Sind die US-Aktienmärkte angesichts hoher Bewertungen bei eher moderaten Wachstumsaussichten aktuell überbewertet – zumal die Zinswende der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wohl kurz bevorsteht? Aktuell würden die im S&P 500 enthaltenen US-Standardwerte etwa mit dem 18-Fachen des für 2015 erwarteten Gewinns bewertet. Der langfristige Mittelwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) liegt bei rund 16.
„Anleger sollten aber über den Tellerrand dieser Kennzahlen hinausblicken“, argumentiert Uwe Diehl, Head of Client Group Germany & Austria: „Wer auf Bewertungskennziffern schaut, agiert taktisch, also kurzfristig. Für langfristig orientierte Investoren sind allerdings andere Faktoren relevant als ein Kurs-Gewinn-Verhältnis, das ein oder zwei Punkte über dem historischen Durchschnitt liegt.“ Einerseits gebe es Gründe für die vergleichsweise hohe Bewertung – etwa die im Vergleich zum dritten Quartal gesunkenen gesamtwirtschaftlichen Risiken oder die zuletzt starken Daten zur Entwicklung des Arbeitsmarktes und den Auftragseingängen für Investitionsgüter. Andererseits spielten gerade über längere Zeithorizonte hinweg qualitative Faktoren eine große Rolle. „Dazu gehören etwa die demografische Entwicklung und – damit zusammenhängend – das Reservoire an hochqualifizierten Arbeitskräften. Aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Innovationskraft der Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle. Denn nur echte Innovation ermöglicht nachhaltiges Wachstum über längere Zeiträume hinweg.“
Stärke des US-Konsumenten sollte nicht unterschätzt werden
Ein gutes Beispiel, sowohl für die aktuelle Vitalität der US-amerikanischen Wirtschaft als auch für ihr disruptives Potenzial, sieht Diehl im aktuellen Trubel rund um den „Black Friday“, den Shopping-Freitag nach dem nationalen Feiertag Thanksgiving, und den noch laufenden „Cyber Monday“, die Antwort der Online-Shopping-Branche auf den klassischen Einkaufstag. Einer Umfrage des nationalen Einzelhandelsverbandes NRF zufolge planten 135,8 Millionen US-Amerikaner einen Einkauf am Thanksgiving-Wochende – rund zwei Millionen mehr, als im Vorjahr tatsächlich shoppen gingen. „Schon dies ist ein Beleg für die Vitalität der US-Wirtschaft. Die ungebrochene Konsumkraft der Gesellschaft dient gerade in Phasen schwächeren Wachstums außerhalb der USA als wichtige Konjunkturstütze“, so Diehl. Das Team für Research und Investmentstrategie von AXA IM prognostiziert für die USA ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent und für 2016 ein Wachstum von 2,2 Prozent. Die entsprechenden Prognosen für die Eurozone liegen lediglich bei 1,5 und 1,4 Prozent.
"Cyber Monday" belegt Siegeszug des Online Shoppings
Noch wichtiger als diese Zahlen ist für Diehl aber eine andere Erkenntnis aus dem langen Shopping-Wochenende: Erstmals hat der NRF auch Zahlen dazu erhoben, wie viele Amerikaner am Cyber Monday online einkaufen wollen. Das Ergebnis glich einem Paukenschlag: 183,8 Millionen Menschen planen ein Montags-Online-Shopping – etwa 30 Millionen mehr als letztes Jahr am Black Friday unterwegs waren. Dazu passt, dass die Umsätze der Online-Shops dem in Echtzeit ermittelten Adobe Digital Index zufolge allein am Black Friday selbst im Vergleich zum Vorjahr um rund 15 Prozent stiegen. 34 Prozent der Einkäufe erfolgten über Mobiltelefone und Tablets. Zugleich gingen die Umsätze im stationären Einzelhandel gegenüber dem Vorjahr zurück. „Das Signal ist eindeutig“, erklärt Uwe Diehl. „Während wir in Deutschland noch uneins sind, wie wir mit der digitalen Wirtschaft umgehen, hat sie in den USA längst einen Siegeszug vollzogen. Das gilt auch und gerade in Bereichen, die weniger offensichtlich und leicht zugänglich sind als der Online-Einzelhandel. Die Innovationskraft der US-Wirtschaft ist weltweit weiterhin unerreicht – und dies dürfte auf Jahre hinaus so bleiben. Langfristig werden auch die US-Aktienmärkte davon profitieren.“