Europawahl: Warum sie besonders für die einzelnen Länder wichtig ist

Populistische Parteien könnten bei der Europawahl vom 23. bis 26. Mai deutlich zulegen, auch wenn die Parteien der Mitte weiter dominieren dürften. Dies könnte letztlich zu einem weniger berechenbaren Europäischen Parlament führen, so Apolline Menut, Ökonomin für die Eurozone bei AXA Investment Managers. AXA Investment Managers | 22.05.2019 11:02 Uhr
Apolline Menut, Ökonomin für die Eurozone, AXA Investment Managers / © AXA Investment Managers
Apolline Menut, Ökonomin für die Eurozone, AXA Investment Managers / © AXA Investment Managers
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„Die Fragmentierung könnte temporäre Bündnisse diverser politischer Kräfte ermöglichen und somit die Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung erhöhen.“ Menut ist dennoch der Ansicht, dass die Auswirkungen der Wahl auf die europäische Integration und den weiteren Kurs der Europäischen Union begrenzt bleiben dürften. „Warum also sollten wir uns für die Wahl interessieren?“, fragt sie – und liefert sogleich die Antwort mit. „Erstens, weil die Europawahl der Auftakt für den Prozess zur Besetzung verschiedener wichtiger Positionen ist, einschließlich der EU-Kommission und der EZB-Präsidentschaft. Und zweitens, weil sie die Politik auf Länderebene beeinflussen kann. Sie ist eine Nagelprobe für das Verhältnis der politischen Kräfte in Italien, wird die Diskussion um das Ende der Ära Merkel in Deutschland beeinflussen und ist zugleich der erste Test von Frankreichs Präsident Macron an der Wahlurne.“

Der Einfluss der Europawahl auf die Besetzung von Posten in der EU
 
In Bezug auf die Besetzung wichtiger Posten in der EU hängt Menut zufolge viel davon ab, ob der Spitzenkandidaten-Prozess, der 2014 eingeführt wurde, beibehalten wird oder nicht. Dieser Prozess sieht vor, dass der Spitzenkandidat der Parlamentsgruppierung, die in der Wahl die meisten Sitze gewinnt, zum nächsten Präsidenten der EU-Kommission gewählt wird. Er ist allerdings nicht in EU-Verträgen festgelegt – und damit auch nicht dauerhaft gesetzt. „Unserer Ansicht nach verliert der Spitzenkandidat umso stärker an Glaubwürdigkeit, je fragmentierter das Parlament ist“, sagt Menut. „Damit sinkt auch der direkte Einfluss des Parlaments auf die Besetzung der Europäischen Kommission.“ In diesem europäischen „Game of Thrones“ sind jedoch neben der Fragmentierung des Parlaments weitere Faktoren zu berücksichtigen, namentlich die Nationalität der Kandidaten, ihre politische Ausrichtung und ihr Geschlecht. Entsprechend komplex dürfte die Entscheidungsfindung sein. „Nimmt man beispielsweise an, dass der Spitzenkandidaten-Prozess respektiert wird, so könnte der deutsche EVP-Kandidat Manfred Weber der nächste Kommissionspräsident werden. Dadurch wiederum würden die Chancen für einen französischen oder Frankreich nahestehenden Kandidaten auf die EZB-Präsidentschaft steigen“, erläutert Menut. „Sollte der Prozess aber aufgrund zu schlechter Ergebnisse der traditionellen Parteien abgeschafft werden, dann könnten die Chancen von Kompromisskandidaten für die EZB-Präsidentschaft, wie die finnischen Politiker Olli Rehn oder Erkki Liikanen steigen.“

Der Einfluss der Europawahl auf die Politik in wichtigen Mitgliedsländern
 
Womöglich noch wichtiger dürfte die anstehende Wahl für die nationale Politik in verschiedenen großen EU-Ländern sein. Auswirkungen erwartet Menut insbesondere auf Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien.

In Deutschland werde die Wahl vor allem durch die Brille des Übergangs von der Ära Merkel in ein neues politisches Zeitalter betrachtet. „Sie könnte daher den Abgang von Merkel und das Ende der großen Koalition beschleunigen“, so die Ökonomin. Sollte etwa die SPD starke Verluste verzeichnen, steige der Druck auf die Partei, die Koalition noch im Jahr 2019 zu beenden. „Unser Basisszenario ist, dass die Koalition zumindest bis Ende 2019 fortgesetzt wird“, so Menut. „Doch wir schließen kurzfristige Neuwahlen im Jahr 2020 nicht aus.“

In Frankreich könnte das Ergebnis der Europawahl das künftige Reformtempo von Präsident Macron beeinflussen. Umfragen zufolge liegen Emmanuel Macrons Bewegung En Marche und die Nationale Sammlungsbewegung von Marine Le Pen mit jeweils 22 Prozent etwa gleichauf. „Für den durch die Gelbwesten-Proteste geschwächten Macron wäre ein Sieg wichtig, um wieder positives Momentum zu erzeugen und einen guten Start in die zweite Hälfte seiner Amtszeit hinzulegen“, erklärt Menut.

In Italien könnte die Europawahl das Machtgefüge in der Regierungskoalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega Nord beeinflussen und möglicherweise zu einem Regierungswechsel führen. Aktuell legen Umfragen nahe, dass Matteo Salvinis Lega Nord mit fast 31 Prozent deutlich vor der Fünf-Sterne-Bewegung einlaufen könnte, die auf 23 Prozent taxiert wird. „Wir glauben weiterhin, dass Salvini kaum ein Interesse daran haben dürfte, die Regierung über den Haufen zu werfen, insbesondere weil er Wert darauf legen dürfte, nicht alleine für die schwierigen Verhandlungen über den Haushalt für 2020 verantwortlich zu sein. Die Lega Nord könnte allerdings dennoch auf interne Veränderungen in der Regierung drängen“, sagt Menut.

In Großbritannien schließlich dürfte die Lage angesichts der Unsicherheit rund um den Brexit auch nach der Europawahl unübersichtlich bleiben. Umfragen legen ein starkes Debüt der neuen Brexit-Party und einen gleichzeitigen Absturz der im Jahr 2014 noch starken UK Independence Party (UKIP) nahe. Zugleich könnten auch europafreundliche Parteien einige Sitze gewinnen. „Die wichtigste Entwicklung dürfte jedoch der signifikante Verlust an Unterstützung für die regierenden Konservativen sein, was den Druck auf Premierministerin May zurückzutreten erhöhen dürfte“, sagt Menut. „Wir halten dies für die kommenden Monate für durchaus wahrscheinlich – und damit steigen die Chancen auf Neuwahlen.“ Letztlich zeigten die Umfragen in Großbritannien jedoch auch, dass sich die Wählerschaft relativ gleichmäßig auf Befürworter eines harten Brexit, kompromissbereite Brexit-Befürworter und „Remainers“ verteile. „Das spiegelt deutlich die politische Sackgasse wider, in der sich das Land derzeit befindet“, so Menut abschließend.

Apolline Menut, Ökonomin für die Eurozone, AXA Investment Managers

Die gesamte Analyse von Apolline Menut finden Sie auf der englischsprachigen Website von AXA IM.

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