Unter Klimaschützern nimmt die Sorge zu, dass die Halbleiterindustrie den Planeten schädigt. Nicht ohne Grund. Chips werden in riesigen, ressourcenintensiven Fabriken hergestellt, die mitunter eine Fläche von bis zu 9.000 Quadratmetern beanspruchen. Und jedes Jahr verbraucht die Branche weit über 100 Milliarden Liter Wasser1 und verursacht fast 100 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen2; sie frisst auch immens viele Metalle der Seltenen Erden und produziert eine Menge giftiger Abfälle.
Auch die Sorge über den ökologischen Fußabdruck von Halbleitern hat in den letzten Jahren zugenommen, da die Computer immer leistungsfähiger geworden sind und der Energieverbrauch der Branche exponentiell gestiegen ist. Darüber hinaus wollen Regierungen in den USA und Europa zig Milliarden Dollar für den Aufbau der inländischen Chip-Produktionskapazität ausgeben. Ziel ist es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, aber auch das Problem der Emissionen der Fabriken und der Abfälle, die früher nur am Rande eine Rolle spielten, in den Vordergrund zu rücken.
Auf den ersten Blick haben Halbleiter also keinen Platz in einem umweltorientierten Portfolio. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild.
Halbleiter treiben grünen Wandel voran
Als langfristige, verantwortungsbewusste Investoren legen wir bei der Zusammenstellung unserer Portfolios größten Wert auf das Umweltprofil von Branchen und Unternehmen. Dabei muss jedoch die zentrale Rolle berücksichtigt werden, die Halbleiter beim grünen Wandel spielen. Mit anderen Worten: Klimaorientierte Investoren müssen über den CO2-Fußabdruck der Branche hinausblicken und auch den sogenannten „Handabdruck“ bewerten, das heißt die positive Wirkung der Branche auf die übrige Wirtschaft.
Bei Halbleitern ist diese positive Wirkung besonders groß, wenn es um die Elektrifizierung geht, ein Schlüsselelement der Dekarbonisierung.
Wenn wir bis 2050 die Netto-Null erreichen wollen, muss nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur der Anteil der Elektrizität am Gesamtenergieverbrauch von derzeit 20% auf 50% steigen und fossile Brennstoffe ersetzen.3
Das bedeutet auch, dass der Anteil an erneuerbarem Strom von 30% auf 90% steigen muss. Wir müssen zuerst elektrifizieren, um dekarbonisieren zu können. Und wir müssen den Gesamtenergieverbrauch senken, was bedeutet, dass wir die Energieintensität der Wirtschaft um 3% verbessern müssen, also doppelt so viel wie aktuell.4
Nach unserer Einschätzung kommt Halbleitern eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung des grünen Wandels zu.
Ohne Halbleiter ist er nämlich schlichtweg nicht möglich.
Es gibt spezielle Chips, die „Leistungshalbleiter“, die für die Elektrifizierung unerlässlich sind. Diese Chips werden hauptsächlich für die Steuerung der Stromversorgung, die Umwandlung (von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt), die Übertragung und die Speicherung von Strom verwendet.
Obwohl sie nur etwa 5% des gesamten Halbleitermarktes – das entspricht einer Größenordnung von 40 Mrd. US-Dollar – ausmachen, sind sie ein kritischer Faktor.5
In Solarkraftwerken zum Beispiel werden effiziente und zuverlässige Leistungshalbleiter benötigt, um Strom von Gleichstrom in Wechselstrom umzuwandeln und mit minimalen Verlusten zu übertragen.
Halbleiter sind auch für die Modernisierung der Stromnetze von entscheidender Bedeutung, da sie diese in die Lage versetzen, besser auf Schwankungen von Stromangebot und -nachfrage zu reagieren.
Chips sind auch für die Autoindustrie wichtig. Durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge und die Entwicklung intelligenter Autos ist der Bedarf an Halbleitern im Automobilsektor heute um ein Vielfaches höher als noch vor zehn, zwanzig Jahren.
Halbleiter sind daher in der gesamten Elektrifizierungs-Wertschöpfungskette von entscheidender Bedeutung, von der Entwicklung erneuerbarer Energien über die Netzspeicherung bis hin zu Elektroautos und Ladestationen.
Investoren stehen somit vor einem Dilemma: Wie lassen sich die Auswirkungen der Halbleiterunternehmen auf die Natur mit der positiven systemischen Wirkung ihrer Produkte in Einklang bringen?
