- Der stärkste Anstieg bei der Inflationsrate dürfte hinter uns liegen und vorausblickend befinden sich die Zinsen bereits im restriktiven Bereich.
- Bei Anleihen erscheint das kurze Ende der Renditekurve am attraktivsten, während kurz laufende Unternehmensanleihen das beste Rendite-Risiko-Verhältnis aufweisen.
- Insgesamt bleiben viele Unwägbarkeiten, weshalb Aktien ihre Tiefststände vom Beginn dieses Jahres nochmals testen könnten. Allerdings ist auch eine Buy-the-Dip-Mentalität denkbar.
- Eine Rückbesinnung auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist wünschenswert
Inflation: Höhepunkt überschritten
Die Zeit der rasanten Inflation neigt sich dem Ende zu. Das bedeutet nicht, dass das allgemeine Preisniveau nicht weiter steigen wird – das wird es, aber hoffentlich mit abnehmender Geschwindigkeit. Die Daten von Oktober und November zeigen, dass die Inflation in mehreren Ländern ihren Höhepunkt erreicht hat. Wenn der monatliche Anstieg des Verbraucherpreisindex bis Ende 2023 dem historischen Durchschnitt entspricht, könnte die Gesamtinflation in den USA sogar wieder auf zwei bis drei Prozent sinken. Das Thema Disinflation treibt die Märkte bereits an und wird dies auch weiter tun, unabhängig davon, was die Phillips-Kurve aussagt – die Theorie, wonach Inflation und Arbeitslosigkeit in einem stabilen, aber inversen Verhältnis zueinanderstehen.
Wo liegt der richtige Leitzinssatz?
Durch die Festlegung der Zinssätze und den Einsatz ihrer Bilanzen versuchen die Notenbanken, die Gesamtnachfrage zu beeinflussen, um die Inflationsziele zu erreichen. Die Federal Reserve (Fed) hat ihren Tagesgeldsatz am 14. Dezember auf 4,5 Prozent angehoben, während die Europäische Zentralbank und die Bank of England (BoE) ihre Sätze am folgenden Tag auf zwei bzw. 3,5 Prozent erhöhten. Die Zentralbanken wollen die Zinssätze auf ein Niveau anheben, das sich negativ auf die Kreditaufnahme auswirkt (also in einen restriktiven Bereich). Das Problem dabei: Sie wissen nicht genau, wie hoch dieses Niveau ist.
Die Zinsen müssen wieder runter
Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell bekräftigte die Botschaft, dass die Fed so lange eine restriktive Haltung einnehmen wird, bis die Inflation deutlich niedriger ist. Doch der Markt glaubt ihm nicht. Aus diesem Grund ist die Renditekurve invers. Der Markt geht einfach nicht davon aus, dass die Fed den Tagesgeldsatz über einen längeren Zeitraum auf einem Niveau halten kann, das doppelt so hoch ist wie der langfristige Gleichgewichtszins. Und das angesichts der sinkenden Inflation und einer vom Konsens erwarteten Rezession – irrt sich der Markt?
Wenn die Inflation weiter sinkt und sich das Wachstum verlangsamt, wird die Fed im kommenden Jahr wahrscheinlich eine Kehrtwende vollziehen. Natürlich könnten sich die Daten wieder ändern. Jedoch erhöht der Markt zunehmend die Wahrscheinlichkeit, dass wenn sich Powell an seine Worte hält und die Rhetorik weiterhin als zusätzliches Straffungsinstrument eingesetzt wird, das Risiko eines politischen Fehlers wächst.
Vorausschauend bewegen sich die Zinsen bereits im restriktiven Bereich
Weltweit lässt der Inflationsdruck nach und die globale Nachfrage steht unter Druck, vor allem weil die Realeinkommen durch höhere Lebensmittel- und Energiepreise unter Druck geraten sind. Die kurzfristigen Zinsen liegen nach wie vor unter der aktuellen (rückwärtsgerichteten) Inflationsrate, aber sie könnten sich bereits im positiven Bereich befinden, wenn wir eine vorausschauende Sichtweise einbeziehen. Die Bloomberg Konsensprognose für die US-Inflation in 2023 liegt bei 4,3 Prozent, doch die Jahresrate könnte im kommenden Jahr um diese Zeit niedriger sein. Die Fed Funds Rate liegt heute bei 4,25 bis 4,5 Prozent. Die Zinsen bewegen sich bereits im restriktiven Bereich, die Inflation ist rückläufig und es bestehen Abwärtsrisiken für das Wachstum.
