China kann nach Ansicht des Experten einen deflatorischen Impuls für die Preise von Vermögenswerten setzen, so wie die chinesische Wirtschaft es zuvor bereits für die Konsumgüterpreise getan habe. Tinker erläutert seine Theorie anhand eines anderen Beispiels: „Wenn wir auf die Generation der Babyboomers blicken, dann erkennen wir, dass sie einen inflationären Impuls mit sich tragen. Das überrascht nicht, da sie dazu neigen, eine erhöhte Nachfrage zu produzieren, was mit Verzögerung wiederum zu einer erhöhten Produktion führt.“ Das wiederum führe zu einer gegenteiligen Entwicklung, nämlich einer Disinflation, weil das neue Angebot die Nachfrage übersteige. So habe etwa die durch die Altersvorsorgepläne der Babyboomer angeregte Nachfrage in den späten 1990er-Jahren die Preise von Technologieaktien steigen und zugleich die Refinanzierungskosten für die Unternehmen sinken lassen. Jetzt allerdings stünden andere Investments im Fokus dieser Generation. „Inzwischen wollen die Babyboomer vor allem festverzinsliche Papiere“, so Tinker. „Daher überrascht es nicht, dass die Kurse am Anleihemarkt deutlich gestiegen sind.“ Dies liege allerdings nicht nur daran, dass die Nachfrage der Babyboomer das Angebot übersteige – sondern auch daran, dass die Politik durch regulatorische Vorschriften die Nachfrage zusätzlich gesteigert und durch Quantitative Easing das Angebot verknappt habe.
Nun aber trete China auf den Plan: Wenn eine Entflechtung des Bankensystems und der Schuldenstrukturen im Reich der Mitte neue Anlagemöglichkeiten im Wert von mehreren Billionen US-Dollars schaffe, dann sollte das eine deflatorische Wirkung auf die Finanzmärkte haben, weil die höher rentierlichen Papiere aus China westliche Anlagemöglichkeiten mit niedrigeren Renditen aus dem Markt drängen könnten. „Höhere Renditen plus mögliche Kursanstiege im Osten versus niedrigere Renditen und potenzielle Kapitalverluste im Westen – dieses Muster ähnelt in bemerkenswerter Weise der großen Investmentgelegenheit, die sich in den 1990er-Jahren durch die Angleichung der Anleiherenditen in den Peripherieländern der Europäischen Union ergeben hat, so Tinker weiter.
Die jüngsten Ankündigungen zur Restrukturierung des chinesischen Bankensektors legten nahe, dass der Renminbi (RMB) im Laufe des Jahres tatsächlich konvertierbar werden und die bisherigen Vorschriften zum Verhältnis von Einlagen und vergebenen Krediten aufgeboben werden könnten. „Dies war ein relativ grobes Instrument, um die Banken davon abzuhalten, ihre Bilanzsummen zu sehr aufzublähen“, erläutert Tinker. „Inzwischen herrscht die Meinung vor, dass es nicht mehr gebraucht wird und ein mögliches Wachstumshemmnis darstellt.“ Dennoch bedeute dies nicht automatisch, dass die Abschaffung der Vorschriften das Wachstum stimuliere. „Die Abschaffung der Quotenvorgaben benötigt – genau wie niedrige Leitzinsen oder Liquiditätsspritzen – eine Ausweitung der Kreditvergabe, damit sie sich in ökonomische Aktivität verwandelt“, so Tinker. „Wir bezweifeln deshalb, dass diese Reform zu einer unverantwortlichen Ausweitung des Kreditgeschäfts führen wird. Sie sollte einfach als ein weiterer Schritt auf dem komplizierten Weg zur Liberalisierung der chinesischen Finanzmärkte gesehen werden.“