Ein halbes Jahrzehnt nach dem Pariser Klimaabkommen erscheint das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, herausfordernder denn je. Selbst wenn die Regierungen alle bisherigen Zusagen zur Emissionssenkung erfüllen würden, würden die Temperaturen um 2,4 °C steigen.
„Es ist klar, dass die derzeitigen Massnahmen nicht ausreichen“, sagt Joeri Rogelj, einer der Mitverfasser des richtungsweisenden Berichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN. Dieser Bericht warnt vor dem „Code Red“ für die Menschheit und sagt für die kommenden Jahrzehnte immer schwerere Dürren, Hitzewellen, Wirbelstürme und andere Wetterextreme voraus.
„Ob wir 1,5 °C mit dem aktuellen Kurs erreichen können? Ich würde sagen ja, aber gerade so. Im optimistischsten Szenario, und wenn die optimistischsten Zusagen gehalten werden, haben wir eine Wahrscheinlichkeit von 10 bis 20 Prozent, dass die Erwärmung tatsächlich unter 1,5 °C bleibt.“
Doch Rogelj, Forschungsleiter am Grantham Institute und Dozent für Klimawissenschaft und -politik am Imperial College London, sieht auch Entwicklungen, die Anlass zu Optimismus geben. Es gebe Anzeichen für echte Fortschritte, wie z.B. die Statements der Staats- und Regierungschefs der Welt bei der UN-Klimakonferenz (COP26) Ende 2021 in Glasgow gezeigt haben.
„Wichtig ist, dass die COP26 die Defizite ernst nimmt und darauf drängt, dass dringend etwas dagegen unternommen wird. Es wurde daher beschlossen, dass die Länder nicht mehr nur alle fünf Jahre verpflichtet sind, neue Ziele vorzulegen, sondern schon jetzt 2022.“
Der Druck kommt nicht nur von den Vereinten Nationen, sondern auch von der breiten Öffentlichkeit. Auch die Investment-Community forciert den Wandel. Net Zero Asset Managers (NZAM), eine aus Investmentmanagementgesellschaften gebildete Lobbygruppe für Klimainvestments, konnte bereits 220 Unterzeichner für ihr Vorhaben gewinnen. Mit ihrem Beitritt verpflichten sich die NZAM-Mitglieder, spätestens 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und Unternehmen, und zunehmend auch Regierungen, für ihre Klimaaktionen – oder ihre Untätigkeit – verantwortlich zu machen. Zusammen haben sie ordentlich Gewicht – sie verwalten ein Vermögen von rund 57 Bio. US-Dollar.
Regierungen und Unternehmen, die sich dieser Herausforderung nicht stellen, obwohl die Auswirkungen des Klimawandels immer offensichtlicher werden, werden also Probleme haben, Geldgeber zu finden. Sie könnten auch gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die Zahl der Gerichtsverfahren, bei denen entweder eine Wiedergutmachung für Schäden infolge von klimawandelbedingten extremen Ereignissen gefordert wird oder die von Jugendaktivisten eingeleitet werden, um die Regierungen zum Handeln zu zwingen, nimmt zu und macht Umweltnachzüglern das Leben schwer.1
„Das führt zu erheblichen Risiken für traditionell grosse Verursacher“, sagt Rogelj. „Traditionell grosse Verursacher, ob Länder oder Unternehmen, werden für Klimaextreme und -ereignisse zur Verantwortung gezogen, die heute stattfinden. Gleichzeitig werden Länder und Unternehmen, die keine Pläne für eine hinreichend schnelle Emissionsreduktion haben, zur Rechenschaft gezogen.“
„Die ethische Dimension solcher Gerichtsverfahren erhält mit der Zeit immer mehr Gewicht und ist nach meiner Einschätzung eine immer wichtigere Komponente der drei grossen Risiken für Unternehmen und Länder: physische Risiken durch den Klimawandel, das Übergangsrisiko und auch das Prozessrisiko.“
Dieser Druck, Verantwortung zu übernehmen, wird auch den Markt für CO2-Zertifikate erfassen. Dahinter steht die Idee, dass Unternehmen ihre Emissionen durch den Kauf von Emissionsgutschriften kompensieren. Es gibt allerdings keine einheitlichen Standards und nicht alle Gutschriften stellen eine echte Emissionsreduktion dar.
„Im Rahmen der COP26 wurde beschlossen, dass diese CO2-Gutschriften zu kennzeichnen sind, damit die einzelnen Länder voneinander wissen, welche Arten von Gutschriften jeweils verwendet werden und wo diese herkommen. Auf diese Weise soll der Fortschritt besser verfolgt und die Transparenz sichergestellt werden. Werden Gutschriften geringer Qualität verwendet, die keine echte Reduktion darstellen, ist das Reputationsrisiko für ein Land hoch“, sagt Rogelj.
Auf der anderen Seite müssen der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel nicht auf Kosten eines langsameren Wirtschaftswachstums gehen, wie Rogeljs Forschungsarbeit zeigt. Bei der Analyse potenzieller Nachteile sei es wichtig, Nettokosten einzubeziehen, wobei jegliche Nebeneffekte wie z.B. eine geringere Umweltverschmutzung und bessere Gesundheit zu berücksichtigen seien.
„Man kann den Klimaschutz durchaus durch ein opportunistischeres Fenster betrachten.“ Daraus kann sich ein positives Narrativ entwickeln, das den Klimaschutz mit zunehmendem Wohlergehen und nachhaltiger Entwicklung verbindet. Und das ist wichtig für die Konzeption eines wünschenswerten und erfolgreichen Übergangs in eine CO2-arme Zukunft.“
Als besonders positiv sieht Rogelj, dass sich die Klimadiskussion ausgeweitet hat und nicht mehr nur bei Regierungen und Organisationen wie den Vereinten Nationen geführt wird, sondern auch in Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt – das sei auf der COP26 deutlich geworden.
„Es wurden bereits für über 90% der globalen Emissionen Netto-Null-Ziele festgelegt. Das ist eine überaus erfreuliche Entwicklung, aber wir hinken den Zielen noch hinterher. Das gilt sowohl für den privaten Sektor als auch für die Länder“, sagt er.
„Es ist erfreulich zu sehen, wie viel Enthusiasmus und Dynamik sich entwickelt hat ... aber das Klima wird nicht nur durch Dynamik gerettet, daher ist es sehr wichtig, dass wir jetzt auch Ergebnisse erzielen, die wir an den hohen Zielen messen, die sich die Regierungen und der private Sektor gesetzt haben.“
[1] https://www.qmul.ac.uk/law/media/eli/Energy-and-Climate-Change-Law-Review.pdf