Der große ökologische und materielle Fußabdruck des Bausektors stellt eine Gefahr für die weltweiten Netto-Null-Ziele dar.
Die Branche allein ist für rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Darüber hinaus ist die bebaute Umwelt auch für zahlreiche andere ökologische Probleme verantwortlich, wie übermäßiger Wasserverbrauch, Stromverbrauch und Abfall in ähnlicher Größenordnung.
Aber es gibt immer mehr Gründe, an einen Wandel zu glauben:
Der 9 Bio. US-Dollar schwere Sektor entwickelt in schnellem Tempo neue Technologien und Konzepte, die für Investoren attraktiv sind und mit denen grundlegende Veränderungen möglich sind. Das wiederum könnte auch die globalen Bemühungen um eine Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigen.
Zu diesem Schluss kamen die Teilnehmer des The Klosters Forum (TKF) im letzten Jahr, einer Konferenz, die dem Thema „Nachhaltige Immobilien“ gewidmet war und an der Experten aus allen Bereichen des Sektors teilnahmen, darunter Entwickler, Investoren, Architekten, Unternehmer und Wissenschaftler. Die Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, die etablierten Praktiken der Baubranche zu hinterfragen und eine Blaupause für eine nachhaltigere Zukunft zu entwerfen.
Bauen. Zerstören. Und wieder von vorn.
In den drei Tagen intensiver Diskussionen standen einige Themen besonders im Fokus, zum Beispiel, wie die gebaute Umwelt klimaneutral gestaltet werden kann.
Den Teilnehmern wurde vor Augen geführt, dass traditionelle Bautechniken der Umwelt – Land, Wasser und biologische Vielfalt – irreparablen Schaden zufügen. Es wurde auch infrage gestellt, ob wir überhaupt neue Gebäude brauchen.
Denn die Bauphase eines Gebäudes ist die Phase, die die Umwelt am meisten belastet. Hier werden 90 Prozent der eingebetteten Emissionen verursacht, das entspricht mehreren Millionen Tonnen CO2, die während des Lebenszyklus von Baustoffen – Gewinnung, Herstellung, Transport, Bau und Entsorgung – freigesetzt werden.
Die Teilnehmer schlugen vor, dass die Industrieländer, die bereits über einen ausreichenden Gebäudebestand verfügen, sich daher auf Modernisierung und Nachrüstung („Retrofitting“) und Sanierung konzentrieren sollten.
Umbau von Büros in Wohnraum
Eine besondere clevere Art des Retrofitting, so erfuhren die Konferenzteilnehmer, besteht darin, leerstehende Büroflächen in Wohnraum umzuwandeln und flexible und nutzungsgemischte Strukturen zu entwickeln.
Drei Jahre nach der Pandemie stehen immer noch etliche Büroflächen leer, da sich im Zuge von Covid auch das Verhalten der Menschen nachhaltig geändert hat: weniger Präsenz im Büro, Wegzug aus den Städten und geringere Bereitschaft, in bürolastigen Vierteln einkaufen zu gehen. Gleichzeitig ist das Angebot an Wohnraum knapp, insbesondere an bezahlbaren Wohnungen in den Innenstädten.
Das Beratungsunternehmen McKinsey geht davon aus, dass die Nachfrage nach Büroflächen im pessimistischen Szenario bis 2030 um 38% gegenüber 2019 zurückgehen könnte.1 Durch die sinkende Nachfrage wird auch der Wert der Immobilien abnehmen. In den neun untersuchten Städten stehen im gemäßigten Szenario bis 2030 insgesamt 800 Mrd. US-Dollar real auf dem Spiel.
Hier wäre eine Umwandlung von Büroflächen in Wohnraum sinnvoll.
Das Immobilienunternehmen JLL geht davon aus, dass knapp 25 Mio. Quadratmeter leerstehende Büroflächen in den 35 größten europäischen Städten zu 500.000 Wohnungen umgebaut werden könnten.2 Wendet man die aktuellen Kapitalwerte für Wohnimmobilien für jede Stadt auf diese leerstehenden Flächen an, könnten die zehn größten Städte über 100 Mrd. Euro an Investitionsmöglichkeiten bieten.
