Anleiherenditen bleiben weiterhin niedrig
Die Renditen der US-Staatsanleihen erreichten in dieser Woche mit unter 1,20 Prozent für die zehnjährige Benchmark-Anleihen einen neuen Jahrestiefstand. Seitdem sind die Renditen zwar wieder gestiegen, doch insgesamt setzt sich der Renditerückgang seit März weiter fort, was viele Marktkommentatoren verwirrt. Zwar sind wir eine Zeit lang davon ausgegangen, dass die makroökonomische Entwicklung eindeutig auf steigende Renditen hindeutet – in Erwartung höherer Zinssätze und als Reaktion auf die derzeit erhöhten Inflationsraten. Das wurde jedoch durch technische Faktoren in den Schatten gestellt, die die Nachfrage nach sicheren Anlagen angetrieben haben:
Große Käufer treiben die Nachfrage nach sicheren Anlagen
Diese Nachfrage stammt von den Zentralbanken und von der zunehmenden Liquidität in den großen Volkswirtschaften. In den USA kauft die Federal Reserve (Fed) weiterhin Staatsanleihen im Wert von 80 Milliarden Dollar pro Monat. Die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of Japan und die Bank of England sind auch nach wie vor bedeutende Käufer von Anleihen. Die kumulierten Auswirkungen dieser Käufe haben im Laufe der Jahre dazu geführt, dass die Zentralbanken nun einen großen Prozentsatz des ausstehenden Marktvolumens von Staatsanleihen besitzen.
Gestiegene Einlagenbasis
Zudem ist die Einlagenbasis der US-Geschäftsbanken infolge der wirtschaftspolitischen Anreize stark angestiegen. Einlagen finanzieren den Ankauf von Vermögenswerten, doch das Wachstum der Gewerbe- und Industriekredite sowie der Hypothekenkredite konnte damit nicht Schritt halten. Daher haben auch Banken sichere Anlagen erworben. Der kombinierte Kauf von Staatsanleihen durch die Fed und große inländische Geschäftsbanken belief sich 2021 bisher auf einen Wert von fast 900 Mrd. US-Dollar – und hat damit die Nettoemissionen des US-Finanzministeriums überstiegen.
Anleihen-Bärenmarkt verschoben
Die Nachfrage nach Anleihen durch Finanzinstitute und Zentralbanken wird weder durch die Erwartungen der Gesamtrendite bestimmt noch durch die Frage, ob die Renditen auf dem richtigen Niveau sind. Daher werden sie auch nicht verkauft, wenn es hohe Beschäftigtenzahlen in den nicht-landwirtschaftlichen Bereichen zu verzeichnen gibt, oder die Inflationsprognosen für 2023 angehoben werden. Die Verkäufe finden am Rande statt und werden oft von kurzfristigen Akteuren und Derivatemärkten getätigt. Obwohl die Renditen weiter steigen könnten, halten wir es für unwahrscheinlich, dass es in diesem Umfeld zu einem größeren Anleihen-Bärenmarkt kommen wird.
Hochzinsanleihen erscheinen attraktiv
Da die Inflationserwartungen am Anleihenmarkt mit den mittelfristigen Inflationszielen der Zentralbanken übereinstimmen, bedeutet dieses Umfeld niedriger nominalen Renditen weiterhin extrem negativen Realrenditen. Und es gibt bei der Betrachtung der Risikoprämien in den verschiedenen Anlageklassen nichts, was die Anleger für das Eingehen von Zinsrisiken entschädigt. In Europa sind die Renditen 30-jähriger Bundesanleihen in dieser Woche erneut ins Minus gerutscht. Das bedeutet reale Kapitalverluste für Buy-and-Hold-Anleger. Es gibt jedoch eine Inflationsprämie. Während die Kreditrisikoprämie sehr gering ist aufgrund der engen Spreads für Investment-Grade-Anleihen bieten Hochzinsanleihen eine gewisse Risikoprämie gegenüber Anleihen mit Investment-Grade-Rating. Dabei liegt die durchschnittliche Indexspanne im Vergleich zu Anleihen mit BBB-Rating deutlich über 200 Basispunkten.
