Die Sicht des CIO | Mit Schwung ins Tal

AXA Investment Managers | 17.09.2024 14:45 Uhr
Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers / © e-fundresearch.com / AXA Investment Managers
Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers / © e-fundresearch.com / AXA Investment Managers

Am Markt ist man sich sicher: In den USA werden die Leitzinsen bis auf 3% gesenkt, im Euroraum bis auf 2% – weil die Konjunktur nachlässt und sich die Inflation wieder den Notenbankzielen nähert. Für Anleger wäre das gut. Eine lockerere Geldpolitik hilft Anleihen ebenso wie Aktien und nährt die Hoffnung, dass eine Rezession ausbleibt. Für Staatsanleihen ist eine möglicherweise inflationstreibende Politik nach den US-Präsidentschaftswahlen ein Risiko, für Unternehmensanleihen und Aktien ein schwächeres Wachstum. Beim Abstieg vom Tafelberg scheint man erst einmal den mittleren Weg zu nehmen.

Billigeres Geld

Haushalte und Unternehmen profitieren von niedrigeren Kreditzinsen. Am Markt ist man sich sicher, dass die Leitzinsen in den nächsten zwölf Monaten kräftig gesenkt werden. Schon letzte Woche schrieb ich über die hohen Kursgewinne bei Anleihen, denen noch weitere folgen dürften. Niedrigere Zinsen stärken die Cashflows der Unternehmen und helfen den Haushalten, die ihre Hypotheken oder andere Kredite refinanzieren müssen. Die meisten Beobachter rechnen mit einer leichten Konjunkturdelle, die weltweit eine lockerere Geldpolitik nötig macht. Wenn eine Rezession ausbleibt, kann das für Anleger nur gut sein. Wenn die Notenbanken ihre Leitzinsen wie erwartet senken, nimmt das Rezessionsrisiko ab. Mit Anleihen wie mit Aktien wird man weiter ordentlich verdienen.

Jetzt leihen

Am amerikanischen Unternehmensanleihenmarkt sieht man deutlich, was niedrigere Zinsen bewirken. Vor einem Jahr waren die Renditen von Neuemissionen (gemessen an den Marktrenditen) um 200 Basispunkte höher als die Renditen von Altanleihen (gemessen am Durchschnittscoupon). Wer sich im September 2023 refinanzieren musste, hatte deutlich höhere Zinsen zu zahlen als vorher. Heute beträgt die Differenz aber wieder weniger als 50 Basispunkte. Für eurobasierte Investmentgrade-Emittenten ist sie von 250 auf 90 Basispunkte zurückgegangen, für sterlingbasierte von 220 auf 85. Das zuletzt sehr hohe Emissionsvolumen ist daher keine Überraschung. Unternehmen nutzen die wieder viel niedrigeren Zinsen, bis sie erneut steigen (weil sie zu stark gefallen sind oder sich wegen anhaltend schwacher Konjunkturdaten die Spreads ausweiten). Die heutigen Zinsaufschläge neuer Anleihen gegenüber dem Altbestand sind wegen der noch immer hohen Unternehmensgewinne zu verkraften. Es gibt keinen Grund für fallende Zinsdeckungsgrade. Für Unternehmensanleiheninvestoren ist das gut.

Nicht gegen die Notenbanken kämpfen

Regelmäßig tauscht sich das AXA-IM-Team mit Brokerhäusern über die Märkte aus. Auch diese Woche fand ein Treffen mit mehreren Volkswirten und Strategen statt. Die meisten von ihnen rechneten mit weniger Wachstum und einer entsprechenden Reaktion der Notenbanken. Man erwartete einen ähnlich starken Zinsrückgang wie der Markt und hatte allenfalls andere Vorstellungen zum Timing. Die impliziten Markterwartungen für Großbritannien scheinen im Vergleich zu denen für die USA und den Euroraum ungewöhnlich, weil die Bank of England Hinweise auf die bevorstehende Lockerung der Geldpolitik meidet. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die britischen Renditen ebenfalls fallen. Wir hörten nur wenig, was unseren Optimismus für Anleihen infrage stellt. Am Donnerstag hat die Europäische Zentralbank ihren Leitzins dann wie erwartet um 25 Basispunkte gesenkt und weitere Senkungen bis 2025 in Aussicht gestellt.

