Asset-Allocation: Geopolitische Anfälligkeit
Gerade erst haben die Märkte den Ukraine-Russland-Krieg einigermassen verkraftet, da machen die jüngsten erschreckenden Entwicklungen im Nahen Osten den Investoren bewusst, wie schnell sich eine geopolitische Krise zusammenbrauen kann. Der Konflikt im Gazastreifen kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Volkswirtschaften verwundbar erscheinen.
Die USA stehen unserer Ansicht nach kurz vor einer deutlichen Konjunkturabkühlung, da jetzt die Zinserhöhungen der US-Notenbank im vergangenen Jahr bei den Verbrauchern ankommen. Und auch wenn die chinesische Wirtschaft das Schlimmste überstanden zu haben scheint, ist das Klima dort weiter getrübt. Europa kommt nur langsam wieder auf die Beine. Daher bleiben wir in Aktien neutral gewichtet. Die Bewertungen von Aktien mögen nach dem jüngsten Marktrückgang komfortabler und die Unternehmensgewinne vorerst widerstandsfähig sein, aber aufgrund des gedämpften Wirtschaftswachstums gibt es keinen überzeugenden Grund für einen Kauf.
Unsere defensive Haltung wird durch unsere Übergewichtung in Anleihen flankiert.
Dieses Jahr wurde den Anleihemärkten einiges abverlangt und die mögliche Zunahme des Angebots an Staatsanleihen bereitet angesichts der erheblichen Defizite im öffentlichen Sektor, insbesondere in den USA, zunehmend Sorge. Da Anleihen so attraktive Renditen wie seit vielen Jahren nicht mehr bieten – 5% auf 10-jährige US-Staatsanleihen und die Realrenditen liegen auf dem höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten – und sich sowohl das Wachstum als auch die Inflation verlangsamen dürften, bleiben wir weiterhin in festverzinslichen Anlagen übergewichtet.
Abb. 1. Monatsübersicht: Asset-Allocation November 2023
Quelle: Pictet Asset Management
Unsere Konjunkturzyklusindikatoren zeigen, dass die Schwellenländer weiterhin widerstandsfähig sind, die Industrieländer dagegen an Dynamik verlieren. Obwohl im Industrieländeruniversum die Aussichten für die Eurozone besser sind als für die USA, wachsen beide Länder unter ihrem Potenzial. Vorerst bleibt die hartnäckige Inflation ein Problem, da der Gesamtinflationsdruck zugenommen hat. Und sollte sich der Konflikt zwischen der Hamas und Israel über die Region hinaus ausweiten, wird das Folgen für den Ölpreis haben. Wir sind jedoch insgesamt der Meinung, dass die desinflationären Kräfte aufgrund des gedämpften Wachstums und der Lockerung des Drucks auf die Lieferketten dominieren.
Wir gehen davon aus, dass sich die US-Wirtschaft deutlich unter ihr Potenzial abkühlen wird, und sehen die aktuelle Wachstumsrate in diesem Jahr bei 1,9%. Das liegt vor allem daran, dass der Konsum nach unserer Einschätzung gedämpft sein dürfte, da die US-Haushalte die während der Covid-Pandemie aufgebauten Sparüberschüsse abbauen. Die Eurozone schwächelt ebenfalls, wobei die Länder, die von der verarbeitenden Industrie abhängig sind, besonders schlecht dastehen. Aber das dürfte mit der allmählichen Erholung Chinas besser werden.
Der einzige Glanzpunkt im Industrieländeruniversum ist Japan: Das Land wird 2024 als einzige grosse Industrienation über ihrem Potenzial wachsen. Die Konsumausgaben sind robust und Governance-Reformen im Unternehmenssektor tragen dazu bei, ausländisches Kapital ins Land zu holen.
Die Liquiditätsbedingungen klaffen global weiterhin auseinander. In den USA und Europa verschärfen sie sich, während in Japan (vorerst) das Gegenteil der Fall ist. China setzt weiterhin moderate Impulse.
In den USA wirken sich höhere Realzinsen negativ auf die Kreditvergabe aus. Ein weiteres Hindernis für den Kreditfluss sind die beschleunigte quantitative Straffung durch die Fed und zunehmende Emissionen von US-Staatspapieren zum Ausgleich des erheblichen Haushaltsdefizits des Landes. Die Nettoemission von US-Anleihen dürfte im aktuellen Quartal und in den kommenden Quartalen 300–500 Mrd. US-Dollar pro Quartal betragen, im Vorquartal waren es weniger als 200 Mrd. US-Dollar. Die Schuldendienstkosten werden den Aufwärtsdruck weiter verstärken.