Die eigentliche Risikoprämie liegt bei Aktien
Die eigentliche Risikoprämie liegt immer noch bei Aktien. In der Berichtssaison für das zweite Quartal sind die gemeldeten Gewinne für den S&P500 überraschend um 17 Prozent gestiegen. Die aggregierten Bottom-up-Gewinne pro Aktie zeigen im Allgemeinen ein sehr rosiges Bild für Aktien. Für die USA wird für das nächste Jahr ein Gewinnwachstum von 12 Prozent prognostiziert, für Europa ein ähnlicher Wert und für die großen Schwellenländer deutlich höhere Wachstumsraten. Das sind gute Gründe, die Aktienmärkte weiterhin positiv zu beurteilen. Die Renditeprämie für Gewinnanleihen beträgt 3,4 Prozent für die USA und rund 6 Prozent für europäische, britische und Schwellenländeraktien.
Tapering wird erwartet, doch mit verzögerten Auswirkungen
Die Ertragsaussichten für 2022 dürften nicht durch eine mögliche Reduzierung der geldpolitischen Anreize von Zentralbanken beeinträchtigt werden. Die Bank of England erklärte diese Woche, dass sie fällig werdende Staatsanleihen nicht mehr reinvestieren werde, sobald der Leitzins 0,5 Prozent erreicht habe. Die allgemeine Erwartungshaltung ist, dass die Fed noch vor Jahresende ein schrittweises Zurückfahren („Tapering“) ihrer Staatsanleihenkäufe ankündigen und dies möglicherweise auf dem geldpolitischen Symposium in Jackson Hole Ende des Monats erläutern wird. Die Märkte erwarten keine Zinserhöhungen vor 2023 und auch im Fall eines Taperings sollte die Dynamik an den Anleihemärkten noch einige Zeit unverändert bleiben. Auf Sicht von zwei bis drei Jahren ist jedoch vermutlich mehr Vorsicht geboten, da die monetären Bedingungen dann straffer sein dürften als heute.
Warten auf den Abschwung
Ohne einen Ausverkauf bei den Anleihen werden die langfristigen Renditeerwartungen sehr niedrig bleiben. Ein Kapitalwachstum kann eigentlich nur von Aktien kommen. Natürlich wäre ein weiterer Einbruch des Wirtschaftswachstums ein großes Problem. Kurzfristig sind die größte Sorge die Versorgungsengpässe und deren Auswirkungen auf die Preise. Andrew Bailey, Gouverneur der Bank of England, erklärte am Freitagmorgen gegenüber Bloomberg, dass die Zentralbanken nichts gegen die "Halbleiterknappheit" unternehmen könnten. Wenn es aber Anzeichen für Zweitrundeneffekte bei der Inflation gäbe, würde die Bank handeln – und die Fed wird diese Ansicht vermutlich teilen. Im Moment gibt es jedoch keine Klarheit in dieser Sache.
Kaufen Sie billig in der zweiten Jahreshälfte
Nach der Rückkehr aus den Sommerferien können wir vermutlich davon ausgehen, dass alle Kursrückgänge bei Anleihen oder Aktien nur kurz anhalten werden. Zwar wird es eine Marktreaktion auf die Ankündigung der US-Notenbank geben, ihre Anleihekäufe zu reduzieren, ebenso wie Aktien auf weitere durch das Delta bedingte Erhöhungen der Infektionsraten in einigen Volkswirtschaften reagieren werden. Das Gesamtbild bleibt jedoch dasselbe: Liquidität und wirtschaftliche Erholung treiben die Erträge der Finanzmärkte an.
Chris Iggo, Chief Investment Officer für Core Investments bei AXA Investment Managers