Planetare Belastungsgrenzen und Ökobilanzierung (LCA)
Als Manager der Pictet Global Environmental Opportunities Strategie nähern wir uns diesem Problem mit Hilfe von zwei Analysekonzepten, die uns helfen, den Beitrag eines Unternehmens zum grünen Wandel zu bewerten.
Das erste ist das Modell der planetaren Belastungsgrenzen (PB), ein wissenschaftlich fundiertes Konzept, das von Wissenschaftlern der Universität Stockholm entwickelt wurde. Es analysiert die neun Umweltdimensionen, die für die Gesundheit des Planeten entscheidend sind (unter anderem Klimawandel, biologische Vielfalt, Wasser und chemische Verschmutzung), und steckt den Handlungsspielraum ab, innerhalb dessen sich die Aktivitäten des Menschen abspielen sollten.
Wir wenden das PB-Konzept mit Hilfe eines zweiten Konzepts, der Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment, kurz LCA) auf Investments an. Dieses Tool quantifiziert im Wesentlichen die Mengen an Rohstoffen, Energie, Wasser und damit verbundenen Emissionen, die während eines Produktlebenszyklus verbraucht bzw. erzeugt werden. Mit Hilfe der Ökobilanzierung können wir die Umweltauswirkungen eines Unternehmens in den neun PB-Dimensionen abbilden.
Fußabdruck von Halbleitern
In Abbildung 1 sehen wir, wie diese Konzepte in der Praxis angewendet werden. Hier wird das PB-LCA Tool verwendet, um die Auswirkungen eines Halbleiterausrüsters auf jede der neun planetarischen Belastungsgrenzen zu quantifizieren. Die Analyse zeigt, dass dieses Unternehmen große negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt hat und auch für ein hohes Maß an chemischer Verschmutzung verantwortlich ist (aufgrund von gefährlichen Abfällen und kontaminiertem Wasser, Verwertung bzw. Aufbereitung vor Ort). Die Umweltauswirkungen außerhalb dieser beiden Grenzen sind ansonsten vernachlässigbar.
Eine weitere Schlussfolgerung aus dieser Analyse ist, dass Halbleiter zwar eindeutig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, diese aber geringer sind als bei vielen anderen Produkten. Und obwohl die Emissionen des Sektors in absoluten Zahlen hoch erscheinen, machen sie nur 0,2% der gesamten globalen Emissionen aus.6
Erfreulich ist auch, dass viele Unternehmen alles daransetzen, ihre Umweltbilanz zu verbessern. Die meisten Unternehmen haben sich für die kommenden Jahre Ziele gesetzt, zum Beispiel 100% erneuerbare Energien oder CO2-Neutralität, und das Semiconductor Climate Consortium (SCC) strebt bis 2050 für die gesamte Branche die Netto-Null an.7
Eine Möglichkeit, den Fußabdruck zu reduzieren, ist der Einsatz der EUV-Lithografie (extrem ultraviolette Strahlung). Es handelt sich dabei um ein hochkomplexes Verfahren zur Übertragung von Mustern auf die Oberfläche der Silizium-Wafer, was bedeutet, dass weniger Strukturierungsschritte – das sogenannte Patterning – erforderlich sind als beim herkömmlichen UV-Verfahren. Das wiederum führt zu einer Verringerung der Emissionen.8
Eine weitere Lösung liegt in einer besseren Vermeidung oder Behandlung der gefährlichen und treibhauswirksamen Gase, die während des Herstellungsprozesses entstehen. Auch die Halbleiterhersteller bemühen sich um Abfallvermeidung, indem sie direkt in den Fabriken recyceln.
Der ökologische Handabdruck
Die ausschließliche Betrachtung der Tätigkeiten von Chipherstellern vermittelt kein wahrheitsgetreues Bild des Umweltprofils der Branche. Blickt man über die Aktivitäten der Branche hinaus und berücksichtigt den positiven Beitrag, den die Halbleiterindustrie zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft leistet, können Investoren ganz andere Schlussfolgerungen ziehen.
An dieser Stelle kommt das Konzept des „Handabdrucks“ einer Branche ins Spiel.
Der Handabdruck eines Unternehmens ist die positive Wirkung, die seine Produkte auf den ökologischen Fußabdruck seiner Kunden haben können. Ein Unternehmen hinterlässt einen Handabdruck, wenn es seinen Kunden eine Lösung anbietet, die einen geringeren Fußabdruck hat als „business-as-usual“. In der Industrie wird dieses Konzept derzeit für CO2-Emissionen verwendet, aber wir sind der Meinung, dass es sich auf viele andere Umweltaspekte, wie den Wasserverbrauch und den Ressourcenverbrauch, übertragen lässt.