Chinas Flirt mit der Deflation könnte die chinesischen Währungshüter dazu veranlassen, zu einer aggressiveren Geldpolitik überzugehen. In Japan dagegen gibt es Anzeichen dafür, dass eine Straffung bevorsteht, die Frage ist nur, wann es soweit ist.
Abb. 2 – Nicht ganz so top: Performance von US-Aktien ohne Big-7 ggü. US Aggregate Fixed Income
Nach unseren Bewertungskennzahlen haben Anleihen gegenüber Aktien die Nase vorn, nicht zuletzt aufgrund des jüngsten Renditeanstiegs. Das KGV von US-Aktien liegt weiterhin über unserer Modellschätzung. Das 12-Monats-KGV für den Markt liegt 12% über unserer langfristigen Wertprognose von 16. Die „Glorreichen 7“, das heißt Technologieaktien, die den Aktienmarkt bislang dominierten, schwächten sich etwas ab, können aber immer noch mit einem KGV von 28 aufwarten – das entspricht einem Aufschlag von 80% gegenüber dem übrigen Markt. Der übrige Markt folgte der Entwicklung der Anleiherenditen (vgl. Abb. 2).
Im Verhältnis zu Anleihen sind Aktien in den USA sehr teuer. Zum ersten Mal seit 2001 liegt die 12-Monats-Gewinnrendite von Aktien unter der Fed Funds Rate und der Abstand zwischen Gewinnrendite und realer Anleiherendite beträgt weniger als 2%. Das war in den vergangenen 50 Jahren nur viermal der Fall.
Unsere markttechnischen Indikatoren zeigen eine schwächere Entwicklung bei Aktien, insbesondere eine rückläufige Dynamik in Japan und eine Verschlechterung in der Eurozone. Der Markt wird im kommenden Monaten jedoch von der Saisonalität profitieren. Auch der Trend bei Anleihen hat sich ins Negative gekehrt. Die Stimmung ist weiter getrübt, was darauf hindeutet, dass Aktien aus der Eurozone und China überverkauft sind. Bei den festverzinslichen Anlagen erscheinen Hochzinsanleihen und Schwellenländeranleihen in Hartwährung ebenfalls überverkauft.
02 Aktienregionen und -sektoren: Die Jagd nach Qualität und Schutz
Neu entfachte Konflikte im Nahen Osten und der anhaltende Krieg in Europa haben die Unsicherheit der Investoren erhöht, die ohnehin schon besorgt darüber sind, dass die Zinsen vermutlicher länger höher bleiben. In solchen Zeiten täten Investoren gut daran, in Unternehmen mit hoher Rentabilität, guten Gewinnprognosen und geringer Fremdverschuldung zu investieren – also in Qualitätstitel.1
Diese Werte haben sich in den letzten Jahren besser entwickelt als Wachstumstitel, die naturgemäß anfällig für die Höhen und Tiefen des Konjunkturzyklus sind (vgl. Abb. 3).
Schweizer Aktien dürften sich daher in den kommenden Monaten als Glanzlicht erweisen, da das Land von allen großen Volkswirtschaften den höchsten Anteil an defensiven Werten – fast alles Qualitätstitel – hat, nämlich 60% der Marktkapitalisierung des Schweizer Referenzindex. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Unternehmen aus den Bereichen Pharma und Basiskonsumgüter. Wir bleiben in den Aktien des Landes übergewichtet, deren Bewertungen weiterhin angemessen sind.
Auch in japanischen Aktien bleiben wir übergewichtet. Viele japanische Unternehmen profitieren von einer starken Gewinndynamik und wir gehen davon aus, dass der Markt in diesem Jahr ein Gewinnwachstum von etwas mehr als 10% erzielen wird. Das ist mehr als in jedem anderen Industrieland und das Wachstumstempo wird mit dem von uns für die Schwellenländer prognostizierten vergleichbar sein. Wir sind auch von den jüngsten Maßnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance in Japan angetan.
Unser Investment-Case für japanische Aktien ist umso robuster, betrachtet man die markttechnischen Faktoren. Die Anlegerpositionierung an den japanischen Aktienmärkten ist jedoch noch überschaubar: Fonds mit Fokus auf Japan haben in den vergangenen 13 Wochen Zuflüsse von gerade mal 9 Mrd. US-Dollar erzielt.
