Asset-Allocation: Vorsicht vor „Goldlöckchen“ Reflations-Szenario
Zu Beginn des Jahres 2023 trübten sich die Aussichten für die globale Wirtschaft ein. Es wurde befürchtet, dass die galoppierende Inflation und höhere Zinssätze eine weltweite Rezession auslösen würden.
Jetzt, ein Jahr später, sieht die wirtschaftliche Landschaft ganz anders aus.
Die globale Wirtschaft verliert vielleicht an Dynamik, aber sie ist robust genug, um einer harten Landung zu entgehen. Die Inflation ist weltweit rückläufig, wenn auch unregelmäßig. Das wird die meisten großen Zentralbanken dazu veranlassen, ihre Straffungskampagne zu beenden und in den kommenden Monaten mit Zinssenkungen zu beginnen.
Die Erwartung eines solchen Goldlöckchen-Szenarios hat in den letzten Wochen zu einem starken Reflation Trade an den Kapitalmärkten geführt. Wir bleiben jedoch vorsichtig – nicht zuletzt, weil die Investoren ausgerechnet jetzt, wo sich das Jahr dem Ende neigt und die Marktdynamik die Preise möglicherweise verzerrt, dazu neigen, voreilige Entscheidungen zu treffen.
Wir bevorzugen daher für unsere Asset-Allocation eine Benchmark-Gewichtung und setzen Anleihen auf neutral herab und Cash auf neutral hoch. Wir bleiben in Aktien neutral gewichtet.
Abb. 1. Monatsübersicht: Asset-Allocation
JANUAR 2024
Unsere Konjunkturzyklusanalyse zeigt, dass die USA in absehbarer Zeit wohl kaum wieder das Wachstum in den Industrieländern anführen werden. Das verarbeitende Gewerbe und der Immobiliensektor haben an Dynamik verloren und die Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich das Investitionsgeschehen in den kommenden Monaten abschwächen wird, was sich mit der insgesamt schwachen Ausgabenbereitschaft deckt.
Außerdem gehen wir davon aus, dass der Dienstleistungskonsum in den USA bald zurückgehen wird. Dies liegt daran, dass die US-Verbraucher ihre überschüssigen Ersparnisse nach und nach aufbrauchen und diese von einem Höchststand von 1,8 Bio. US-Dollar Mitte 2021 auf nur noch 337 Mrd. US-Dollar im Oktober gefallen sind.
Nach unserer Einschätzung dürfte diese Zahl zum Ende des ersten Quartals 2024 auf Null sinken. Gleichzeitig gibt es auf dem US-Arbeitsmarkt erste Anzeichen von Schwäche. Die Zahl der offenen Stellen ist seit dem Höchststand Mitte 2022 um etwa 3 Millionen gesunken.
Da die Inflation schneller sinkt als bisher angenommen, gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank die Zinssätze im nächsten Jahr drei- bis viermal senken wird. Dies dürfte dazu beitragen, die Realzinsen auf dem aktuellen Niveau zu halten. Die Zahl der Lockerungsschritte wird jedoch geringer sein als aktuell eingepreist.
Abb. 2 – US-Anleiherenditen im Verhältnis zu Inflationserwartungen zu niedrig?
Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen vs. Breakeven-Inflation, %
* Die detrendierte Rendite ist um Trendeffekte bereinigt. Dadurch werden nur die wertmässigen Abweichungen vom Trend aufgezeigt, sodass sich daran zyklische Muster ablesen lassen. Quelle: Refinitiv, Bloomberg, Pictet Asset Management; Daten beziehen sich auf den Zeitraum 18.20.2020 – 20.12.2023.
Unsere Liquiditätsanalyse bestätigt uns in unserer neutralen Asset-Allocation.
Die globale Überschussliquidität – die Differenz zwischen Anstieg der Geldmenge und nominalem BIP-Wachstum – liegt leicht im positiven Bereich. Künftige Zinssenkungen der Fed würden unseres Erachtens darauf abzielen, zu hohe Realzinsen zu vermeiden. Die Markterwartungen, in denen sich eine Lockerung um 150 Basispunkte widerspiegelt – also doppelt so viel wie von der US-Notenbank auf ihrer jüngsten Sitzung signalisiert –, erscheinen daher überzogen. Auch andere Zentralbanken werden angesichts des Risikos, die Inflation wieder anzufachen, kaum aggressive Zinssenkungen vornehmen.