Der Begriff „Handabdruck“ steht also für eine positive Wirkung auf die Umwelt – je größer er ist, desto besser. Theoretisch gibt es dafür keine Grenzen.
Ein Handabdruck lässt sich nur schwer genau quantifizieren, da er die Differenz zwischen einem Basis- und einem kontrafaktischen Szenario darstellt. Daher ist es nicht realistisch, dass dieses Konzept jeweils in die Vorschriften zur Offenlegung von Klimainformationen aufgenommen wird.
Bei uns ist jedoch die Bewertung des Handabdrucks ein wichtiger Bestandteil des Investmentprozesses unserer Global Environmental Opportunities Strategie. Wir wollen die Unternehmen finden und in unser Portfolio aufnehmen, die nicht nur ihren eigenen ökologischen Fußabdruck minimieren, sondern auch Lösungen anbieten, die den Handabdruck ihrer Kunden und der übrigen Wirtschaft vergrößern. Solche Unternehmen bilden das Universum unserer Investmentmöglichkeiten.
Unsere Analyse zeigt, dass der Fußabdruck eines Halbleiterausrüsters im Vergleich zu seinem potenziellen Handabdruck verschwindend klein ist. Von der Erzeugung erneuerbarer Elektrizität bis hin zur Verbesserung der Effizienz bei ihrer Nutzung spielen Halbleiter eine Schlüsselrolle beim grünen Wandel.
Rund die Hälfte der Halbleiterhersteller und -ausrüster erwirtschaftet laut einer Analyse von MSCI Einnahmen aus Produkten und Dienstleistungen, die direkt zum grünen Wandel beitragen, wie zum Beispiel Solarenergieerzeugung und Elektrofahrzeuge.9 Viele weitere sind womöglich indirekt beteiligt.
Die Wirkung ist schwer zu quantifizieren. Es gibt nur eine Handvoll Studien, sodass Zahlen lediglich eine grobe Schätzung sind. Eine Analyse von Accenture und der Global Enabling Sustainability Initiative (GeSI) ergab jedoch, dass Lösungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) die globalen Emissionen bis 2030 um 12 Gt CO2 reduzieren könnten (das entspricht etwa einem Drittel der derzeitigen Emissionen aus Industrie und fossilen Brennstoffen) und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den Bereichen Mobilität, Produktion, Landwirtschaft, Gebäude und Energie fördern könnten.10
Beispielsweise könnten im Energiesektor Emissionen durch den Einsatz von Energiemanagementsystemen, den Ausbau und die Einspeisung erneuerbarer Energien in das Netz und die Verbesserung der Effizienz des Netzes reduziert werden. Und die Emissionen des Gebäudesektors könnten durch den Einsatz von Gebäudemanagementsystemen (BMS) um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden. Diese Systeme verwenden Computer, um die mechanischen und elektrischen Anlagen eines Gebäudes wie Heizung, Lüftung und Beleuchtung zu überwachen und einzustellen.
Keine dieser Einsparungen wäre ohne die Halbleiterindustrie möglich – oder ohne den Technologiesektor überhaupt. Das gesamte Vermeidungspotenzial in den Bereichen Energie, Gebäude und Produktion beläuft sich auf 5,8 Gt und ist damit fast fünfmal so groß wie der gesamte Fußabdruck des Technologiesektors.11 Und die Einsparungen sind noch viel größer, wenn man andere Bereiche wie die Landwirtschaft einbezieht.
So gesehen sind Halbleiter ein wichtiger Teil des grünen Wandels – unerlässlich für die Elektrifizierung, die ihrerseits für die Dekarbonisierung notwendig ist.
Von Luciano Diana, Senior Investment Manager Global Environmental Opportunities Strategy, Pictet AM
1 https://www.semiconductor-digest.com/water-supply-challenges-for-the-semiconductor-industry
2 IEA Global Energy Review 2021, SEMI
3 Internationale Energieagentur
4 World Energy Transitions Outlook 2023, IRENA
5 https://straitsresearch.com/press-release/global-power-semiconductor-market-size
6 IEA Global Energy Review 2021, SEMI
7 https://www.semi.org/en/industry-groups/semiconductor-climate-consortium
8 https://www.eenewseurope.com/en/imecs-virtual-fab-models-climate-impact-of-chipmaking-processes/
9 MSCI, Industry Report: Semiconductors & Semiconductor Equipment, 2022
10 https://smarter2030.gesi.org/downloads/Full_report.pdf
11 WRI, IPCC, GeSI, SMARTer2020, Accenture, Pictet Asset Management