Welche Neuerungen sehen Sie beim verantwortungsvollen Investieren?
Ich habe das Gefühl, dass wir einen Wandel durchlaufen. Bei ESG 1.0 ging es um Ausschlüsse, das heißt um die Streichung bestimmter Sektoren aus den Portfolios von Kunden, die nach bestimmten Überzeugungen investieren wollten.
Mitte 2010 begannen die Vermögensverwalter dann mit der Einführung von Strategien, bei denen es weniger um Ausschlüsse ging, als vielmehr darum, innovative Unternehmen zu finden, die zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen können – das war ESG 2.0. Eine Schwachstelle dieses Ansatzes ist aus meiner Sicht die Verwendung von Nachhaltigkeits-Scores von MSCI oder Sustainalytics, da diese Scores retrospektivisch und eng gefasst sind. Technologieunternehmen, Banken oder Gesundheitsunternehmen punkten sehr stark, da sie deutlich weniger Umweltauswirkungen haben als Industrie- oder Ölunternehmen.
Die Investoren haben in den letzten Jahren massiv in solche ESG-Titel mit hohem Score investiert. Sie wurden von den Märkten reich belohnt, aber das Ergebnis waren stark wachstumsorientierte, technologielastige nachhaltige Portfolios.
Nun, glaube ich, treten wir in die nächste Phase ein – zum Teil aufgrund des Marktabschwungs. Bei ESG 3.0 geht es darum, sich wieder auf die Basics zu besinnen und die Unternehmen einem intensiven Research zu unterziehen. Um Anlagechancen zu finden, dürfen sich Investoren nicht nur auf die führenden Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit konzentrieren, sondern müssen sich auch in weniger beachteten Bereichen umschauen, z.B. bei Unternehmen, die sich im Übergang befinden.
Was meinen wir mit Übergang?
Der Übergang oder Wandel beschreibt die Entwicklung hin zu einer positiveren Wirkung bzw. zu einem besseren ESG-Verhalten der Unternehmen.
Im Energiesektor sind das zum Beispiel Unternehmen, die aus fossilen Brennstoffen aussteigen und stattdessen Energiequellen ohne oder mit geringen CO2-Emissionen nutzen.
Auch im Bereich der sozialen Verantwortung vollzieht sich ein grundlegender Wandel, sowohl im Hinblick auf die Diversität als auch auf den Umgang der Unternehmen mit ihren Beschäftigten. So sollte beispielsweise aus sozialer oder geschäftlicher Perspektive niemand mehr unterbezahlt sein, auch wenn wir in einigen US-Unternehmen aus dem Einzelhandels- und Dienstleistungssektor genau das Gegenteil beobachten. Bei Walmart oder Amazon ist die Mitarbeiterbindung ein wichtiges Element des Investment Case, da sie sich unmittelbar im Finanzergebnis niederschlägt. Unternehmen mit hohen Fluktuationsraten dagegen müssen ständig neue Mitarbeiter finden und einarbeiten, was enorm viel Geld kostet und die Aktionärsrenditen schmälert.
Wie investieren Sie in ESG 3.0?
Unser Ziel ist es, in Unternehmen zu investieren, die sich im Wandel befinden und deren Übergang noch nicht vollständig vom Markt eingepreist wurde. Wir glauben, dass es viele Anlagechancen in weniger beliebten Sektoren wie Industrieunternehmen, manchmal auch Energie und Versorger, gibt, denn ohne diese Unternehmen wird die Nachhaltigkeitswende nicht gelingen.
Wir versuchen, ganzheitlich an mögliche Investments heranzugehen, indem wir viele Informationen sammeln und die Unternehmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysieren. Wir recherchieren selbst und treffen eigene Entscheidungen. Auch wenn die Ratingagenturen viel besser geworden sind, was die Bereitstellung verschiedener Arten von Daten und Research anbelangt, wollen wir uns nicht blind auf ihre Schlussfolgerungen verlassen.
Für mich ist es so, als würden wir uns wieder auf die Basics des Investierens besinnen, was im Vergleich zu den jüngsten Trends in der Branche eigentlich eher unkonventionell ist.
Dies ist das Terrain der aktiven Fondsmanager, hier findet das gesamte Fundamentalresearch statt. Diese Herangehensweise unterscheidet sich deutlich von einem passiven ESG-Fonds. Wir müssen ein Unternehmen, seine Risiken und Chancen und sein Potenzial für den Wandel verstehen. Ein aktiver Dialog ist wichtiger Bestandteil unserer Strategie. Wir arbeiten mit einigen Unternehmen zusammen, die wir bis zu viermal im Jahr treffen, um sie bei ihrem Übergang zu unterstützen und Orientierung zu geben.
Welche Art von Unternehmen suchen Sie?
In erster Linie suchen wir Unternehmen mit soliden Bilanzen und dem Potenzial hoher Renditen, denn um nachhaltiger zu werden, wird mitunter viel Kapital benötigt. Zweitens möchten wir in Unternehmen investieren, bei denen sich die ökologischen oder sozialen Auswirkungen von Produkten und Dienstleistungen direkt in operativen Verbesserungen niederschlägt. Und manchmal sind Chancen nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen.
Nehmen wir Elektrofahrzeuge. Abgesehen von Tesla scheinen nicht viele Autohersteller Elektrofahrzeuge rentabel herzustellen. Entweder sie haben einen diversifizierten Produktmix, der auch andere Arten von Autos enthält, oder sie sind staatlich subventioniert. Diese Unternehmen opfern bei der Produktion von Elektrofahrzeugen im Grunde ihre Margen und Renditen. Das ist langfristig nicht nachhaltig, da das Kapital nach und nach weniger wird.
Auf der anderen Seite sind wir in einem Öldienstleistungsunternehmen engagiert, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Es hat eine Komprimierungstechnologie entwickelt, die nicht nur für Öl, sondern auch für Flüssigerdgas (LNG) und auch für Wasserstoff genutzt werden kann. Dieser Bereich ist für das Unternehmen überdurchschnittlich rentabel und darüber hinaus zeigt sich, dass das Unternehmen gut aufgestellt ist, um die Energiewende zu überstehen.
Wie stellen Sie sicher, dass Sie bei Ihrem Engagement als Aktionär gehört werden?
Vor kurzem hatte ich ein Mittagessen mit 20 Wholesale-Kunden, die ihrerseits Unternehmen zu deren Pensionsfonds beraten. Für alle ist ESG wichtig, weil es ihren Kunden wichtig ist. Wären Sie vor fünf oder sechs Jahren an Amazon oder Walmart herangetreten, um sich über ESG zu unterhalten, wären Sie gegen eine Wand gelaufen. Das Bewusstsein der Kunden hat sich jedoch stark gewandelt und die Unternehmen müssen jetzt ganz genau hinhören, was die Investoren wollen.
Engagement beruht immer auf Gegenseitigkeit. Auf der einen Seite erwarten wir von den Unternehmen, dass sie auf unsere ESG-bezogenen Ziele hinarbeiten, auf der anderen Seite geben wir Best-Practices und Know-how in diesem Bereich weiter. Die Unternehmen sind lernwillig, vor allem bei der Frage, wie das Reporting aussehen soll oder welche Schritte sie als erstes unternehmen sollen.
Vor nicht allzu langer Zeit war mein Kollege Peter von einem Energieunternehmen zu einem Branchenevent eingeladen worden. Wir waren einer von nur vier Partnerinvestoren auf der Veranstaltung, die anderen drei waren riesige globale Vermögensverwalter. Wir halten vielleicht einen viel kleineren Anteil an dem Unternehmen, aber man wollte uns mit am Tisch haben, weil sie wissen, dass wir im Bereich des verantwortungsvollen Investierens Gewicht haben. Die Unternehmen fangen jetzt wirklich an zuzuhören.
"Bei ESG 3.0 geht es darum, sich wieder auf die Basics zu besinnen und die Unternehmen einem intensiven Research zu unterziehen. Um Anlagechancen zu finden, dürfen sich Investoren nicht nur auf die führenden Unternehmen in Sachen ESG konzentrieren, sondern müssen sich auch in Sektoren mit geringerer Sichtbarkeit umschauen, z.B. Unternehmen, die sich im Übergang befinden."
Wie misst man so etwas Komplexes wie die Wirkung?
Die Messung der Wirkung ist auf vielerlei Arten möglich. Was wir vermeiden wollen, sind Aussagen wie „Durch Ihre Anlage in den Fonds konnten x CO2 eingespart werden“ oder „Sie haben 10.000 Bäume gepflanzt“, denn es gibt keine Möglichkeit, diese Zahlen zu belegen und sie haben für unsere Kunden keine Bedeutung. Stattdessen betrachten wir den Impact bei allen unseren Portfoliounternehmen auf Unternehmensebene. Wir behalten die KPIs im Auge und stellen sicher, dass die Unternehmen die von uns gesetzten Ziele erreichen. All diese Informationen legen wir unseren Investoren offen.
Was die ökologische Leistung anbelangt, gibt es einfache Indikatoren wie Netto-Null-Ziele. Sehr viele Unternehmen stellen Informationen über ihre Scope-1- und Scope-2-Emissionen bereit, da diese mit ihren geschäftlichen Aktivitäten zusammenhängen. Bei Scope-3 ist es schwieriger, weil hier die ökologischen Auswirkungen des Produkts nach dem Verkauf gemessen werden.
Einige Unternehmen sind bereits auf einem sehr guten Weg. Wir halten zum Beispiel eine Position in einem Halbleiterunternehmen, das seine Maschinen repariert und dann für andere Zwecke einsetzt. Es kann genau sagen, wie viele Maschinen ersetzt wurden und wie hoch der Anteil der Maschinen ist, die noch in Betrieb sind.
Ein weiteres Beispiel für KPIs ist der prozentuale Anteil von Bioproduktion im Vergleich zu synthetischen Produkten bei einem Lebensmittelhersteller und die Penetrationsrate ihrer Produkte in Bereichen, in denen Mangelernährung ein Problem darstellt. Auch die bereits angesprochene Mitarbeiterbindung spielt eine wichtige Rolle.
Jedes Unternehmen hat natürlich andere KPIs. Und wir sind abhängig von der Transparenz der Unternehmen – was auch eines unserer Ziele des Dialogs sein kann. Tag für Tag wird die Menge der verfügbaren Daten größer. Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber wir arbeiten daran.
Mehr Beiträge der Serie "ESG in der Praxis" finden Sie hier.