Die Rolle des Realzinses
Die realen Anleiherenditen liegen weiterhin tief im Negativbereich. Reale Renditen, die wir beobachten können - wie die von inflationsgeschützten US-Staatsanleihen (TIPS) - sind die besten Näherungswerte g für den realen neutralen Marktzins. Für die Märkte ist eine negative Realrendite wichtig, da sie ein entscheidender Faktor für die nominale Bewertung aller Finanzanlagen ist. Die Realrendite zuzüglich Inflationserwartungen und Risikoprämien auf Kredit- und Aktienanlagen bestimmen zusammen die voraussichtlichen Erträge. Die Rendite der inflationsgebundenen zehnjährigen US-Staatsanleihen liegt derzeit bei -1,0 Prozent.
Niedrige Renditen
Negative Realrenditen implizieren niedrige nominale risikofreie Anleiherenditen, auch wenn die Inflationserwartungen in diesem Jahr gestiegen sind. Die Risikoprämien für Unternehmensanleihen (Spreads) sind sehr niedrig, und selbst wenn die Risikoprämien für Aktien im Vergleich zu den Anleiherenditen gestiegen sind, ist die absolute Rendite von Aktien im historischen Vergleich immer noch niedrig. Die Umkehrung der Aktienrendite ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das im Falle der meisten entwickelten Märkte auf dem höchsten Stand der letzten 15 Jahre ist. Daher fallen die erwarteten Erträge für alle Finanzanlagen niedrig aus. Eine Anpassung der Realrenditen nach oben wäre kurzfristig schmerzhaft, ist aber unumgänglich, wenn die künftigen Erträge attraktiver werden sollen.
Einflüsse auf die Realrenditen
Wirtschaftswissenschaftler und Zentralbanker sind der Meinung, dass Geldpolitik selbst den neutralen Realzins nicht direkt bestimmen kann. Stattdessen wird er durch das potenzielle langfristige Wirtschaftswachstum, die demografische Entwicklung und andere Faktoren bestimmt, die sich auf die Höhe der gewünschten Investitionen und Ersparnisse auswirken könnten. Der allgemeine Konsens ist, dass das trendmäßige Wachstumspotenzial in den entwickelten Volkswirtschaften über die letzten Jahrzehnte rückläufig war. Zudem sind sich die meisten Experten einig, dass die Alterung der Bevölkerung und das verlangsamte Wachstum der erwerbstätigen Bevölkerung dazu beigetragen haben, dass die Produktivität weniger gewachsen ist und sich das Verhältnis zwischen angestrebtem Sparvolumen und Investitionen verschoben hat. Dies hat den Realzins nach unten gedrückt. Und sowohl die Geldpolitik als auch die Regulatorik haben die Nachfrage nach sicheren Anlagen wie risikofreien Staatsanleihen erhöht.
Der Klimawandel birgt erhebliche wirtschaftliche Risiken
Die Auswirkungen des Klimawandels und die Versuche, ihn zu begrenzen, sollten in den langfristigen wirtschaftlichen Erwartungen berücksichtigt werden. Auch wenn es immer mehr Verpflichtungen zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen gibt, bleibt ein erhebliches Risiko bestehen, dass der Klimawandel bereits so weit fortgeschritten ist, dass er sich auf Wirtschaft und Gesellschaft in großem Umfang auswirken wird.
Investoren müssen physikalische und Übergangsrisiken berücksichtigen
Investoren, die bei der Portfoliozusammenstellung auf kohlenstoffarme und klimawandelresistente Investitionen achten, berücksichtigen zunehmend physikalische Risiken für Vermögenswerte und Unternehmen (durch Überschwemmungen, steigende Meeresspiegel, gesundheitliche Auswirkungen von Hitzeperioden und die potenzielle Störung von Ökosystemen).Sie müssen auch die Übergangskosten berücksichtigen, indem sie Kohlenstoffpreise, Regulierung, die Kosten für Investitionen in neue Technologien, kohlenbasierte Energieerzeugung und veränderte Verbrauchertrends in Betracht ziehen, denn diese können ebenfalls gesamtwirtschaftliche Kosten nach sich ziehen.