Auf der Suche nach dem neutralen Zins

In unseren Diskussionen über die Konjunktur – weiche Landung oder Rezession? – ging es auch um das Konzept des neu­tralen Zinses. Noch vor einigen Monaten hielt man am Markt die Inflation für recht hartnäckig. Man glaubte, dass der neutrale Zins (also der Kurzfristzins, bei dem die Wirtschaft voll ausgelastet und die Inflation stabil ist; in der Parallelwelt der Wirtschaftstheorie auch R* genannt) heute höher ist als vor Corona und dem anschließenden Inflationsschock. Bei einem höheren neutralen Zins kann der Leitzins nicht so stark gesenkt werden wie früher. Zeitweise wurde sogar über weitere Zinserhöhungen spekuliert; vielleicht war die Geldpolitik ja gar nicht so straff, wie die Notenbanken glaubten. Allerdings lässt sich der neutrale Zins nicht beobachten. Jetzt scheint man eher von einem weniger starken Anstieg auszugehen, sodass das jetzt erwartete Leitzinsminimum plausibel scheint. Wenn in den USA der neutrale Realzins 1% und die Inflation 2% beträgt, wäre ein Nominalzins von 3% neutral und nicht etwa expansiv. Zwei oft zitierte Studien der New York Fed schätzen den neutralen Realzins auf 0,75% bis 1,25%. Ein Risikoszenario für Anleihen wären wachsende Rezessionssorgen verbunden mit der Einschätzung, dass der Leitzins unter dem neutralen Niveau liegen müsse. Die nominalen Leitzinsen könnten dann auf 2% oder sogar darunter fallen.

Zinsrisiken

Wirkliche Risiken für den zurzeit sehr optimistischen Anleihenmarkt wären, dass die Inflation zur allgemeinen Enttäuschung nicht weiter fällt, dass Donald Trump die Wahlen gewinnt oder dass die Fiskalpolitik in den Industrieländern generell zu expansiv wird. Wir werden sehen, wie sich die Inflation entwickelt, aber sie scheint zu fallen. Kamala Harris hatte in der Fernsehdiskussion mit Donald Trump letzte Woche einen gelungenen Auftritt. Die Umfragen sprechen weiter für einen knappen Wahlausgang, aber das könnte sich in den nächsten Wochen ändern. Ich werde noch mehr über Trumps Programm schreiben. Die Arbeitshypothese für Anleiheninvestoren ist aber, dass es preistreibend ist. Natürlich machen sich Anleihenanalysten und Volkswirte Sorgen über Haushaltsdefizite, höhere Staatsanleihenemissionen und die Auswirkungen übertriebener Staatsausgaben auf die Inflation. Manche glauben sogar, dass der Anstieg des Quotienten aus Langfristzinsen und Swapsätzen (mit dem Händler die relative Bewertung von Anleihen messen) steigende Risikoprämien lang laufender US-Staatsanleihen infolge des amerikanischen Haushaltsausblicks anzeigt. Andererseits war die Auktion amerikanischer Zehnjahresanleihen diese Woche sehr erfolgreich. Der Haushaltsausblick mag nicht gut sein, aber das ist ein Thema für morgen, das die derzeitige Anleihenhausse nicht wirklich aus dem Tritt bringen kann.

China

China gilt als Schwachpunkt der Weltwirtschaft, mit weltweiten Folgen. Das niedrige Wachstum ist eine Folge der nicht enden wollenden Immobilienmarktkrise. Ihretwegen wird weniger investiert und geben die Verbraucher weniger Geld aus. Es wird mehr gespart. Die vielen Problemkredite von Immobilienentwicklern und die notleidenden Hypothekenkredite der Haushalte könnten zu weiteren Schwierigkeiten führen. China will zur Stärkung der Wirtschaft mehr exportieren. Wegen der vielen Handelsbeschränkungen für chinesische Exporte kann das aber zu Preissenkungen bei einigen Gütern führen, etwa bei Stahl. China exportiert Deflation, und die mangelnde Nachfrage ist ein Problem für andere Exportnationen wie Deutschland. Ohne wirksame Maßnahmen, um durch höhere Haushaltseinkommen die Binnennachfrage zu stärken und die Problemkredite abzubauen, ist eine Deflationsspirale nicht auszuschließen, verschärft durch die schlechte Demografie. In den frühen 1990ern hat man mit japanischen Aktien viele Jahre lang nichts verdient. In China könnte es jetzt ähnlich kommen.

