Nachhaltiger Flugkraftstoff: Auf dem Weg zu Jet Zero

Nachhaltiger Flugkraftstoff könnte den Weg für eine klimafreundlichere Luftfahrt ebnen – und das Abfallvolumen in anderen Branchen, wie der Lebensmittelindustrie, verringern. Pictet Asset Management | 19.06.2024 12:08 Uhr
© Foto von Ross Parmly auf Unsplash
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Während die Luftfahrtindustrie nach Möglichkeiten sucht, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, sind sehr ungewöhnliche Lösungen am Start – Schmieröl, recyceltes Speiseöl und tierische Fette. Als recyceltes Küchennebenprodukt erweist sich Speiseöl als innovative Möglichkeit, den Flugverkehr klimafreundlicher zu gestalten.

Aktuell verursacht die Luftfahrt etwa 2 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.1 Da die Nachfrage nach Flügen bis Mitte des 21. Jahrhunderts vermutlich zunehmen wird, könnte dieser Anteil noch mehr steigen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Als Reaktion darauf hat sich die Branche das Ziel gesetzt, bis 2050 Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen.

Aber das ist keine leichte Aufgabe. Eine der Lösungen könnte nachhaltiger Flugkraftstoff (SAF) sein – eine Klasse von Biokraftstoffen, die aus pflanzlichen oder tierischen Materialien und nicht aus fossilen Quellen hergestellt werden. Ein Biokraftstoff gilt als nachhaltig, wenn seine Bestandteile nicht mit dem Anbau von Kulturpflanzen oder der Ressourcennutzung konkurrieren und im weiteren Sinne keine Umweltprobleme wie Abholzung, Verlust der Bodenproduktivität oder Verlust der biologischen Vielfalt verursachen. 

„Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht in etwas investieren, das schlimmer ist als fossile Brennstoffe“, sagt Jane O'Malley, Forscherin beim International Council on Clean Transportation.

Zu den Materialien, die diese Fallstricke vermeiden, gehören Altfette, -öle und -schmierstoffe, feste Siedlungsabfälle sowie land- und forstwirtschaftliche Reststoffe. Bei der SAF-Produktion werden aufgrund der Energie, die für den Transport der Rohstoffe und die Raffination des Kraftstoffs benötigt wird, zusätzliche Emissionen freigesetzt. Insgesamt hat SAF jedoch das Potenzial, die CO2-Emissionen des Luftverkehrs um 80 Prozent zu senken – ein bedeutender Fortschritt auf dem Weg zur Erreichung der Netto-Null-Ziele der Branche.2

Andere Alternativen zu fossilen Brennstoffen, wie Elektroflugzeuge und Wasserstoffantrieb, werden wahrscheinlich ebenfalls eine Rolle in einer saubereren Luftfahrtindustrie spielen, sind aber kurzfristig und im Rahmen der bestehenden Infrastruktur nicht so gut zu realisieren. Es kann bis 2030 oder noch länger dauern, bis kommerzielle Elektroflugzeuge technisch und finanziell realisierbar sind. Selbst dann werden solche Flugzeuge wahrscheinlich nur eine kurze Reichweite haben, da die eher geringe Energiekapazität der Batterien die Flugreichweite deutlich begrenzt. Die Entfernung ist auch ein Problem für Wasserstoff, da die Mitnahme im Flugzeug in flüssiger Form für Langstreckenflüge schwierig ist.

Im Gegensatz dazu ist SAF ein vollwertiger Ersatz für Flugkraftstoff, das heißt, er ist mit den vorhandenen Flugzeugtriebwerken und der Betankungsinfrastruktur kompatibel.

„Wir brauchen Technologien, die die bestehende Infrastruktur und die vorhandenen Rohstoffe nutzen, und zwar solche, die keine größeren Auswirkungen auf die Umwelt haben“, so Derek Vardon, CTO von Alder Renewables, einem US-amerikanischen SAF-Unternehmen.