Bedeuten höhere CO2-Werte niedrigere reale Renditen?
Der Klimawandel wird künftig zu schwächerem Wirtschaftswachstum führen und Unsicherheit in der Wirtschaft führen. So können Wirtschaftsakteure auf Schocks und Katastrophen (definiert als etwas, das einen starken Rückgang der Wirtschaftsleistung verursacht) reagieren, indem sie weniger investieren und stattdessen mehr sparen.
Die Rolle der Schocks
Innerhalb der letzten Generation hat die Welt zwei große Schocks erlebt. Zunächst die globale Finanzkrise und dann die Corona-Pandemie. Beide führten zu drastischen Produktionseinbrüchen, und beide veränderten das Verhalten von Wirtschaftsakteuren. Wenn der Klimawandel potenziell geringeres Wachstum, mehr Unsicherheit und das Risiko häufigerer Schocks bedeutet, dann kann er bereits heute einen Einfluss auf die realen Zinssätze haben.
Das Prinzip der Unsicherheit
Die Anleiherenditen sind niedrig, und viele Anleger und Analysten sind der Meinung, dass sie sich angesichts des starken Wachstums und der steigenden Inflation auf dem falschen Niveau befinden. Offensichtlich spielt die Geldpolitik eine Rolle - aber eventuell auch das "Unsicherheitsprinzip". Denn die Corona-Pandemie war ein Schock und stellt weiterhin eine Gefahr dar. Das Risiko besteht darin, dass die Pandemie eine negative Rolle bei der Festlegung von Erwartungen spielt und risikoscheuere Verbraucher und Unternehmen beeinflusst. Die Sparraten könnte so lange hoch bleiben, bis die Pandemie mit größerer Zuversicht überstanden ist. Diesen Punkt haben wir allerdings noch nicht erreicht. Daher werden die nominalen Anleiherenditen wahrscheinlich nicht so stark steigen können, es sei denn, die Inflation sorgt für eine positive Überraschung und trotzt dem derzeitigen Konsens, dass sie nur vorübergehend ist.
Eindämmende Maßnahmen vorantreiben
Wenn wir akzeptieren, dass sich die Risiken des Klimawandels auf unsere Erwartungen des künftigen Wirtschaftswachstums auswirken und Unsicherheit erzeugen, stellt sich die Frage, was dagegen zu tun ist. Die Regierungen müssen aggressiver vorgehen, indem sie Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels strikter festlegen und die Steuerpolitik nutzen, um in Technologien zum Erreichen dieser Ziele zu investieren. Wenn das vom Privatsektor gewünschte Investitionsniveau zu niedrig ist, muss der öffentliche Sektor selbst investieren (durch Defizite und Kreditaufnahme) oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, um private Unternehmen zu Investitionen zu bewegen (wie zum Beispiel durch Kohlenstoffsteuern). Wenn wir jetzt mehr tun, können wir die Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft möglicherweise reduzieren. Darüber hinaus können verstärkte politische Maßnahmen durch die Entwicklung neuer Technologien und die Verringerung der klimabezogenen Risiken tatsächlich zu einem höheren potenziellen Wirtschaftswachstum führen.
Die Realrenditen können steigen, wenn die Zentralbanken ihre Geldpolitik straffen. Das haben wir im Jahr 2018 erlebt. Um den langfristigen Rückgang des Realzinses umzukehren, ist jedoch eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen Sparen und Investieren erforderlich, die eine optimistischere wirtschaftliche Zukunft widerspiegelt. Wenn es dafür keine echten Anzeichen gibt, sollten Anleger auf Anleihen setzen, wenn die Renditen steigen. Anleger müssen sich somit keine Sorgen machen, wenn die US-Notenbank die Zinsen anhebt, sondern in diesem Fall die langen Laufzeiten kaufen.
Chris Iggo, Chief Investment Officer für Core Investments bei AXA Investment Managers