Die Aussicht auf günstiges Geld trübt das Urteilsvermögen. Aus akribischen Erbsenzählern werden unerschrockene Draufgänger, die kein Risiko kennen und sich von skrupellosen Unternehmen einlullen lassen, von denen sie sonst die Finger lassen würden.
Erst wenn die Zinsen abrupt steigen, zeigt sich, dass sie sich verrannt haben.
Aus dieser Perspektive sind der Zusammenbruch verschiedener regionaler Kreditgeber in den USA und die staatlich in die Wege geleitete Notübernahme der Credit Suisse keine große Überraschung.
Jeder weiß, dass bei einer geldpolitischen Straffung durch die Zentralbanken eine wirtschaftliche Abrechnung droht.
Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einer ausgewachsenen Finanzkrise wie 2008 kommt. Das Wirtschaftswachstum wird sich abkühlen, vielleicht auch deutlich. Die Wahrscheinlichkeit einer Kreditklemme ist jedoch gering.
Eine Entwicklung dürfte den Investoren die Sorge nehmen: Die Vorschriften, die nach dem Kollaps der US-Bank Lehman Brothers vor mehr als zehn Jahren erlassen wurden, haben den globalen Bankensektor auf ein sehr stabiles Fundament gestellt.
Faule Kredite – die Hauptursache der Krise 2008 – sind bei steigenden Zinsen immer ein Problem. Aber sie belasten jetzt nicht mehr die Bilanzen der Banken, wie dies früher der Fall war.
In Europa haben die Banken als Reaktion auf die strengeren Eigenkapitalanforderungen das Volumen der notleidenden Kredite von rund 1 Billionen Euro vor 10 Jahren auf unter 350 Millarden Euro reduziert, das entspricht weniger als 2 Prozent des gesamten Kreditvolumens. Auch gemessen an anderen Kennzahlen sind die Banken in einer guten Verfassung.
Die Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zeigen, dass die Liquiditätsdeckungsquote der Banken – die Mindestquote für den Bestand an hochliquiden Anlagen, die die Banken halten müssen, um innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die zu erwartenden Zahlungsmittelabflüsse zu decken – in der Region durchschnittlich 162% beträgt. Der vorgeschriebene Einhaltungsgrad liegt bei 100%.
Die Loan-to-Deposit-Ratio, also das Verhältnis von Krediten zu Einlagen, bei US-Banken ist insgesamt von rund 95% im Zeitraum 2007–2008 auf 70% gesunken, wie Daten von Barclays zeigen.
Abb. 1 – Wirtschaftliche Abrechnung
[BIP-Wachstum USA, historisch und prognostiziert, im Jahresvergleich, %]
Robustere Bankbilanzen sind nicht das einzige positive Erbe der Finanzkrise 2008. Auch der politische Rahmen, der die Stabilität der globalen Bankenbranche gewährleistet, hat sich deutlich verbessert.
Die Zentralbanken haben aus der Subprime-Hypothekenkrise gelernt und sich zu umsichtigen Hütern des Finanzsystems entwickelt. Die großen weltweiten Zentralbanken sind dem Vorbild der US-Notenbank Fed gefolgt, die die Unzulänglichkeiten der konventionellen Geldpolitik im Hinblick auf die Begrenzung von finanziellen Risiken früh erkannt hat, und haben ein breit gestreutes Instrumentarium zur Bewältigung von Bankkrisen entwickelt.
Quantitative Lockerung, Prognosen für künftige Zinsanhebungen und subventionierte Darlehen an Banken – zuletzt in Form des 300 Mrd. US-Dollar schweren Bank Term Lending Program der Fed –, all das wurde neben Käufen von Unternehmenskrediten, Anleihen und Aktien implementiert.
Wenn die Zentralbanken dann auch noch mit den nationalen Regierungen zusammenarbeiten, dürfte das Finanzsystem bestens geschützt sein. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers war vielleicht das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Geldpolitik. Die Übernahme der Credit Suisse durch UBS ist dagegen anders zu bewerten.
Das heißt natürlich nicht, dass die Wirtschaft unbeschadet davonkommen wird.
Das Konsum- und Geschäftsklima wird zwangsläufig durch die Turbulenzen im Bankensektor getrübt. Auch könnten die Banken bei der Kreditvergabe deutlich restriktiver werden.