Abb. 3 – Qualität bevorzugtRelative Wertentwicklung MSCI World Quality und Growth
Quelle: Refinitiv, Pictet Asset Management. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 23.10.2020–25.10.2023.
Unsere Übergewichtung der Schwellenländer – ohne China – bleibt unverändert, da die Wachstumsaussichten in den Schwellenländern besser sind als in den Industrieländern.
Bei Aktien aus der Eurozone sind wir weniger positiv eingestellt. Die Wachstumsaussichten der Region sind weiterhin düster und die EZB dürfte angesichts des Aufwärtsdrucks auf die Preise durch starkes Lohnwachstum an ihrem restriktiven Kurs festhalten. Gleichzeitig erscheinen die Gewinnmargen der europäischen Unternehmen anfällig.
Sektorseitig sind wir in Energie übergewichtet – angesichts der erhöhten geopolitischen Spannungen ein Schritt in die defensive Richtung.
Unsere defensive Haltung wird durch die Untergewichtung in Basiskonsumgütern und die Übergewichtung in Basiskonsumgütern weiter verstärkt.
Wir sehen Belege dafür, dass Verbraucher – insbesondere in den USA – überschüssige Ersparnisse, die sie während der Pandemie aufgebaut haben, schneller ausgeben als wir zunächst dachten. Das ist ein Vorbote für den erwarteten Rückgang der Ausgaben im Einzelhandel. In den USA beispielsweise sind die kumulierten überschüssigen Ersparnisse seit dem Höchststand von rund 1,8 Bio. US-Dollar im August 2021 um zwei Drittel gesunken. Bei diesem Tempo dürften diese Puffer bis Mitte 2024 aufgebraucht sein.
Wir sind weiterhin in Kommunikationsdiensten übergewichtet. Der Sektor bietet Engagements in Unternehmen mit starken Bilanzen, die zu angemessenen Bewertungen gehandelt werden. In Technologie dagegen bleiben neutral gewichtet. Die Gewinne der großen Technologieunternehmen fielen sehr enttäuschend aus, obwohl der Sektor von starken langfristigen Trends wie dem zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz unterstützt wird und die Messlatte für positive Überraschungen sehr hoch ist.
03 Anleihen und Währungen: US-Staatsanleihen sehr geschätzt
Mit dem Ausverkauf von US-Staatsanleihen sind die Märkte über das Ziel hinausgeschossen. Die Renditen auf 10-jährige US-Staatsanleihen haben ihren höchsten Stand seit 16 Jahren erreicht – mit über 5% – und liegen damit rund 100 Basispunkte über unserer Schätzung des angemessenen Werts von etwa 4%.
In einer Zeit, in der die größte Volkswirtschaft der Welt an Dynamik zu verlieren scheint und die geopolitischen Risiken zunehmen, erscheinen Renditen dieser Größenordnung für jeden Investor, der seine defensive Positionierung verstärken möchte, sehr attraktiv. Nach unserem Modell sind US-Staatsanleihen das erste Mal seit Juni 2021 als günstig eingestuft. Aus diesen Gründen behalten wir unsere Übergewichtung in US-Staatsanleihen bei.
Wir bleiben zudem in Schwellenländeranleihen in Lokalwährung übergewichtet. Die Anlageklasse profitierte ohnehin schon von Zinssenkungen durch die Zentralbanken der Entwicklungsländer. Doch durch die Aussicht auf eine Aufwertung der Schwellenländerwährungen könnten solche Anleihen noch stärker zulegen, insbesondere wenn die Schwellenländer an den Industrieländern vorbeiziehen, was wahrscheinlich ist.
Abb. 4 – Gold glänzt: Goldpreis ggü. US-Realzinsen und US-Dollar
Quelle: Refinitiv, Pictet Asset Management. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 01.04.2022–25.10.2023.
Dagegen bleiben wir in japanischen Staatsanleihen untergewichtet. In der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, die auch ein starkes Wachstum verzeichnet, steigt die Inflation weiter. Das deutet darauf hin, dass die Bank of Japan keine andere Wahl haben wird, als der lockeren Geldpolitik durch Zinserhöhungen in den kommenden Monaten entgegenzuwirken, denn dieser Kurs ist nicht zielführend.