Bei China allerdings sind wir der Meinung, dass die Geldpolitik zu wenig gelockert wird. Die Währungsbehörden werden nicht umhin kommen, weitere Zinssenkungen vorzunehmen, um den aus dem strukturellen Schuldenabbau erwachsenden Kräften entgegenzuwirken, die Risiken für die hoch verschuldeten Sektoren der Wirtschaft bergen.
Unser Bewertungsmodell zeigt, dass Aktien auch nach der Anleihen-Rally teuer bleiben, insbesondere in den USA, wo die Risikoprämie für Aktien auf einem Mehrjahrestief von 3,8% liegt. Wir gehen davon aus, dass das Wachstum der Unternehmensgewinne in den Industrieländern deutlich unter dem Konsens liegen wird, insbesondere in den USA, wo unser Basisszenario ein EPS-Wachstum von 2,5% vorsieht – und damit weniger als ein Fünftel der Marktschätzungen. Zwar bieten Anleihen, insbesondere US-Treasuries, längerfristig Wert, doch scheint die Anlageklasse angesichts der jüngsten Rally leicht überkauft zu sein.
Unsere markttechnischen Indikatoren sind sowohl für Aktien als auch für Anleihen neutral.
Aktienregionen und -sektoren: Zu früh vorgeprescht
Die Spitzenperformance des Aktienmarktes zum Jahresende brachte in etwas mehr als einem Monat ein Großteil dessen, was wir eigentlich für das Gesamtjahr 2024 erwartet hatten. Daher bleiben wir trotz positiver Signale der US-Notenbank Fed zu möglicherweise baldigen Zinssetzungen zurückhaltend gegenüber dieser Anlagekasse.
Die Investoren haben schnell ein Goldlöckchen-Szenario mit schnell fallender Inflation und demzufolge Zinssenkungen in einem Umfeld relativ stabilen Wachstums eingepreist. Vor allem US-Aktien scheinen sowohl gemessen an markttechnischen Faktoren als auch an den Bewertungen übermütig geworden zu sein, daher bleiben wir an dem Markt untergewichtet.
Auch ein Vergleich der KGVs von US-Aktien mit Indikatoren für die Marktvolatilität lässt die Alarmglocken klingeln.
Gemessen am VIX-Index war das KGV von US-Aktien in den letzten 30 Jahren nur ein einziges Mal höher als im Moment (Abb. 3). Isoliert betrachtet deutet dies darauf hin, dass US-Aktien im kommenden Jahr um 15% hinter Anleihen zurückbleiben werden. Auf KGV-Basis ist der Markt dagegen um etwa 5% überbewertet. Demzufolge kann ein weiterer Anstieg bei US-Aktien nur durch eine Zunahme des Wachstums der Unternehmensgewinne zustande kommen.
Abb. 3 – Überzogene Bewertungen?
S&P 500 Index ggü. erwartetem KGV für die nächsten 12 Monate im S&P 500 dividiert durch VIX-Index
Quelle: Refinitiv, Pictet Asset Management. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 29.06.1990–15.12.2023.
Natürlich wird die Liquidität der Fed maßgeblich das Verhalten der Aktienmärkte bestimmen. Seit der Pandemie sind nach unseren Berechnungen etwa 80 Prozent der Schwankungen am US-Aktienmarkt auf die relative Liquiditätsposition der Fed zurückzuführen. Markttechnische Faktoren im Zusammenhang mit den geldpolitischen Maßnahmen der Fed in den kommenden Monaten könnten noch ein paar Prozentpunkte aus dieser Rallye herausholen.
Wenn der US-Markt wieder teurer wird, werden Aktien anderer Länder wieder interessant. Wir bleiben daher in Schweizer und japanischen Aktien übergewichtet. Der Schweizer Markt ist auf Qualitätstitel ausgerichtet, in die die Investoren nach unserem Dafürhalten in dieser Phase des Konjunkturzyklus ihr Kapital lenken sollten. Aufgrund der starken Performance japanischer Aktien in diesem Jahr bietet der Markt jetzt weniger Wertpotenzial, wird aber durch den strukturellen Rückenwind gestützt, der von der Befreiung von der Deflation und der entschlossenen Corporate-Governance-Reformagenda ausgeht.
Bei den Sektoren bevorzugen wir weiterhin Qualität und Value. Wir bleiben in Energie übergewichtet. Obwohl die Ölpreise gesunken sind, dürfte ein Rückgang der Zinssätze die Nachfrage ankurbeln. Gleichzeitig könnten die Spannungen im Nahen Osten, und nicht zuletzt die Angriffe auf Containerschiffe im Roten Meer durch jemenitische Rebellen und Piraten, zu einem sprunghaften Anstieg der Rohölpreise führen.