Anleihemarkt in 2023 attraktiv
Soweit es festverzinsliche Wertpapiere betrifft, bleiben wir auch für 2023 optimistisch. Den höchsten Value bietet das kurze Ende der Renditekurve. Das beste Risiko-Ertrags-Verhältnis findet man bei kurz laufenden Unternehmensanleihen, weil die Renditen im Verhältnis zur Duration und zum Kreditrisiko attraktiv sind. Die Risikoprämien bei Unternehmensanleihen liegen ziemlich genau in der Mitte ihrer mittelfristigen Bandbreite. Zwar könnte man argumentieren, dass sie angesichts der bevorstehenden Rezession höher sein sollten. Es scheint jedoch, dass die Unternehmen aus fundamentaler Sicht in relativ guter Verfassung sind. Man kann sogar sagen, dass hochverzinsliche Unternehmen insgesamt auch aus Anleihesicht attraktiv sind. Die Renditen sind hoch, die Kurse niedrig und das Ausfallrisiko ist geringer als in früheren Konjunkturabschwüngen.
Entwicklung am Aktienmarkt ist weniger klar
Höchststand bei der Inflation und den Zinsen sowie die Wiedereröffnung Chinas sind positive Signale für die Aktienmärkte. Die Rallye im vierten Quartal war beeindruckend, vor allem wenn man von einer bevorstehenden Rezession und von Gewinnrückgängen spricht. Ob wir den Tiefpunkt an den Aktienmärkten gesehen haben, ist schwer zu sagen. Die Bewertungen sind nicht gerade günstig und sollten die Gewinne in Zukunft zurückgehen, würde dies vermutlich zu niedrigeren Aktienkursen führen. Die Arbeitsmärkte bleiben entscheidend. In diesem Jahr gab es ein großes Minus bei den Realeinkommen, aber die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig. Steigt sie – was unpassenderweise ein Ziel der Zentralbanken zu sein scheint – dann könnte es einen erneuten Rückgang bei den Ausgaben geben. Vor einem Jahr waren die Märkte höher bewertet und die Zinserhöhungen hatten noch nicht begonnen. Die Inflation stieg nur geringfügig und es gab keine Ukraine-Krise. Es gibt viele Ursachen, die die Aktienmärkte ins Trudeln gebracht haben. Die Tiefststände zu Jahresbeginn könnten getestet werden, wir vermuten aber, dass sich eine ‚Buy-the-Dip‘-Mentalität durchsetzen könnte.
Rückbesinnung auf das Thema Nachhaltigkeit
Allerdings wäre es zu begrüßen, wenn sich die Investoren wieder auf das Thema Nachhaltigkeit fokussieren würden. Verantwortungsbewusste Investitionen sollen zum Wirtschaftswachstum beitragen – und damit eine finanzielle Rendite erwirtschaften – und gleichzeitig die Kosten für Umwelt und Gesellschaft minimieren. In den vergangenen Jahren hat es viele Fortschritte gegeben, es ist aber zu vermuten, dass das gerade erst begonnen hat. So viele wirtschaftliche Aktivitäten verursachen immer noch externe Kosten. Wir können einige identifizieren und bepreisen, aber nicht alle. Die vergangenen drei Jahre waren nicht gut, was die Abwägung zwischen wirtschaftlicher Aktivität und der Anfälligkeit des Lebens für externe Schocks angeht.
Selbst bei Energie – worauf man sich am meisten fokussierte – liegt noch ein langer Weg vor uns. Seit 1965 hat der Energieverbrauch pro einem Prozent Anstieg des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,75 Prozent zugenommen. Die Effizienzgewinne sind so deutlich, dass dieser Wert seit 1990 auf 0,65 Prozent gesunken ist. Dieser Rückgang wird sich fortsetzen, aber die weltweite Energienachfrage steigt immer noch, und zwar seit 1990 mit einer durchschnittlichen Rate von 1,6 Prozent. Da zwei Drittel des Energieverbrauchs nach wie vor auf fossile Brennstoffe entfallen, steigt der Verbrauch von Öl, Gas und Kohle insgesamt an, was immer noch viel Kohlenstoff erzeugt. Und das, obwohl wir in der Lage sind, Kohlenstoff zu bepreisen, was die traditionelle Energieerzeugung gegenüber den erneuerbaren Energien weniger wettbewerbsfähig macht. Ihr Anteil an der gesamten Energieerzeugung beträgt nach wie vor nur etwa 15 Prozent.
