Madrid und Miami gehören laut Umfragen zu den lebenswertesten Städten der Welt.
Dementsprechend sind die Immobilienpreise in der spanischen Hauptstadt seit 2015 um mehr als 60 Prozent gestiegen, und der durchschnittliche Kaufpreis für Einfamilienhäuser in der zweitbevölkerungsreichsten Stadt Floridas hat sich in den drei Jahren bis 2021 mehr als verdoppelt.1
Doch infolge der globalen Erwärmung könnten beide Städte innerhalb weniger Jahrzehnte unbewohnbar werden.
In Madrid kamen die Hitzewellen 2022 so früh wie seit 40 Jahren nicht mehr – das Thermometer kletterte bereits im Mai auf über 40 °C.
Wissenschaftler warnen davor, dass mögliche Temperaturanstiege von bis zu 5 °C in Madrid bis 2050 häufigere und noch verheerendere Waldbrände, Dürren und Überschwemmungen auslösen. Gleichzeitig könnten der Verlust der biologischen Vielfalt und Veränderungen in den Ökosystemen die Risiken für die öffentliche Gesundheit erhöhen, weil die Übertragung von Infektionskrankheiten beschleunigt wird.2
Miami dagegen ist durch den steigenden Meeresspiegel in seiner Existenz bedroht. Die Stadt zählt unbestritten zu den verwundbarsten Küstenmetropolen der Welt.
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Urban Land Institute warnt davor, dass bis 2040 mehr als 3 Mrd. US-Dollar an städtischem Eigentum täglichen Überschwemmungen zum Opfer fallen könnten. Bis 2070 soll diese Zahl auf kaum vorstellbare 23,5 Mrd. US-Dollar steigen.3
Madrid und Miami sind nicht allein. Heute sind rund 30 Prozent der Weltbevölkerung – ein Grossteil lebt in Städten – mindestens 20 Tage im Jahr tödlichen Hitzeereignissen ausgesetzt.4 Durch den Anstieg des Meeresspiegels könnten bis zur Mitte des Jahrhunderts über 800 Millionen Stadtbewohner in 570 Städten gefährdet sein; damit verbunden sind globale wirtschaftliche Kosten von 1 Bio. US-Dollar.5
Und dieses Problem wird sich noch verschlimmern. Selbst wenn wir heute die CO2-Emissionen komplett einstellen würden, wird es lange dauern, bis die globalen Temperaturen sinken.
Denn etwa die Hälfte des CO2, das wir in der Vergangenheit ausgestossen haben, wird noch lange in der Atmosphäre verbleiben und den Planeten weiter erwärmen, auch wenn kein neues CO2 hinzukommt.
Das einflussreiche Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) schätzt, dass die globale Erwärmung noch mindestens weitere 100 Jahre auf etwa dem Niveau bleiben wird, das erreicht wird, wenn die Emissionen vollständig gestoppt werden.
Das erklärt auch, warum die Anpassung an den Klimawandel, also Massnahmen, um den bereits zutage getretenen Auswirkungen der Erwärmung Rechnung zu tragen, genauso wichtig ist wie die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs.
Dazu gehören beispielsweise verbesserte Ackerwirtschaft, nachhaltige Stadtplanung, höhere Wasser- und Ressourceneffizienz und widerstandsfähige Energiesysteme.
Das Problem ist, so COP26-Präsident Alok Sharma, dass die Anpassung gegenüber der Begrenzung des Temperaturanstiegs lange Zeit „stiefmütterlich“ behandelt wurde.
Er verweist an dieser Stelle auch auf eine grosse Finanzierungslücke in diesem Bereich. Die OECD schätzt, dass auf Anpassungsmassnahmen nur etwa 25 Prozent der Klimaschutzfinanzierung entfallen, während es bei der Begrenzung des Temperaturanstiegs 64 Prozent sind.
Dr. Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich, sagt, dass sich Anpassung und Begrenzung überschneiden können.
„Es gibt eine Reihe von Bereichen, insbesondere im Bau- und Infrastruktursektor, wo die Synergien sehr stark sind. Diese sollten voll ausgeschöpft werden“, so Dr. Gruber.
Das IPCC, an dessen Berichten Dr. Gruber als Autor mitgewirkt hat, definiert die Anpassung an den Klimawandel als Massnahmen, die darauf abzielen, das Risiko und die Anfälligkeit für den Klimawandel zu reduzieren, die Widerstandsfähigkeit zu stärken, das Wohlbefinden und die Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und erfolgreich darauf zu reagieren, zu verbessern.6
Ein Bericht des Global Centre on Adaptation (GCA) zeigt, dass der Klimawandel ohne Anpassungsmassnahmen das Wachstum der weltweiten Agrarerträge um bis zu 30 Prozent beeinträchtigen kann – davon wären 500 Millionen Kleinbauern am stärksten betroffen.
Darüber hinaus werde die Anzahl der Menschen, die mindestens einen Monat im Jahr nicht genug Wasser zur Verfügung haben, bis Mitte des Jahrhunderts von den heute 3,6 Milliarden auf über 5 Milliarden steigen.7
Die Vorteile einer Investition in die Anpassung überwiegen oft die Kosten.
Das GCA schätzt, dass sich mit Investitionen in Höhe von 1,8 Bio. US-Dollar weltweit im Zeitraum 2020–2030 ein Nettogesamtnutzen von 7,1 Bio. US-Dollar erzielen lassen könnte, hauptsächlich in den folgenden fünf Bereichen: Frühwarnsysteme, klimaresiliente Infrastruktur, verbesserter Trockenfeldbau, globaler Mangrovenschutz und Investitionen in effiziente und resiliente Wasserquellen.
Urbane Kühlung
Einige Länder wie Singapur sind bereits aktiv geworden und investieren in Anpassungsprojekte. Eines davon ist Cooling Singapore, hier suchen Wissenschaftler unter der Leitung von Dr. Grubers Kollegen am ETH-Singapore Centre nach Wegen, der urbanen Hitze den Kampf anzusagen.8
Das Projekt befindet sich derzeit in Phase 3 und kann bereits 80 Massnahmen zur Wärmeeindämmung in der Stadt vorweisen. Das Forschungsteam hat darüber hinaus Kennzahlen entwickelt, um die Effekte von Hitzeinseln – die das Phänomen beschreiben, dass die städtischen Temperaturen um bis zu 7 °C höher sind als auf dem Land – zu bewerten, und hat Richtlinien für eine klimagerechte Stadtplanung vorgeschlagen.
Bei der Bekämpfung der städtischen Hitze ist es wichtig zu wissen, dass Hitzestress nicht nur durch hohe Temperaturen, sondern auch durch Luftfeuchtigkeit entsteht.
Hohe Temperaturen allein sind selten tödlich; es ist vielmehr die Kombination aus hohen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit, die tödlich ist, da bei hoher Luftfeuchtigkeit die Fähigkeit des Körpers, sich durch Schwitzen zu kühlen, stark beeinträchtigt wird.
Aus diesem Grund überwachen Wissenschaftler die Kühlgrenztemperatur (auch als „Feuchtkugeltemperatur“ bezeichnet), die sowohl Hitze als auch Luftfeuchtigkeit präzise misst.
Ausser unter Meteorologen war die Kühlgrenztemperatur bisher kaum bekannt. Diese Temperatur ist die tiefste Temperatur, die ein wassergesättigter Körper durch direkte Verdunstungskühlung erreichen kann. Ist der Wert zu hoch, kann sich der menschliche Körper nicht selbst abkühlen und stirbt an Hyperthermie (Überwärmung).
Der Mensch kann bei einer Kühlgrenztemperatur von etwa 35 °C nicht mehr als ein paar Stunden im Schatten überleben, auch wenn er unbegrenzt Wasser zur Verfügung hat.
Zum Glück werden solche Bedingungen im gegenwärtigen Klimaumfeld nur sehr selten erreicht. Ein ungebremster Klimawandel könnte jedoch eine Reihe von Regionen, darunter Orte mit einer hohen Bevölkerungszahl, in diesen Bereich drängen.
Um ein Gebäude effektiv zu kühlen, ist es daher wichtig, nicht nur die Wärme, sondern auch die Luftfeuchtigkeit zu reduzieren.
Herkömmliche Klimageräte für Gebäude regeln beides mit einer einzigen Temperatureinstellung. Das zentralisierte System ist jedoch energieintensiv und beansprucht viel Platz.
Das Projekt des ETH-Singapore Centre hat ein innovatives Gebäudedesign entwickelt, das beides getrennt voneinander reguliert: Zunächst wird Wärme aus dem Gebäudeinneren abgeleitet, dann wird der Aussenluft Feuchtigkeit entzogen.
Bei dem „3for2“-Design sind die Kühl- und die Entfeuchtungsfunktion getrennt, da es effizienter ist, ein Gebäude auf eine Temperatur herunterzukühlen, die höher ist als die für die Entfeuchtung erforderliche Temperatur.9
Zudem werden mehrere kleine und dezentrale Lüftungsgeräte anstelle eines einzigen grossen Geräts verwendet.
Auf diese Weise muss keine Luft mehr im gesamten Gebäude verteilt werden und kompakte Einheiten können in die Fassade oder den Boden integriert werden.
Im Vergleich zu einem normalen „grünen Gebäude“ in Singapur bietet dieses Konzept 20 Prozent mehr Bürofläche, reduziert den Energieverbrauch um 40 Prozent und benötigt 16 Prozent weniger Baumaterial.10
„Das 3for2-Gebäudekonzept ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie Anpassung und Begrenzung Hand in Hand gehen. Das ist leider nicht immer der Fall, da die Anpassung komplex ist und ein erhebliches Risiko von Fehlanpassungen birgt. Eine adaptive und zukunftsorientierte Strategie ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Dr. Gruber.
Von Fehlanpassung spricht man, wenn Anpassungsprojekte falsche Anreize bieten, zum Beispiel wenn der Bau von Deichen oder Dämmen zum Schutz vor einem ansteigenden Meeresspiegel dazu führt, dass Immobilienentwickler nur noch mehr Objekte bauen und der Überflutungsgefahr aussetzen. Solche Projekte verschlingen Zeit und Geld und machen die Welt erst recht anfällig für den Klimawandel.
„Eigentlich ist die Anpassung kein Hexenwerk. Es wurden bereits viele Lösungen entwickelt und sind am Markt erhältlich. Was fehlt, ist ein besseres Verständnis der Risiken und Vorteile, damit diese Lösungen auch tatsächlich umgesetzt werden“, sagt er.