Das Nein, mit dem die Griechen die Konditionen der Gläubiger für eine Rettung abgelehnt haben, ist mit einer Mehrheit von 61 Prozent deutlich ausgefallen und wird nicht angefochten. Anders als von vielen Analysten und auch uns selbst vor dem Referendum angenommen, hat die griechische Regierung dadurch allerdings eine stärkere Verhandlungsposition zur Wiederaufnahme von Gesprächen mit den Euroraum-Gläubigern gewonnen. Dass das Nein eine derart große Mehrheit finden würde, hätten wir nicht gedacht. Daher müssen die vor dem Referendum getroffenen Annahmen an die neue Realität angepasst werden.
Zum Teil ist dies schon erfolgt: Der griechische Finanzminister Varoufakis ist auf Verlangen des Premierministers zurückgetreten und hat damit eindeutig guten Willen bewiesen. Außerdem wird die Bank von Griechenland womöglich an den Verhandlungen beteiligt, was ebenso guten Willen beweist. Viel Verhandlungsspielraum besteht aber weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Wenn die griechische Regierung den Eindruck gewinnt, dass Änderungen des ursprünglichen Gläubigervorschlags lediglich kosmetischer Natur sind, wird sie diese ablehnen. Und sie wird massiver denn je auf einem Schuldenschnitt als Teil eines umfassenden Pakets beharren. Auf Seiten der Gläubiger werden die Regierungen und Parlamente nur dann ihre Zustimmung zu neuen Krediten für Griechenland geben, wenn fiskalische und strukturelle Reformen glaubwürdig gewährleistet sind. Zudem werden sie als Gegenleistung für einen Schuldenerlass wahrscheinlich Reformen fordern.
Eine Einigung ist immer noch möglich, aber sofern sie erfolgt, wird sie weder einfach noch schnell erreicht werden.
Wie geht es weiter?
Diese Woche: Griechische Banken geschlossen
Die griechischen Banken werden nach Angaben des griechischen Bankenverbandes bis mindestens Mittwochabend weiter geschlossen bleiben. Wenn die Banken wieder öffnen, dürfen die Griechen weiterhin maximal 60 Euro am Tag von ihren Konten abheben. Unterdessen hält die Europäische Zentralbank (EZB), auch nach dem „Nein“ der Griechen, die Notkredite für die griechischen Banken auf dem aktuellen Stand von knapp 90 Milliarden Euro. Damit setzt die EZB ihren vorsichtigen, vor dem Referendum eingeschlagenen Kurs fort – und zwar vermutlich so lange, bis eine Einigung mit Griechenland erzielt wurde.
Vor dem 20. Juli: Verhandlung eines ESM-Überbrückungskredits oder eines dritten Rettungspakets
Das zweite Rettungspaket lief offiziell am 30. Juni aus und kann nicht verlängert werden. Eine sofortige Aufnahme von Gesprächen über ein drittes Rettungsprogramm ist schwierig, weil unter anderem der Bundestag und andere Parlamente zustimmen müssen. Ganz zu schweigen von den Hürden, die zu überwinden wären, um bis zur Fälligkeit der von der EZB gehaltenen Anleihen im Gegenwert von 3,5 Milliarden Euro, am 20. Juli eine umfassende Einigung zu erzielen. Auch wenn grundsätzlich nichts unmöglich ist, wenn nur der politische Wille groß genug ist, erscheint ein Abschluss der Verhandlungen über ein drittes Rettungspaket äußerst ambitioniert, besonders wenn es einen an Bedingungen geknüpften Schuldenerlass beinhalten soll.
Daher könnten sich die Parteien zunächst auf einen Überbrückungskredit konzentrieren, mit dem Griechenland seine Schulden über einen begrenzten Zeitraum von mehreren Monaten bedienen könnte. Dann wäre Zeit für Gespräche über ein drittes Rettungsprogramm. Auch an den Brückenkredit wären Bedingungen geknüpft, aber sie wären nicht so drakonisch wie die des zweiten Rettungspakets. Der Kredit wäre auf etwa 20 Milliarden Euro begrenzt. Ein solcher Überbrückungskredit des permanenten Rettungsschirms ESM müsste von diversen Parlamenten genehmigt werden und würde es der EZB erlauben, das griechische Bankensystem während der Verhandlungen über Wasser zu halten.
