Die unmittelbaren Auswirkungen des Skandals um die Diesel-Abgasmanipulation bei Volkswagen (VW) auf die Finanzmärkte waren heftig. Bis die Bedeutung des Skandals für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt klar wird, könnte es dagegen länger dauern. Davon geht zumindest Maxime Alimi, Volkswirt im Team für Research & Investment Strategy bei AXA Investment Managers, aus. „Die Auswirkungen des Skandals einzuschätzen bringt zwei wesentliche Schwierigkeiten mit sich“, schreibt der Ökonom in einem aktuellen Researchkommentar. „Zunächst ist das Ausmaß des Schocks unklar. Es scheint sicher, dass VW noch lange an den Auswirkungen des Skandals auf seinen Ruf und seine finanzielle Situation zu knabbern haben wird. Aber ist es nur ein Schock für VW – oder ein Schock für die Dieseltechnologie insgesamt? Werden sich die Verbraucher weltweit von der deutschen Automobilindustrie abwenden? Oder noch schlimmer: Ist sogar die Marke Made in Germany in Gefahr?“ Die zweite Schwierigkeit bestehe darin zu erfassen, wie die Auswirkungen des Skandals auf die Volkswirtschaft insgesamt überschwappen könnten, so Alimi weiter: „Der Automobilsektor ist für die gesamte Industrie von zentraler Bedeutung und greift auf viele andere Branchen als Zulieferer zurück. Das kann zu besonders großen Verstärkungseffekten führen.“
Der Experte entwirft drei Szenarios für die Zukunft, um sich dem tatsächlichen Ausmaß dieses Effekts anzunähern. Im ersten Szenario kommt es zu einem Einbruch des VW-Absatzes um 10 Prozent auf dem heimischen und 20 Prozent auf dem internationalen Markt. Allerdings profitieren in diesem Szenario vor allem die anderen deutschen Automobilhersteller von diesem Einbruch. „Dieser Fall wäre relativ gut für die deutsche Wirtschaft, und es käme lediglich zu einem Absinken des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,1 Prozent“, kommentiert Alimi.
Ungünstiger fällt das zweite Szenario aus. In diesem breitet sich die – hypothetische – VW-Absatzkrise auch auf die deutschen Wettbewerber aus. Die einzigen Profiteure sind ausländische Automobilkonzerne. In diesem Fall könnte es Alimi zufolge zu einem Einbruch des BIP um 0,4 Prozent kommen. Im dritten Szenario schließlich – Alimi hat es „Made in Germany“-Schock getauft – wirkt sich der durch den Skandal ausgelöste Vertrauensverlust auch auf Exporte von Unternehmen anderer Branchen aus. Die Auswirkungen einer solchen Vertrauenskrise wären erheblich: Sie könnten das BIP um 1,1 Prozent sinken lassen.
Und damit nicht genug – die negativen Folgen des Skandals müssen nicht an den Landesgrenzen Halt machen, wie Alimi erläutert. „Nicht nur in Deutschland ist die Automobilindustrie ein zentraler Bestandteil der Wirtschaft. Allein die deutsche Autoindustrie importiert 25 Prozent ihrer Ausgangsmaterialien. Nachbarländer wie Frankreich und Tschechien, aber auch Österreich und Spanien werden die Schockwellen vermutlich auch spüren.“ Zudem zähle auch eine dauerhafte Krise der Dieseltechnologie zu den möglichen Folgen des Manipulationsskandals. Werde eine solche Krise Realität, könne die gesamte europäische Automobilindustrie betroffen sein – immerhin würden aktuell mehr als 50 Prozent der verkauften Autos mit Diesel betankt.