Tim Obitts, CEO des Unternehmens, schließt sich dem an: „Wir brauchen eine Lösung, die ein hundertprozentiger Ersatz ist. Wir können nicht zwei verschiedene Infrastrukturen an den Flughäfen haben.“

Alder Renewables will dieses Problem mit einem nachhaltigen Kraftstoff lösen, der in herkömmlichen Ölraffinerien verarbeitet werden kann. „Sobald die Raffinerien den Markt betreten, wird die SAF-Produktion wirklich wirtschaftlich sein“, sagt Obitts.

Herstellungsverfahren

Es gibt verschiedene Verfahren zur Umwandlung von Rohstoffen in SAF, aber das einzige Verfahren, das derzeit in großem Maßstab eingesetzt wird, ist HEFA (Hydrotreated Esters and Fatty Acids). Dabei werden Fette, Öle und Schmierstoffe in Kraftstoff umwandelt, der mit 90 Prozent die höchste Umwandlungsrate aller Verfahren aufweist. Das finnische Unternehmen Neste beispielsweise stellt Kraftstoff aus Speiseöl und tierischen Abfallfetten her, der auf Flughäfen in aller Welt erhältlich ist. Air BP erforscht das gleiche Verfahren.

„Biokraftstoffe aus Ölen können im Wesentlichen mit der vorhandenen Raffinerieinfrastruktur hergestellt werden, da sie den Kohlenwasserstoffen aus fossilem Erdöl recht ähnlich sind“, sagt O'Malley. „Einige Unternehmen arbeiten bereits an der Umstellung ihrer Anlagen.“

Da es nur ein begrenztes Angebot an Fetten, Ölen und Schmierstoffen gibt, wird eine breitere Palette von Technologien benötigt. Eine davon ist Alcohol-to-Jet (AtJ), bei dem zucker- oder stärkehaltige Biomasse wie Zuckerrohr, Zuckerrüben, Pflanzentrockenmasse und Maiskörner zu Ethanol oder anderen Alkoholen vergoren wird, die dann in Kraftstoff umgewandelt werden. Ein weiteres Verfahren ist die Fischer-Tropsch (FT)-Synthese, bei der kohlenstoffhaltige Materialien wie feste Siedlungsabfälle, Kohle, Asche und Sägemehl in Kraftstoff umgewandelt werden. Alder Renewables untersucht die Verwendung von landwirtschaftlichen Reststoffen, Holzabfällen und Non-Food-Pflanzen wie Miscanthus, einem hohen blühenden Ziergras, für SAF-Produkte.

Nicht kleckern, sondern klotzen

Nach der Herstellung muss SAF noch mit herkömmlichem Kerosin gemischt werden. Die maximal zulässige Beimischungsquote auf kommerziellen Flügen beträgt 50 Prozent, aber es besteht die Hoffnung, dass die Fluggesellschaften bis 2030 100 Prozent SAF verwenden können. Im November 2023 führte Virgin Atlantic den allerersten Flug mit 100 Prozent SAF von London Heathrow nach New York JFK durch, mit einer Sondergenehmigung und ohne zahlende Passagiere. Der Kraftstoff bestand zu 88 Prozent aus HEFA aus Abfallfetten und zu 12 Prozent aus synthetischem Kerosin aus pflanzlichem Zucker.

Im Jahr 2023 hat sich die SAF-Produktion auf 600 Millionen Liter verdreifacht.3 Allerdings liegt der Anteil am Flugkraftstoffverbrauch immer noch bei mageren 0,2 Prozent – angestrebt werden 19 Prozent bis 2040 gemäß dem Szenario für nachhaltige Entwicklung der Internationalen Energieagentur.4