Wird keine Einigung erzielt und kann Griechenland die fällige Rückzahlung an die EZB am 20. Juli nicht leisten, dann muss die EZB die Notkredite stoppen und eingestehen, dass die griechischen Banken insolvent sind. Vielleicht gibt es noch eine kurze „Gnadenfrist“, bevor die griechischen Banken offiziell als insolvent gelten, aber ein solcher Zahlungsausfall dürfte wohl in direkter Linie zu einem Grexit führen.
Mittelfristig: Grexit ist durchaus denkbar
Dass eine Einigung über ein drittes Rettungspaket gelingt, ist keinesfalls garantiert. So dürfte Deutschland wohl kaum von seiner strategischen Position der letzten Wochen abrücken, die da heißt: Griechenland im Euroraum ja, aber nicht um jeden Preis. Womöglich sind die deutsche Öffentlichkeit und der Bundestag nun sogar noch weniger zu Zugeständnissen bereit, weil der Wunsch der griechischen Bevölkerung – nach dem Verbleib im Euro aber unter Ablehnung der daran geknüpften Bedingungen – jetzt noch widersprüchlicher ist als noch im Januar. Frankreich seinerseits scheint kompromissbereiter zu sein, wenn man den Andeutungen von Präsident Hollande in der vergangenen Woche Glauben schenken mag. Vermutlich einigen sich die französischen und deutschen Regierungschefs heute Nacht auf eine gemeinsame Position, aber die Märkte werden genau verfolgen, wie sich die einzelnen Regierungen ab Aufnahme der Verhandlungen in Stellung bringen. Die USA werden im Interesse eines Kompromisses wahrscheinlich versuchen, als „befreundeter Staat“ den Druck auf Deutschland zu erhöhen. Im griechischen Kabinett wiederum könnte sich nach der Jubelstimmung Katzenjammer breitmachen, weil der überwältigende Sieg nur wenig Spielraum zur Verhandlung von Bedingungen lässt.
Aktuell ist ein Grexit ebenso denkbar wie ein drittes Rettungsprogramm. Letztendlich wird eine politische Entscheidung getroffen. Das war von Anfang an klar. Wenn sich die Hardliner durchsetzen, steuert die Griechenland Krise auf einen neuen Höhepunkt zu. Aber bis zur nächsten Etappe in der Griechenlandkrise vergeht vermutlich noch viel Zeit, es sei denn, die Parteien können sich bis zum 20. Juli nicht auf einen Überbrückungskredit verständigen.
Märkte: keine großen Verwerfungen, Volatilitätsrisiko definitiv gestiegen
Auf das Referendum haben die Märkte kaum reagiert: Der Euro hat lediglich 1 Prozent verloren, und die Renditedifferenzen von Peripherieanleihen sind nur marginal gestiegen, während besonders die deutschen Renditen gesunken sind. Vermutlich halten sich die Marktakteure zurück, bis sich ernsthafte Verhandlungen über einen Brückenkredit oder ein drittes Rettungsprogramm abzeichnen. Wenn die Volatilität steigt, beruhigen sich die Märkte erst wieder, wenn eine Absprache zustande gekommen ist, d.h. vermutlich nicht vor dem 20. Juli. Ist eine Einigung in Sicht, werden sich die Märkte auf das nächste wichtige Thema konzentrieren: die Haltung der Fed. Wenn allerdings entweder Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich sichtbar werden oder, was noch schlimmer wäre, Griechenland am 20. Juli keine Zahlungen leistet, würden der Euro und Risikopapiere einschließlich Peripherieanleihen so lange abstürzen, bis die EZB und die Politiker im Euroraum klarmachen, wie es künftig weitergehen soll.
Eric Chaney und das RIS Team von AXA IM