Der Ausbruch des Coronavirus könnte die globale Wirtschaft hart treffen und eine Gefahr für Konsum und Tourismus darstellen. Auch das Geschäftsklima könnte sich verdüstern.
Ein Blick in die Geschichte verrät, welche Entwicklungen möglich sind.
Die meisten wirtschaftlichen Analysen der Auswirkungen von Pandemien wie SARS im Jahr 2003 werden von Epidemiologen durchgeführt, deren Hauptaugenmerk in der Regel auf dem Kosten-Nutzen-Verhältnis von Impfungen liegt.
Nur wenige analysieren die breiteren wirtschaftlichen Auswirkungen. Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2006 liefert jedoch wertvolle Erkenntnisse.
Das Modell der Weltbank geht von einer grippeähnlichen Epidemie ähnlich wie derjenigen im Jahr 1918 aus, bei der 50 Millionen Menschen starben und ein Fünftel der Weltbevölkerung angesteckt wurde. Die zugrunde liegenden Annahmen sind recht konservativ: Todesfallrate von 2,5% und Rückgang der Wirtschaftsleistung im Tourismus- und Dienstleistungssektor (Restaurants, Flugreisen und andere nicht lebensnotwendige Konsumausgaben) um 20%.1
Die epidemiologischen Annahmen entsprechen mehr oder weniger den aktuellen Schätzungen für das Coronavirus, auch 2019-nCoV genannt.
Dem Modell zufolge würde die globale Wirtschaftsleistung um 3% zurückgehen, wenn sich 2019-nCoV genauso ausbreitet wie die Epidemie 1918. Unterschiede zwischen Regionen sind dabei vernachlässigbar. Zum Vergleich: Im Zuge der Subprime-Krise in den USA sank das globale BIP 2009 um 0,1%, wobei die Industrieländer einen Rückgang von 3,4% verzeichneten und die Schwellenländer einen Zuwachs von 2,9%.
Der SARS-Ausbruch im Jahr 2003 ist ein weiterer Anhaltspunkt, wenngleich in diesem Fall die Auswirkungen weitgehend auf China und dessen Nachbarländer beschränkt blieben. Auf das Gesamtjahr gesehen gingen Flugreisen zwischen Hong Kong und China um 75% zurück und die Einzelhandelsumsätze brachen auf Festlandchina um 15% ein.
Befragungen privater Haushalte in China kurz nach der SARS-Epidemie zeigten, dass ausgelöst durch das Virus im zweiten Quartal 2003 das verfügbare Einkommen um mehr als 20% zurückging (aufgrund von Krankheit, Arbeitsausfall, höheren Ausgaben für Vorsorge und Gesundheit).
Die Wirtschaft erholte sich in den darauffolgenden Quartalen schnell, sodass das Wachstum Chinas in dem Jahr nur um ca. 1 Prozentpunkt geringer war. Eine solche Erholung wäre bei einer ausgewachsenen Grippeepidemie, die etwa ein Jahr andauert, eher unwahrscheinlich.
Selbst wenn sich die epidemiologischen Annahmen als zu pessimistisch herausstellen, erscheint es wahrscheinlich, dass 2019-nCoV drastischere wirtschaftliche Auswirkungen haben wird als SARS. Das Virus ist zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgebrochen – zum chinesischen Neujahrsfest. Die Einzelhandelsumsätze im Zusammenhang mit dem Neujahrsfest sind stark eingebrochen. Flugreisen sind um 29% gegenüber dem letztjährigen ersten Tag des neuen Mondjahres zurückgegangen. Die meisten Kinos sind geschlossen und die Ticketerlöse sind um 99% eingebrochen.
(Auf der anderen Seite hätte die Produktionstätigkeit an den Feiertagen ohnehin weitgehend geruht, daher sind die Auswirkungen auf Angebotsseite nicht ganz so gravierend.)
Es erscheint wahrscheinlich, dass 2019-nCoV drastischere wirtschaftliche Auswirkungen haben wird als SARS
Die chinesischen Behörden haben dieses Mal offensichtlich schneller reagiert als 2003 – 15 Städte in der Provinz Hubei stehen unter Quarantäne und die Neujahrsferien wurden verlängert. Dennoch besteht das Risiko, dass ein grosser Teil der chinesischen Arbeiterschaft nach Ferienende nicht zu ihrem Arbeitsplatz gelangen kann.
Und China ist für die globale Wirtschaft heute wichtiger als 2003. Viel wichtiger. Damals leistete das Land einen Beitrag von 4,4% zum globalen BIP. Heute sind es 15,4%.
Hinzu kommt, dass China fest in die globalen Lieferketten integriert ist, vor allem im Technologiesektor. Und dann gibt es noch den chinesischen Konsumenten. Der Anteil der chinesischen Konsumausgaben am heimischen und weltweiten Wachstum ist heute grösser denn je. Das bedeutet, dass sich ein Rückgang der Ausgaben der privaten Haushalte heute viel einschneidender auswirken könnte.
Zum Glück kann China in seine Schatzkiste greifen und die wirtschaftlichen Auswirkungen abfedern. Unseren Berechnungen zufolge hat die chinesische Zentralbank genug Spielraum für geldpolitische Impulse, weil sie in den vergangenen beiden Jahren überdurchschnittlich restriktiv war. Die Senkung der Mindestreserveanforderungen für chinesische Banken um 200 Basispunkte zum Beispiel entspräche einer Liquiditätsspritze von 460 Mrd. US-$ bzw. 3% des chinesischen BIP.
Es gibt auch ausreichend Spielraum für fiskalpolitische Impulse – so hat China 2003 die Gewerbe- und die Körperschaftsteuer gesenkt.
Das wäre eine grosse Erleichterung für Aktienanleger. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der MSCI Global Index in dem Monat nach Ausbruch der SARS-Epidemie einen Ausverkauf um bis zu 4% verzeichnete, sich danach aber wieder sehr stark erholte – auch wenn die asiatischen Aktienmärkte um rund sechs Monate zurücklagen.
Sam Perry, Senior Investment Manager, Pictet Asset Management
Patrick Zweifel, Chief Economist, Pictet Asset Management
[1] "Evaluating the economic impact of avian influenza", A. Burns et al. Berechnungen basieren auf einer Epidemie ähnlich wie bei der Spanischen Grippe 1918. Nähere Informationen zu den Annahmen, die der Studie zugrunde liegen, finden Sie hier: http://documents.worldbank.org/curated/en/977141468158986545/pdf/474170WP0Evalu101PUBLIC10Box334133B.pdf