Ein überraschendes Jahr für die Märkte

1. Goldlöckchens Rache

Den Anfang macht „Goldlöckchens Rache“ - die Konjunktur bricht weder ein noch überhitzt sie. Die Wirtschaft hat sich in der Tat als widerstandsfähig erwiesen, trotz der gestrafften Geldpolitik der US-Notenbank. US- Aktien und Hochzinsanleihen haben sich bisher gut entwickelt und der KI-bezogene „disinflationäre“ Goldrausch sorgte für eine stark konzentrierte Marktentwicklung. Dabei haben die besten 2 bis 3 Prozent im S&P 500 Index nahezu die gesamte Wertentwicklung in diesem Jahr erbracht. Wir sind nach wie vor vorsichtig und positionieren uns jetzt gegen den Konsens, indem wir weiterhin Aktien- und Hochzinspositionen abbauen.

2. Paniksituationen – die Fed könnte ihr Inflationsziel revidieren

Wir stellten die These auf, dass die US-Notenbank, wenn sie der niedrigen langfristigen Zinssätze überdrüssig wird, einen Bruch mit dem seit der Finanzkrise bestehenden strukturellen Regime ankündigen und ihr Inflationsziel von 2 Prozent aufgeben könnte. Die US-Notenbank und andere Zentralbanken haben ihre restriktive Haltung beibehalten. Der verzögerte Rückgang der Inflation auf den Zielwert von 2 Prozent wurde von den sensiblen Anleiheninvestoren hingenommen, ebenso wie die großzügige Fiskalpolitik. Der Zinssenkungszyklus wird für die Anleger ein Diskussionsthema im Hinblick auf das Jahr 2024 sein - es sei denn, es kommt zu finanziellen oder wirtschaftlichen Turbulenzen.

3. Deflations-Desaster

Wir haben festgestellt, dass Deflation bis Ende 2023 eine höhere Punktzahl als Inflation haben könnte, wie aus laufend veröffentlichten Daten hervorgeht. Bislang haben sich diese Befürchtungen jedoch als unbegründet erwiesen. So haben sich die Arbeitsmärkte und die Gesamtnachfrage als widerstandsfähig gezeigt. Wir schließen jedoch nicht aus, dass Deflation in ferner Zukunft ein Thema sein könnte. Die Inflation wird hartnäckiger sein, als die Modelle vieler Volkswirte vorhersagen. Daher werden die Zinsen für längere Zeit höher sein müssen, sodass eine Unterschreitung des Inflationsziels wahrscheinlicher wird.

4. Greenwashing und Impact Washing

Es war offensichtlich, dass Positionierungen von Unternehmen in punkto Nachhaltigkeit von Aufsichtsbehörden, Medien und Anlegern unter die Lupe genommen werden. Wir fragten uns aber, ob dies die betroffenen Institutionen auch zum Handeln veranlassen würde. Seit Jahresbeginn waren drei Konsequenzen zu beobachten: die Anforderungen der US-Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen haben sich differenziert, Fonds wurden von Artikel 9 auf Artikel 8 der SFDR herabgestuft und Firmen verlassen die Net Zero Asset Management Initiative oder verzichten auf Nachhaltigkeitsbehauptungen und treten aus den UN PRI aus. Das regulatorische Umfeld entwickelt sich stetig weiter, wodurch in einigen Bereichen etwas mehr Klarheit gewonnen wird. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den Nachhaltigkeitsrahmen anzuwenden. Unser SDG- Rahmenwerk ist für Kunden und Wissenschaftler frei zugänglich.

5. Risiken und Chancen

Im Jahr 2022 lagen die Renditen von Fonds mit definiertem Risikoprofil (vorsichtig, ausgewogen, offensiv) trotz unterschiedlicher Aktien- und Anleihenallokationen innerhalb einer Bandbreite von 50 Basispunkten. Im Jahr 2023 hat sich die Realität durchgesetzt und die Korrelationen sind wieder gesunken. Die 60/40-Allokation ist quicklebendig, und wir gehen weiterhin davon aus, dass die Korrelationen niedriger sein werden als im Jahr 2022.

6. Engpässe lösen sich auf

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 sind die Rohstoffpreise in die Höhe geschossen. Dies verschärfte die kostenbasierte Inflation, die sich infolge von Engpässen in der Lieferkette nach dem Ende der Corona-Pandemie ergeben hatte. Allgemein wurde erwartet, dass diese Faktoren fortbestehen würden. Doch die Rohstoffpreise sanken 2023 und die Probleme in der Lieferkette haben sich deutlich entspannt. Dies ist eine gute Nachricht im Hinblick auf die Inflationsbekämpfung, unterstreicht aber auch die weltweite Abkühlung der Konjunktur. Die Verbraucher in China hatten nicht den Vorteil der großzügigen Finanzhilfen wie in den USA und Europa und brauchen daher länger, um sich zu erholen. Man war enttäuscht über die schwache Dynamik eines wichtigen globalen Konjunkturmotors wie China. Doch das ist jetzt in den chinesischen Aktienkursen berücksichtigt.