Aus den genannten Gründen haben wir unsere Prognosen für das BIP-Wachstum der globalen Wirtschaft für dieses Jahr gesenkt. Für die US-Wirtschaft sehen wir ein Wachstum bei null Prozent für das vierte Quartal 2023 (im Jahresvergleich), zuvor waren wir von 0,4% ausgegangen.
Ein wirtschaftliches Risiko, das mit der Übernahme der Credit Suisse einhergeht, ist eine mögliche Erschütterung des Additional Tier 1 (AT1) Anleihemarktes, einer Finanzierungsquelle, auf die Banken auf der ganzen Welt angewiesen sind. Wie der Markt sich weiter entwickelt, steht in den Sternen, nachdem die Gläubiger von AT1-Anleihen der Credit Suisse bei der Übernahme durch UBS leer ausgegangen sind. Diese Wertpapiere wurden im Zuge der globalen Finanzkrise 2008 aufgelegt, um zu verhindern, dass die Steuerzahler für Rettungsmaßnahmen im Bankensektor aufkommen müssen.
Die Anleiheinhaber erhielten hohe Kupons, da sie im Falle einer finanziellen Umstrukturierung das Risiko der Umwandlung in Eigenkapital tragen mussten. Als die Zinssätze auf ein Rekordtief fielen, erfreuten sich AT1-Wertpapiere bei Investoren und Banken gleichermaßen großer Beliebtheit und der Markt wuchs auf fast 300 Mrd. US-Dollar an. Aber die Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse könnte schädliche Folgen haben. Zumindest könnte sie Investoren dazu bringen, höhere Kupons auf solche Anleihen zu verlangen, was die Finanzierungskosten der Banken in die Höhe treibt. Das wiederum könnte die Kreditvergabe bremsen, was den ohnehin schon bestehenden Trend, insbesondere bei kleineren und mittleren US-Banken, weiter verstärken würde. Ein weiterer Rückgang der Kreditvergabe dürfte Kleinunternehmen und private Haushalte, die sich in der Regel bei lokalen Banken Geld beschaffen, in Kreditnot bringen. Dies könnte ernste wirtschaftliche Folgen haben.
Abb. 2 – Prognosen für das Gewinnwachstum decken sich nicht mit wirtschaftlicher Realität
Wachstum des Gewinns je Aktie: Nachlaufend und prognostiziert, in %
Das Beben im Bankensektor könnten auch das Konsum- und Geschäftsklima trüben. Sollte das Vertrauen beschädigt werden, dürfte das die Konsumausgaben und Investitionen der Unternehmen belasten. Die privaten Haushalte wie auch die Unternehmen werden dann vermutlich auf die während der Pandemie angesammelten Ersparnisse zurückgreifen.
Einige Investmentbanken, wie JP Morgan, haben davor gewarnt, dass die jüngsten Bankenprobleme das BIP-Wachstum in den kommenden zwei Jahren um bis zu 1 Prozentpunkt beschneiden könnten. Nach unserer Einschätzung dürfte sich die Wirtschaft als etwas widerstandsfähiger erweisen, nicht zuletzt, weil die US-Notenbank vermutlich auf den finanziellen Druck reagieren wird, indem sie den Zinsanhebungsspielraum in diesem Zyklus nicht bis zum Äußersten ausreizen wird.
Das aber wird der Wirtschaft einen Dämpfer geben, der die Finanzmärkte kurzfristig unter Druck setzen könnte. Investoren sollten sich ihrerseits auf eine Veränderung der Marktdynamik einstellen.
Small-Cap-Werte und zyklische Aktien scheinen besonders anfällig für eine weitere Korrektur zu sein, ebenso wie riskantere Anleihen wie Hochzinsanleihen. Keine dieser Anlageklassen preist die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds hinreichend ein. Qualitätsaktien dagegen – Unternehmen mit stabilen Umsätzen, die weniger empfindlich auf Schwankungen im Konjunkturzyklus reagieren – dürften gut aufgestellt sein. Auch Staatsanleihen könnten zu einer Rally ansetzen. Eine Eintrübung des Konjunkturklimas wird den Märkten einiges abverlangen. Die aktuellen Turbulenzen im Bankensektor in den USA und Europa dürften sich jedoch nicht zu einer schweren Finanzkrise auswachsen.