Im Anleihensegment sind wir in US-Hochzinsanleihen untergewichtet. Die Ausfallraten dürften im Zuge der Verschärfung der Kreditvergabestandards ausgehend von den aktuell niedrigen Niveaus steigen.
Gold dürfte nach unserer Einschätzung im kommenden Jahr von fallenden US-Realzinsen und einem schwächeren US-Dollar profitieren. Auch wenn seine bisherige Widerstandsstärke und der starke Anstieg durch den Konflikt zwischen Israel und der Hamas eine Bewertung fast unmöglich machen (vgl. Abb. 4), bleiben wir übergewichtet.
Obwohl sich der US-Dollar gut behauptet hat, gestützt durch den Renditevorteil der Währung gegenüber anderen Industrieländerwährungen, ist mit einem stetigen Rückgang zu rechnen, da sich die wirtschaftlichen Fundamentaldaten in den USA verschlechtern. Wir gehen davon aus, dass das BIP-Wachstum der USA im Jahr 2024 hinter dem der meisten Vergleichsländer zurückbleiben wird.
Im Schweizer Franken, einem sicheren Hafen, der von einer günstigen Inflationsdynamik in dem Land profitiert, sind wir übergewichtet.
04 Globale Märkte: Roter Oktober
Der Oktober war ein schwieriger Monat für die globalen Märkte – die meisten Anlageklassen landeten im roten Bereich.
Zunehmende geopolitische Spannungen, insbesondere im Nahen Osten, höhere Marktvolatilität und uneinheitliche Gewinnmeldungen dämpften die Anlegerstimmung. Aktien verloren insgesamt 2,7% in Lokalwährung. Die Schwäche war breit angelegt und erstreckte sich über alle großen Regionen. Das wirkte sich sowohl auf die Industrie- als auch die Schwellenländer aus.
Obwohl die Ergebnisse der Unternehmen im S&P 500 wie auch im STOXX 600 für das dritte Quartal die Erwartungen bisher übertroffen haben, ist das Umsatzwachstum verhalten und die Prognosen sind weitgehend unverändert geblieben.
Der Rückgang des Ölpreises um 8% belastete Energietitel. Und für zyklische Sektoren wie Industrie, Basiskonsumgüter und Grundstoffe waren Sorgen über das Wirtschaftswachstum abträglich. Selbst der IT-Sektor – der diesjährige Top-Performer – lag am Monatsende im Minus, wenn auch mit nur 0,8%. Lediglich der Versorgungssektor verzeichnete eine schmale absolute Rendite.
Abb. 5 – Hoch hinaus: Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen (in %)
Quelle: Bloomberg, Pictet Asset Management. Daten vom 12.04.2023–25.10.2023.
Globale Anleihen schwächten sich ab und verzeichneten im Monatsverlauf einen Rückgang von 0,9%. Besonders bemerkenswert waren die Verluste bei US-Staatsanleihen – die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen durchbrachen zum ersten Mal seit 16 Jahren die Marke von 5% (vgl. Abb. 5). Der Ausverkauf wurde durch eine Kombination aus robusten Konjunkturdaten (was baldige Zinssenkungen eher unwahrscheinlich macht) und durch die vom US-Finanzministerium geplanten umfangreichen Emissionen zur Finanzierung des immer größer werdenden Haushaltsdefizits ausgelöst.
Der Greenback büßte im Oktober seine Aufwärtsdynamik ein, wurde aber weiterhin von einem wachsenden Renditevorteil gegenüber den Industrieländerwährungen getragen.
Die erhöhte Risikoscheu erwies sich als Segen für den sicheren Hafen Gold, das im Monatsverlauf um 7,5% zulegte.
Asset-Allocation Wir behalten unsere Übergewichtung in Anleihen bei, bleiben dagegen in Aktien aufgrund der erhöhten geopolitischen Risiken und der Abkühlung des Wirtschaftswachstum neutral gewichtet. Aktienregionen und -sektoren Wir bevorzugen weiterhin Qualitäts- und defensive Titel und behalten unsere Übergewichtung in Basiskonsumgütern und dem Schweizer Markt bei. Anleihen und Währungen Wir bleiben in US-Staatsanleihen und Schwellenländeranleihen in Lokalwährung übergewichtet. [1] MSCI definiert Qualitätstitel als Unternehmen mit einer historisch hohen Eigenkapitalrendite, einem stabilen Gewinnwachstum im Jahresvergleich und einer geringen Fremdverschuldung.