7. Anti-Soziale Medien

Wir hatten erwartet, dass es zu einer gewissen Regulierung großer Technologie- und Social-Media-Plattformen kommen könnte, da Datenschutzfragen in den Vordergrund rücken. Jedoch ist in dieser Hinsicht noch nicht viel geschehen, obwohl das Thema in den USA und Europa im Fokus des Gesetzgebers steht. Dies hat sich daher 2023 nicht auf die Finanzmärkte ausgewirkt. So führt Big Tech nach wie vor die Entwicklung der Börsen an und schwimmt dabei auf der KI-Welle mit. Wir sind unverändert der Meinung, dass die Aktien, die den letzten Bullenmarkt angeführt haben, die langfristige Erholung nicht dominieren werden. Es handelt sich daher unserer Meinung nach nicht um einen neuen Bullenmarkt. Wir gehen auch davon aus, dass Big Tech sich in den kommenden Jahren ganz anders darstellen wird.

8. Schockartige Regierungswechsel

2023 ist das erste Jahr in diesem Jahrhundert ohne Parlamentswahlen in einem der G7-Staaten. Vor diesem Hintergrund fragten wir uns, ob politische Turbulenzen mit Auswirkungen auf die Finanzmärkte, wie sie Großbritannien 2022 mit drei Premierministern und einem kurzen Einbruch des Gilt-Markts erlebte, auch anderswo auftreten könnten. In Wirklichkeit aber sind die etablierten politischen Kräfte bisher im Amt geblieben. Die Volatilität im Jahr 2023 ist weniger auf die politische Ebene als vielmehr auf das Liquiditätsungleichgewicht zurückzuführen, von dem die mittelgroßen US-Banken betroffen sind. Die Kursschwankungen bei Anleihen sind zwar noch hoch und wir können diese Tail-Risiken nicht vorhersehen. Doch welche Entwicklung auch immer eintreten mag, wird sie Chancen eröffnen.

9. Einsturz des Kartenhauses

Die allmähliche Entdeckung von Investments, die nur getätigt wurden, weil Liquidität „kostenlos“ war, wurde zu Jahresbeginn als mögliche Quelle von Problemen erkannt. Bisher sind zwar einige Immobilienstrukturen kollabiert, doch war davon nichts bedeutend genug, um auf die öffentlichen Märkte überzugreifen. Dies stellt immer noch eine klare und gegenwärtige Gefahr dar. Daher sollte man als Käufer auf der Hut sein, denn privat gehandelte Vermögenswerte waren große Profiteure des billigen Geldes.

10. Net-Zero-Aufschwung

Die Indizien für den Klimawandel werden immer deutlicher, und die Klimakonferenz COP27 hat gezeigt, dass hier der politische Wille der entscheidende Faktor ist. Auf lange Sicht bedeutet die Sicherstellung der Energieversorgung stärkere Investitionen in umweltfreundliche Technologien und Klimalösungen, um die Lücke zwischen Vorhaben und Umsetzung zu schließen. Wir beobachten, dass sich die Regierungen weiterhin verpflichten, die Umstellung auf umweltfreundliche Energien zu finanzieren, aber eher notgedrungen und aus Angst, nicht dabei zu sein – nicht, weil die Politiker eine Vision hätten. Wir glauben auch, dass diese zusätzlichen Ausgaben den kurzfristigen Inflationsdruck verstärken werden.

Fazit: Flexibel bleiben für mögliche Turbulenzen in der zweiten Jahreshälfte 

Wir können Ereignisse, die sich auf die Marktrenditen auswirken, nicht perfekt vorhersehen. Doch ein Ergebnis von 7 von 10 Punkten ist angesichts des Tail-Risk-Charakters dieser Ereignisse und der damit verbundenen Widersprüche hoch. Wenn wir Marktpreise oder Volatilität beobachten, die Tail-Risiken beinhalten, sehen wir dies als Chance zur Erzielung von Erträgen für unsere Kunden. Bei Robeco ist das Sustainable Multi-Asset Solutions Team auf eine turbulente zweite Hälfte des Jahres 2023 vorbereitet. Wir verstärken die Widerstandsfähigkeit unserer Portfolios weiter, indem wir Aktien und Hochzinsanleihen reduzieren und vermehrt antizyklische Positionen eingehen.

Von Colin Graham, Head of Multi-Asset Strategies bei Robeco 

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