Trump zum Zweiten?

Das bringt mich zurück zu Donald Trump. Wenn er gewinnt, wird er versuchen, drakonische Importzölle einzuführen, die vor allem China, aber auch andere Länder treffen. Damit riskiert er Revanchezölle auf US-Exporte. Die Folgen eines solchen Handelskriegs sind nicht leicht zu modellieren, aber er wird sicher dem Welthandel und damit dem Weltwirtschaftswachstum schaden. Die Inflation würde steigen – weil Zölle Importe teurer machen, aber auch weil US-Unternehmen Schutzzölle für Preiserhöhungen nutzen, um ihre Margen zu steigern. Mit Währungsabwertungen könnte man versuchen, die Folgen abzumildern. Aber wir wissen, dass das ein Nullsummenspiel ist – und inflationstreibend wäre es auch.

Im Land selbst würde Trump auf niedrigere Zinsen drängen

schließlich kommt er aus der Immobilienbranche, wie er nur zu gerne betont. Er würde die Steuersenkungen von 2016 verlängern und weitere anstreben. Der Fed dürfte es dann schwerer fallen, bei der Zinspolitik Kurs zu halten. Vielleicht würde die Risikoprämie für lang laufende Anleihen steigen, selbst wenn die Kurzfristzinsen gesenkt werden müssten, um die konjunkturellen Folgen des schwächeren Außenhandels abzufedern. Da können wir nur hoffen, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzt; zumal extreme Negativszenarien meist unwahrscheinlich sind. Auf mittlere Sicht darf man sie aber nicht außer Acht lassen.

Einstweilen optimistisch

All das wird aber erst nach den Wahlen relevant. Einstweilen bleibe ich für die Märkte optimistisch. Die Zinsen fallen. Staatsanleihen macht das weniger attraktiv, aber ihre Kurse sind noch immer höher als vor Beginn der Zinserhöhungen. Die Unternehmensanleihenmärkte scheinen stabil, mit hohen Emissionen, aber auch einer hohen Nachfrage. In den nächsten Monaten könnten die Einlagenzinsen unter die Renditen von Investmentgrade-Unternehmensanleihen fallen, erstmals seit Ende 2023. Dann wird wohl weiter viel in Unternehmensanleihen investiert. Heute liegt die Rendite amerikanischer High-Yield-Anleihen um 175 Basispunkte über der Federal Funds Rate. Dieser Abstand wird sich ausweiten und damit zu Mittelzuflüssen in eine Assetklasse führen, deren Risiko-Ertrags-Profil besser ist als das von Aktien.

Das Drama ist vorbei

Zuletzt waren die Zinsen das große Thema, sodass Aktien etwas aus dem Blick gerieten. Für großen Pessimismus gibt es aber keinen Grund. Die Unternehmensgewinne sind solide, und die Gewinnerwartungen haben sich verbessert. Nach den jüngsten Schwankungen hat der S&P 500 fast wieder sein Allzeithoch erreicht. Niedrigere Zinsen sind gut für Aktien. Ich bin zuversichtlich, dass ein 60/40-Portfolio auch für 2025 eine gute Wahl ist.

Verteidigen und angreifen

Als ich das letzte Mal über Fußball geschrieben habe, habe ich es anschließend bereut. Manchester United gegen Liverpool verlieren zu sehen enttäuscht und frustriert mich in vielerlei Hinsicht. Nach der lächerlichen Länderspielpause geht die Saison an diesem Wochenende weiter. Ich hoffe, dass United an seinen Schwächen (wie Verteidigung und Angriff) gearbeitet hat. Die Leistung des Teams ist schwerer zu prognostizieren als die täglichen Kursschwankungen des Bitcoins. Als Anleiheninvestor bin ich längst nicht so angespannt wie als Fan der Red Devils. Hoffentlich dauert es nicht mehr lange, bis all die neuen Spieler einschlagen und wir in der Tabelle der Premier League Plätze gutmachen. Noch halte ich aber eine Federal Funds Rate von 2% und einen Bitcoin-Kurs von 100.000 US-Dollar für wahrscheinlicher als den nächsten Titelgewinn.

Von Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers

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