Das schwächere wirtschaftliche Umfeld dürfte Basiskonsumgütern weiterhin zugute kommen. Hier sind wir stärker gewichtet als der Index. In zyklischen Konsumgütern dagegen bleiben wir untergewichtet. Das Konsumverhalten der US-Verbraucher ist bislang überraschend robust, aber nach unserer Einschätzung gehen von einkommensschwachen Haushalten und dem Arbeitsmarkt Warnsignale aus.
Längerfristig wird die Entwicklung der Aktienmärkte davon abhängen, ob die Volkswirtschaften zu Disinflation und Zinssätzen nahe Null wie nach der globalen Finanzkrise oder zu einer stärkeren Inflation und höheren Realzinsen wie vor 2008 zurückkehren werden.
Anleihen und Währungen: Wachstumsvorsprung für Schwellenländer
Wie heißt es so schön: Je seltener, desto wertvoller. Im nächsten Jahr, wenn sich die Weltwirtschaft abkühlt, wird Wachstum zu einem immer selteneren Gut werden. Die Schwellenländer werden zu den wenigen Regionen gehören, in denen es noch zu finden ist – und das dürfte EM-Lokalwährungsanleihen in die Hände spielen.
Wir gehen davon aus, dass sich das Wachstum in den Industrieländern im Jahr 2024 nahezu halbieren wird, auf 0,8%, und damit unter das Potenzial sinkt. Dagegen dürfte sich das Wachstumstempo in den Schwellenländern leicht beschleunigen, auf 3,9%, also knapp über das Potenzial. Unsere Untersuchungen zeigen, dass eine deutliche und steigende Wachstumsprämie tendenziell den Schwellenländerwährungen und -anleihen zugute kommt. Das ist für uns der Hauptgrund, warum wir EM-Lokalwährungsanleihen weiterhin übergewichten.
Auch bei US-Staatsanleihen sehen wir trotz der ausgeprägten jüngsten Rally Potenzial. Zum einen erscheinen US-Anleihen im Vergleich zu US-Aktien unseren Bewertungsmodellen zufolge weiter attraktiv. Zum anderen entwickeln sich US-Staatsanleihen in Zeiten erhöhter Risikoaversion in der Regel gut und könnten daher eine nützliche Absicherung in einem Jahr sein, in dem die weltweiten politischen Spannungen wahrscheinlich erhöht bleiben, in vielen Ländern (nicht zuletzt in den USA selbst) Wahlen anstehen und viel Unsicherheit über die Entwicklung von Wachstum, Inflation und Zinssätzen herrscht.
Angesichts der aktuell relativ flachen US-Renditekurve sehen wir das meiste Potenzial bei kürzeren Laufzeiten (bis zu etwa fünf Jahren). Unsere Inflations- und Wachstumsprognosen lassen für die 10-jährige Benchmark-Anleihe eine Fair-Value-Rendite von 3,75% erwarten, gegenüber den aktuell etwa 3,9%. Da die Inflationserwartungen wieder auf das Niveau vor Covid zurückgekehrt sind, sehen wir Wertpotenzial bei inflationsgeschützten US-Anleihen, insbesondere für globale Multi-Asset-Portfolios.
Abb. 4 – Renditevorteil
Staatsanleihen von Industrie- und Schwellenländern, 10-jährige Realrenditen, %
Quelle: Refinitiv Datastream, IWF, Pictet Asset Management. * Realrendite basiert auf der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen in Lokalwährung abzüglich der erwarteten langfristigen Inflationsrate (anhand der IWF-Prognosen für 2028). Daten beziehen sich auf den Zeitraum 19.12.2018–19.12.2023.
An den Anleihemärkten bevorzugen wir weiterhin Anleihen höherer Qualität, insbesondere US-Investment-Grade-Anleihen.
Anleihen haben sich sehr gut behauptet, und das in einer Zeit, in der sich das Wirtschaftswachstum abgekühlt hat und die Erwartungen an das Wachstum der Unternehmensgewinne zurückgeschraubt wurden.
Dennoch sind Hochzinsanleihen nicht besonders attraktiv.
Der jüngste Rückgang der Anleiherenditen senkt zwar die Refinanzierungskosten für Emittenten ohne Investment-Grade-Rating, doch sind die Spreads für US-Hochzinsanleihen (rund 350 Basispunkte per Ende Dezember 2023) unseres Erachtens angesichts der für nächstes Jahr zu erwartenden steigenden Ausfallraten zu niedrig. Genau genommen ist dies das teuerste Anleihesegment in unserer Bewertungsmatrix.