Erneuerbare Energien
Das Investitionsthema der Energiewende wird in dem Maße an Überzeugungskraft gewinnen, wie sich neue Technologien entwickeln und besser skalierbar werden. Grüner Wasserstoff zum Beispiel ist eine Technologie, die noch in den Kinderschuhen steckt, und sich als Antrieb für den Fernverkehr und energieintensive Industrieprozesse erweisen könnte. Die Investitionsmöglichkeiten sind enorm. Dasselbe gilt für viele andere Technologien wie die Kohlenstoffabscheidung (einschließlich naturbasierter Lösungen) und zahlreiche Technologien, die zu mehr Energieeffizienz beitragen. Je mehr sie skalierbar werden, desto billiger wird Energie und desto nachhaltiger wird das Wirtschaftswachstum. Dies wird allen Unternehmen zugutekommen. Kurzfristig könnte ein Rückgang der Energiepreise den Industriesektoren insgesamt am Aktienmarkt erheblichen Auftrieb geben.
Kohlenstoff kann bepreist werden, bei Bodenerosion ist es nicht so einfach
Biodiversität als Investitionskonzept ist genauso wichtig wie der Fokus auf das Klima, aber es ist schwieriger, die komplexen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf das Land und die Ozeane zu messen und zu bewerten. Die Weltgemeinschaft braucht einen soliden Rahmen für die Bewertung von Risiken für die biologische Vielfalt – und die Arbeit daran macht gute Fortschritte. Aber wir brauchen auch mehr Offenlegung, eine gezieltere Politik und die Einsicht, dass sich grundlegende Dinge in unserer Lebensweise ändern müssen. Die Ernährung ist aufgrund der Intensität der Landwirtschaft und der damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Landnutzung, die Wasserressourcen und die Emissionen ein wichtiger Schwerpunktbereich. Umfassende Änderungen in der Ernährung sind ohne Bildung und Politik nicht denkbar. Konsum- und Anlageentscheidungen sind nicht realisierbar, wenn nicht mehr Offenheit über Herkunft und gesundheitliche Auswirkungen zur Verfügung steht.
Saubere, erneuerbare Energie hilft der Gesellschaft durch geringere Kosten und weniger Umweltschäden. Gesunde, mit nachhaltigen Methoden erzeugte Lebensmittel kommen der Allgemeinheit durch (potenziell) niedrigere direkte Lebensmittelkosten, aber auch durch geringere Kosten im Hinblick auf die soziale Gesundheit zugute. Dies sind die Utopien einer Umstellung unseres Wirtschaftssystems auf ein nachhaltigeres Modell. Investoren können das nicht allein schaffen und es ist harte Arbeit, die richtigen Kennzahlen zu ermitteln, die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen und das richtige Maß an Transparenz und Engagement mit den Unternehmen zu erreichen, deren Aktivitäten negative externe Kosten verursachen könnten. Aber wir müssen es weiter tun.
Es bleiben viele Unsicherheiten
Eine Unwägbarkeit ist der Verlauf der Ereignisse in der Ukraine und die damit verbundene Frage zur Stellung Russlands in der internationalen Gemeinschaft. Weder eine militärische noch eine Verhandlungslösung scheinen wahrscheinlich. Eine andere ist China und die Frage, wie es mit der Wiedereröffnung weitergeht. Sollte sich China wieder vollständig öffnen, wird dies Folgen für das weltweite Wachstum und die Inflation haben. Chinesische Aktien könnten in einem solchen Szenario besonders gut laufen. Ein weiteres Thema sind die globalen Arbeitsmärkte. Überall ist Arbeitskräftemangel zu hören. Die offiziellen Arbeitslosenquoten sind niedrig. Wird dies zur nächsten Ursache für Inflation? Gleichzeitig gibt es ein Einwanderungsproblem, da die Menschen aus politisch und wirtschaftlich schwierigen Regionen fliehen. Vor allem in Europa müssen die Politiker versuchen, die Quadratur des Kreises zu schaffen, weil wir sonst das Wirtschaftsmodell nicht optimieren. Ein nachhaltiges Wirtschaftssystem muss die Ressourcen auf die effizienteste Weise nutzen.
Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers