Hanf, Algen, sogar Bauschutt?
Fachleute aus der Baubranche, wie Architekten, Ingenieure, Unternehmer, Versicherer und Investoren, entwickeln ehrgeizige Ideen zur Beschaffung und Verwendung natürlicher Baustoffe, um den Bausektor – der 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht – klimafreundlicher zu machen.
Über dieses Thema wurde auf dem diesjährigen The Klosters Forum (TKF) in einem Workshop, der der Suche nach neuen Baustoffen und der Rolle der Natur gewidmet war, viel diskutiert.
TKF bietet eine globale Plattform für Dialog und Kooperationen, um einige der dringlichsten Umweltherausforderungen unserer Zeit anzugehen und positive Veränderungen zu beschleunigen.
Ditte Lysgaard Vind, eine renommierte dänische Expertin für Kreislaufwirtschaft, verteilte auf dem Forum Muster von Baustoffen aus recycelten Bierfässern und Meerespflanzen.
Sie erklärte, dass auch Hanf ein natürliches Material sei, das beim Bau verwendet werden könnte.
„Wir können die Welt von morgen mit dem Abfall von heute gestalten und gleichzeitig eine Welt ohne Abfall gestalten“, erklärte sie dem Forum.
„Je mehr wir uns mit Bioengineering beschäftigen, desto mehr können wir aus der Natur Biomaterialien herstellen, die sich problemlos skalieren lassen.“
Das andere Material, das Lysgaard Vind demonstrierte, war Seegras, eine Pflanzenart, die in Flussmündungen, Buchten und anderen flachen Küstenbereichen vorkommt.
Seegras, das dreimal mehr Treibhausgase aufnimmt als Bäume, ist ein CO2-negativer Baustoff, der zudem feuerfest, verrottungsbeständig und gut isolierend ist.
Es kann auch – wie von den alten Wikingern praktiziert – zu Platten verarbeitet werden, die auf Dächern verlegt und an Fassaden angebracht werden können.
Die Teilnehmer des Forums diskutierten auch über Algen als weiteres attraktives, wenn auch unkonventionelles Biomaterial für unsere gebaute Umgebung.
Algen gelten als eine der wirksamsten Methoden weltweit zur Kohlenstoffbindung, weil sie sehr anpassungsfähig sind und daher unter vielen extremen Umgebungsbedingungen eingesetzt werden können.
Untersuchungen zeigen, dass Mikroalgen Kohlendioxid 50 Mal besser absorbieren können als Pflanzen. Ein Teich mit einem Volumen von 4000 m3 würde demnach pro Jahr rund 2200 Tonnen CO2 binden.1
Zu der hohen photosynthetischen Effizienz von Algen kommt ein hoher Biomasseertrag, was sie zu einer effektiven Energiequelle macht.
Bestimmte Algenarten, wie Spirulina oder Rhodophyta, werden bereits für Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel verwendet, andere wiederum als Biokraftstoff.
Architekten und Wissenschaftler experimentieren bereits mit innovativen Projekten, um Algen in das Gebäudedesign zu integrieren, zum Beispiel in Form eines Algenvorhangs für die Fassade, der CO2 und Schadstoffe bindet, Wärme reduziert und Sauerstoff produziert.
Das neue Gold ist braun
Dr. Gnanli Landrou, Mitbegründer des Schweizer Unternehmens Oxara, nutzte das Forum, um die von seinem Start-up entwickelte zementfreie Beimischungstechnologie vorzustellen.
Das patentierte Verfahren von Oxara mischt lehmhaltigen Aushub mit einem mineralischen Additiv, das nach 24 Stunden aushärtet und für den Einsatz in Böden und nichttragenden Wänden geeignet ist.
Der Erdbeton von Oxara bietet alle Verarbeitungsvorteile von herkömmlichem Beton, emittiert aber 20 Mal weniger graues CO2 und ist günstiger. Mit diesem Baustoff lässt sich somit bezahlbarer Wohnraum schaffen. Das könnte ein nicht unerheblicher Aspekt sein. Daten aus der EU zeigen, dass Bau- und Abrissschutt gemessen an der Masse dort der größte Abfallstrom ist – 15 Prozent landen direkt auf der Deponie.2
„Es gibt jede Menge Abfall, der recycelt werden kann. Die Unternehmen haben auch ein finanzielles Problem – wer nicht recycelt, muss sich anderweitig um die Entsorgung kümmern“, so Dr. Landrou.
„Was gestern als Abfall galt, ist heute ein Wertstoff. In der Kreislaufwirtschaft gibt es keinen Abfall. Abrissschutt wird in Zukunft hoffentlich zum braunen Gold werden. Wir müssen die Baubranche Gebäude für Gebäude verändern.“
Risiko in Verbindung mit gestrandeten Vermögenswerten
Alternative Baustoffe sind vielversprechend, aber ihre Kommerzialisierung schreitet in einer Branche, die sich in der Regel dem technologischen Wandel verschließt, nur langsam voran.
Lysgaard Vind ist jedoch der Ansicht, dass sich die veränderte Geschäftsdynamik zwischen Entwicklern und klimabewussten Investoren als transformativ erweisen könnte.
Entwickler – große wie kleine – haben keine andere Wahl, als Nachhaltigkeit zu integrieren, wenn sie nicht wollen, dass ihre Objekte zu einem gestrandeten Gut werden, so Lysgaard Vind weiter.
„Die gebaute Umgebung ist zu einer solchen Anlageklasse geworden, die der Finanzbranche Investmentchancen eröffnet“, sagt sie.
„Da Investoren die wichtigsten Entscheidungsträger sind, ist die Forderung nach Nachhaltigkeit und Transparenz gerade ein positiver Treiber.“
[1] Unter der Voraussetzung, dass 9 Prozent der Zeit Solarenergie zur Verfügung steht. Bhola, V., et al. Overview of the potential of microalgae for CO2 sequestration. Int. J. Environ. Sci. Technol. 11, 2103–2118 (2014). https://doi.org/10.1007/s13762-013-0487-6
[2] Europäische Umweltagentur