Viele Regierungen bemühen sich ernsthaft um weniger CO2-Emissionen. In Zukunft brauchen die Weltklimakonferenzen aber einen ganzheitlicheren Ansatz, der auch andere Umweltprobleme aufgreift. Natürlich ist die Dekarbonisierung das Thema aller Themen, aber weniger CO2 allein reicht vielleicht nicht.
Der von fast 200 Ländern unterzeichnete Glasgower Klimapakt wird viel bewirken. Bis zur nächsten Weltklimakonferenz in Sharm El-Sheikh im November müssen die Regierungen neue nationale Dekarbonisierungsziele (NDCs) für 2030 vorlegen. Die bisherigen Ziele galten bis 2025.
Erstmals hat man sich auf eine verminderte Nutzung fossiler Brennstoffe verständigt, auch wenn der Text zu unserer Enttäuschung am Ende verwässert wurde. Jetzt ist nur noch von einer „Verringerung“ („phase down“) der Kohleverstromung die Rede und nicht mehr von deren Ende („phase out“).
Auch anderes war frustrierend. So haben sich einige der weltgrößten CO2-Emittenten nicht offiziell zu Netto-Nullemissionen bis zum Jahr 2050 bekannt. Doch für uns gab es von Anfang an noch ein anderes großes Thema.
Das wichtigste Ziel von COP26 war eine deutliche Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030. Außerdem wollte man über die Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel diskutieren und die Ausgaben für den Klimaschutz erhöhen. Hier wurden gute Fortschritte erzielt.
Zu wenig beachtet wurden aus unserer Sicht aber andere Umweltschutzziele. So erbrachte COP26 keine internationale Verpflichtung zum Artenschutz. Und so sehr wir es schätzen, dass die Regenwaldzerstörung bis 2030 beendet werden soll, halten wir auch den Schutz anderer Ökosysteme für wichtig, einschließlich der Ozeane. Das hat große Auswirkungen auf den CO2-Anteil in der Atmosphäre.
Die mangelnden Fortschritte dabei waren sehr enttäuschend. Auch Lebensmittelverschwendung (die letztlich zur Verschwendung von Wasser, Land und Treibstoff und dem Einsatz von zu vielen Pestiziden führt), Plastikmüll und Abfallmanagement sind wichtige Themen.
Die Fakten liegen auf der Hand: Spätestens 2050 wird es in den Ozeanen mehr Plastik als Fische geben.1 Das Gesamtgewicht des Plastiks ist doppelt so groß wie das aller lebenden Säugetiere, und 80% des gesamten jemals hergestellten Plastiks befinden sich noch in der Umwelt.2 Plastikabfälle werden nicht nur von Fischen und anderen Meerestieren aufgenommen. Jede Woche isst ein Mensch im Schnitt 5 Gramm Plastik, was etwa dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht.3 Insgesamt sterben jedes Jahr bis zu einer Million Menschen durch Plastikverschmutzung.4
Daher ist die Vermutung nicht übertrieben, dass die Plastikverschmutzung irgendwann genauso wichtig sein kann wie der CO2-Ausstoß. Sie findet aber bei Weitem nicht die gleiche Aufmerksamkeit.
Dies liegt auch daran, dass sie eher als ein Langfristproblem gilt – in gewisser Weise dem Klimawandel ähnlich, aber weniger drängend. Man kann damit keine Wahlen gewinnen. Erinnern Sie sich noch daran, wann zum letzten Mal ein Politiker über Meeres- oder Ozeanverschmutzung gesprochen hat? Wahrscheinlich ging es damals um einen Ölaustritt, weil traurige Bilder von ölverschmutzten Tieren und verunreinigten Stränden um die Welt gingen. Da war es klar, dass man schnell handeln musste, sofort und unter den Augen der Presse.
Aber das sind Einzelfälle, die mit dem schieren Ausmaß des Problems eigentlich nur wenig zu tun haben. Jedes Jahr verursacht Plastik an den maritimen Ökosystemen weltweit Schäden in Höhe von 13 Milliarden Euro. Außerdem verliert die EU durch die Auswirkungen auf den Tourismus und auf die Küstenorte jährlich 630 Millionen Euro.5
Und es wird noch schlimmer. Die Weltbank rechnet damit, dass sich die Abfälle der Städte in den nächsten 15 Jahren verdoppeln. Dies liegt vor allem an Einwegplastik: Flaschen und andere Behältnisse, Tragetaschen und Verpackungen.
Es wird Zeit, dass COP ganzheitlicher wird und diese Umweltprobleme ernsthaft angeht. Sollen die Erde und ihre Bewohner – im Wasser wie an Land – am Plastikmüll ersticken? Wenn wir diese Herausforderung ignorieren, können wir vielleicht das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Das ändert aber nichts daran, dass dann aus der Erde eine Müllkippe wird.
Wenn sich COP auch den Themen Artenvielfalt und Abfallvermeidung (einschließlich Dünger, giftige Chemikalien und Plastik) widmen soll, reichen Konferenzen nicht mehr aus. Dann muss man handeln, und zwar sofort. COP ist die einzige Organisation, die wegen ihrer Größe, weltweiten Bedeutung und langfristigen Vision wirklich etwas bewirken kann – bei einem Thema, das die Regierungen lange Zeit nicht ernst genug genommen haben. Es muss aber im Umweltschutz eine größere Rolle spielen. Anderenfalls riskieren wir, noch ein Jahr und eine weitere COP-Konferenz zu verlieren. Unsere Ozeane werden zur Plastiksuppe, und die Flüsse werden immer schmutziger. Das kann niemand wollen.
Hans Stoter, Global Head of AXA IM Core
1 Europäisches Parlament: Plastic in the ocean: the facts, effects and new EU rules | News | European Parliament (europa.eu)
2 Stockholm Resilience Center: Safe planetary boundary for pollutants, including plastics, exceeded, say researchers - Stockholm Resilience Centre
3 WWF: Revealed: plastic ingestion by people could be equating to a credit card a week - WWF-Australia - WWF-Australia
4 No Time to Waste: Tackling the plastic pollution crisis before it’s too late - Tearfund, Fauna & Flora International, WasteAid, Institute of Development Studies.
5 Europäische Kommission: Turning the tide on single-use plastics - Publications Office of the EU (europa.eu)