Die größten Hindernisse sind die hohen Kosten, die mit Innovation und den Produktionsmethoden verbunden sind. Keines der Verfahren kann aus Kostenperspektive bisher mit herkömmlichem Kerosin konkurrieren. Es gibt Initiativen, die die Umstellung vereinfachen sollen. Im Rahmen einer kürzlich erfolgten Überarbeitung des EU-Emissionshandelssystems (ETS) werden die von den Fluggesellschaften in das System eingezahlten Mittel nun in Form von SAF-Zertifikaten in den Markt reinvestiert – davon profitieren Fluggesellschaften, die konventionellen Kraftstoff durch SAF ersetzen wollen. Diese Zertifikate decken bis zu 95 Prozent der Kostendifferenz zwischen SAF und herkömmlichen Kraftstoffen ab. Der US-Kongress hat den Sustainable Skies Act vorgeschlagen, um die Verwendung von SAF durch eine Steuergutschrift und einen Zuschuss zur Ausweitung der SAF-Produktion zu fördern. Auch in Asien ist das Interesse groß: China hat über 1 Million Megatonnen Altspeiseöl für die SAF-Produktion exportiert, darunter erhebliche Mengen nach Malaysia und Singapur. Indonesien ist bestrebt, die heimische Verarbeitung von Altspeiseöl auszubauen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass SAF eine geringere Energiedichte als herkömmlicher Düsentreibstoff hat, sodass Flugzeuge bei gleicher Menge nicht so weit fliegen können – wenn auch immer noch weiter als Elektroflugzeuge (zumindest mit der derzeitigen Technologie).

Hinzu kommt das Verfahren für die Zulassung neuer Luftfahrttechnologien, für das die American Society for Testing and Materials (ASTM) zuständig ist, eine freiwillige globale Normungsorganisation, die von technischen und kaufmännischen Experten aus 140 Ländern geleitet wird. „Der Prozess der ASTM-Zulassung von Kraftstoffen dauert Jahre und verschlingt viel Geld, sodass es für kleine Unternehmen schwierig ist, sich schnell anzupassen“, sagt Obitts. „Die Fluggesellschaften wollen im Moment nicht mehr zahlen, wenn sie nicht dazu gezwungen werden. Das ist wie David gegen Goliath, wenn neue Technologien auftauchen und sich durchsetzen wollen, denn die Raffinerien sind sehr konservativ in ihrem Ansatz.“ 

Letztlich wird SAF nur ein Teil der Lösung für die Dekarbonisierung des Luftverkehrs sein, aber ein entscheidender. „Der Weg zur Netto-Null führt über einen diversifizierten Mix unterschiedlicher Rohstoffe“, sagt O'Malley.

Einblicke für Investoren

von Stephen Freedman, Head of Research and Sustainability, Thematic Equities, Pictet Asset Management

  • Ohne Abhilfemaßnahmen wird die Luftfahrtindustrie bis 2050 schätzungsweise 20 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen – zehnmal mehr als heute. Der Schlüssel zur Netto-Null ist ein grundlegender Wandel. Die Luftfahrtindustrie folgt dem Ruf nach mehr Nachhaltigkeit, und wir erwarten ein starkes Wachstum der Nachfrage nach entsprechenden Lösungen. 
  • Dazu gehören die Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe (einschließlich solcher aus Abfallstoffen, aber auch andere Optionen wie grüner Wasserstoff), eine verbesserte Kraftstoffeffizienz (z. B. durch den Einsatz von Antriebsmotoren) und eine unterstützende Infrastruktur (z. B. Energieversorgung für diese Flugzeuge wie Ladestationen, Stromnetze, Batteriespeicher und Verteilungsnetz für nachhaltige Kraftstoffe). Daraus ergeben sich Möglichkeiten, in Unternehmen zu investieren, die den Wandel vorantreiben, wie z. B. Ölproduzenten, die in Biokraftstoffe investieren. Das ist eines der Themen unserer Positive Change Strategie, die darauf abzielt, in Unternehmen zu investieren, die das Potenzial haben, den Übergang zu einer nachhaltigen Zukunft voranzutreiben.
  • Die Entwicklung nachhaltiger Flugkraftstoffe auf der Grundlage von landwirtschaftlichen Reststoffen und Lebensmittelabfällen könnte auch die Nachhaltigkeit der Lebensmittelindustrie verbessern. Die Dynamik der Abfallreduzierung wird durch Vorschriften unterstützt – die Europäische Union beispielsweise strebt eine 50%ige Reduzierung der Lebensmittelabfälle pro Kopf bis 2030 an, um die Ernährungssicherheit zu verbessern und die durch Lebensmittelabfälle verursachten Emissionen zu verringern. Die Möglichkeit, Lebensmittelabfälle in erneuerbare Kraftstoffe für den Straßen- und Luftverkehr umzuwandeln, stellt eine interessante langfristige Chance dar, die wir im Rahmen unserer Nutrition Strategie aufmerksam verfolgen.
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