Diese Möglichkeiten sind in den USA begrenzter, wo die großen Wolkenkratzer in die Breite gebaut und daher im Kern dunkel sind. In Europa dagegen sind die Bürogebäude in der Regel nicht ganz so hoch und dafür schmaler, sodass mehr Tageslicht einfällt, was Grundvoraussetzung für eine Umnutzung zu Wohnzwecken ist. Allein in London, wo die Nachfrage nach Mietwohnungen das Angebot in den nächsten zehn Jahren um mehr als 100.000 Wohnungen übersteigen dürfte, könnte aus den aktuell leerstehenden Flächen 43.000 Wohnungen entstehen. Hier bieten sich nach Schätzungen von JLL Investitionsmöglichkeiten im Volumen von 21 Mrd. Euro.
Aber bislang war es schwer, für solche Projekte Investoren zu finden. Immobilieninvestoren sind beim Kauf von Hybridgebäuden eher zurückhaltend – unter anderem, weil die Bewertung einer gemischt genutzten Immobilie kompliziert ist, egal ob es sich um Büro-, Wohn- oder Einzelhandelsflächen handelt.
Das sollte jedoch mit der Zeit einfacher werden. In Regionen wie Mitteleuropa fördern die lokalen Behörden zunehmend das Konzept der „15-Minuten-Stadt“, in der die meisten Dinge und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs vom Wohnort aus innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sind.
Intelligent bauen
Auch die Bauindustrie ist auf der Suche nach intelligenten Bautechnologien und innovativen und regenerativen Materialien, um ihren CO2-Fußabdruck weiter zu verringern.
Holz hat in den letzten Jahren dank neuartiger Konstruktionstechnologien wie Kreuzlagenholz (KLH) an Beliebtheit gewonnen. Es wächst auch das Interesse, Holz mit anderen natürlichen Materialien wie beispielsweise Lehm zu kombinieren, um die Gesamtleistung zu verbessern, auch ohne Beton.
Ein Unternehmen, das diese Technologie bereits einsetzt, ist das Schweizer Unternehmen Rematter. Mithilfe von Hightech-Robotern werden Bodenplatten aus Low-Tech-Materialien hergestellt – Vollholzträger mit Lehmausfachungen.
Die hybriden Bodenplatten sind genauso haltbar, schalldämmend und feuerbeständig wie Beton, haben aber im Vergleich zu Beton 80% weniger eingebettetes CO2.
In der Vergangenheit waren Lehmbauten in der Regel teuer, da sie von Hand errichtet werden mussten. Das Unternehmen hat einen Weg gefunden, das Verfahren kostengünstig zu gestalten: Es kombiniert intelligentes Produktdesign mit Robotertechnik, um seine Lehm-Holz-Deckenelemente in einer kontrollierten Umgebung vorzufertigen. Außerdem werden die Materialien vor Ort bezogen, was die Transportkosten und den ökologischen Fußabdruck reduziert.
„Selbst in der Schweiz ist Lehm als Rohstoff sehr günstig und kann oftmals aus Aushubmaterial gewonnen werden“, sagt Götz Hilber, Mitgründer von Rematter und Teilnehmer des TKF.
Lebenswertere und nachhaltigere Städte bauen
Unsere Städte wachsen schnell und bis zum Jahr 2030 werden schätzungsweise 1,2 Mio. km2 neue bebaute Flächen entstehen.3 Diese Zersiedelung setzt jedoch die Bodenflächen und natürlichen Ressourcen unter Druck und erhöht die Gefährdung der Städte durch Klima- und Katastrophenrisiken.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen braucht es eine Reihe von Lösungen und eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen Stadtplanern, Entwicklern, Behörden und Investoren.
Die städtischen Gebäude der Zukunft müssen flexiblen Raum für Arbeit, Wohnen und Freizeit bieten und gleichzeitig einen niedrigen CO2-Fußabdruck aufweisen. Durch die Nutzung intelligenter Bautechnologien und -stoffe, die es bereits gibt, kann diese Vision Realität werden.
Von Zsolt Kohalmi, Deputy CEO & Global Head of Real Estate bei Pictet Asset Management
1 https://www.mckinsey.com/mgi/our-research/empty-spaces-and-hybrid-places#/
2 https://www.jll.co.uk/en/trends-and-insights/research/talking-points/can-obsolete-offices-point-the-way-for-living-investors
3 Weltbank