Bei den Währungen sehen wir einen weiteren Rückgang des US-Dollars.
Da die US-Zinssätze sinken – wir rechnen mit drei bis vier Zinssenkungen im Jahr 2024 ,– werden Zinsunterschiede keine Stütze mehr für den Greenback sein. Der Dollar gerät auch aufgrund seiner teuren Bewertung und der Tatsache, dass die relative Leistung der US-Wirtschaft ihren höchsten Stand erreicht hat, unter Druck. Nutznießer des Dollarabschwungs sind unter anderem die Währungen der Schwellenländer. Aber auch gegenüber dem japanischen Yen und dem Schweizer Franken sind wir positiv gestimmt. Sowohl in Japan als auch in der Schweiz wird die Geldpolitik im Vergleich zu den übrigen Industrieländern stärker gestrafft werden.
Der Yen ist nach unseren Modellen um etwa 20–30 Prozent unterbewertet, und im Gegensatz zu anderen großen Zentralbanken schlägt die Bank of Japan (BoJ) einen restriktiven Kurs ein. Wir gehen davon aus, dass die bevorstehende geldpolitische Normalisierung durch die BoJ und die Kapitalzuflüsse starke Katalysatoren sein werden, die den Yen nach oben treiben.
Der Schweizer Franken dagegen profitiert von seinen defensiven Eigenschaften sowie dem inflationsfreien Wachstum und der Haushaltsdisziplin des Landes.
Wir sind auch in Gold weiterhin übergewichtet. Unser Preisziel liegt bei 2150 pro Unze bis Ende 2024. Gold ist nicht günstig, aber der erwartete Rückgang des Dollars und der US-Zinssätze sowie das schwache weltweite Angebot sind erhebliche Belastungsfaktoren.
Globale Märkte: Aktien im Kommen
Der Dezember war für Anleihen wie auch Aktien ein weiterer Monat mit kräftigen Zuwächsen, sodass sich die Rally fortsetzte, die zu Beginn des vierten Quartals ihren Anfang genommen hatte. Der Anstieg zum Jahresende bescherte dem MSCI World Index 2023 einen beachtlichen Zuwachs von 22% in Lokalwährung und damit das beste Jahresergebnis seit 2019, da die Investoren das Ende der Zinsanhebungen ausriefen und sich auf die wahrscheinliche Lockerung der Geldpolitik im Jahr 2024 einstimmten.
Besonders ausgeprägt war die Rally in den USA, wo der S&P 500 das Jahr unmittelbar in der Nähe seines Allzeithochs beendete, nachdem Fed-Chef Jerome Powell erklärt hatte, die Zentralbank habe „genug getan“ und die Zinsen seien „wahrscheinlich auf oder nahe“ ihrem höchsten Stand. Die Aktienmärkte wurden auch durch die aktualisierten Prognosen der Fed beflügelt, die auf eine Zinssenkung um 75 Basispunkte im Jahr 2024 hindeuten.
Kommen wir nun zu japanischen Aktien, die ihr bestes Jahr seit zehn Jahren hatten. Der Nikkei legte um 27% zu, da sich die Wirtschaft weiterhin gut entwickelt, die Deflation der Inflation gewichen ist und sich die jahrelangen Corporate-Governance-Reformbemühungen auszuzahlen scheinen.
Im Dezember verzeichneten die meisten Sektoren auf breiter Front Zuwächse, mit Ausnahme des Energiesektors, der durch den Rückgang der Ölpreise gebremst wurde. Im Gesamtjahr waren IT und Kommunikationsdienste die klaren Gewinner.
Abb. 5 – Wette auf niedrigere Zinssätze
Globale Aktien vs. Zinserwartungen
Quelle: Refinitiv Datastream, Pictet Asset Management. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 13.12.2022–19.12.2023.
Asset-Allocation Wir bevorzugen für unsere Asset-Allocation eine Benchmark-Gewichtung, daher setzen wir Anleihen auf neutral herab und Cash auf neutral hoch. Wir bleiben in Aktien neutral gewichtet. Aktienregionen und -sektoren Wir bleiben in US-Aktien untergewichtet, die im Vergleich zu anderen Märkten teuer erscheinen, und in Schweizer und japanischen Aktien übergewichtet, hier mit einer Übergewichtung in Qualitätsaktien. Anleihen und Währungen Schwellenländeranleihen in Lokalwährung dürften von dem sich ausweitenden Wachstumsgefälle gegenüber den Industrieländern und der Abwertung des US-Dollars profitieren.