- Wenn die US-Zölle so hoch bleiben, wie sie jetzt sind, könnten sich sowohl die USA als auch der Euroraum einer Rezession gegenübersehen.
- Das muss aber nicht unbedingt ein „Zurück in die 1930er“ werden. Eine protektionistischer Teufelskreis kann vermieden werden.
Nach dem „Tag der Befreiung“ sind die US-Zölle zehn Mal so hoch wie vor Trump. Wenn sie nicht wieder sinken, wenn also die noch ausstehenden Verhandlungen nicht bald beginnen und eine schnelle Lösung gefunden wird, könnten die Kaufkraft der Verbraucher, die Gewinnmargen der Unternehmen und damit auch die Investitionen so stark zurückgehen, dass sich die USA in der zweiten Jahreshälfte mit einer Rezession konfrontiert sehen. Dann hängt es vor allem von der Bereitschaft der Fed ab, diesen Schock abzufedern. Wir haben kaum Zweifel daran, dass die Fed bei klaren Anzeichen für eine Verschlechterung der Arbeitsmarktlage ihren Zinssenkungszyklus wieder aufnimmt, aber aus unserer Sicht wird sich die Expansion in Grenzen halten. Die Zentralbank muss glaubwürdig bleiben, und die Fed-Vertreter werden das Risiko einer Überreaktion sehr ernst nehmen. Dann könnte es zu einem direkten Konflikt zwischen dem Weißen Haus und der Zentralbank kommen.
Auch Europa wird stark unter Druck geraten. Vielleicht fällt der Schock hier weniger gravierend aus als in den USA, aber die Euroraumwirtschaft war schon vor dem „Tag der Befreiung“ schwach, und die zusätzliche Belastung des Exports und des Vertrauens könnte auch hier gegen Ende des Jahres eine Rezession aufziehen lassen. Allerdings hat die EZB mehr Spielraum für eine Lockerung, weil die Inflation weiter zurückgeht. Die wichtigste Entscheidung für Europa ist die über mögliche Gegenmaßnahmen. Aus unserer Sicht spricht viel dafür, sie vorzubereiten, aber nicht sofort umzusetzen. Wenn unsere Prognose stimmt, und die US-Wirtschaft schnell nachlässt, könnte sich das politische Klima in den USA ändern. Natürlich kann Europa die US-Politik nicht direkt beeinflussen, befände sich aber möglicherweise in einer besseren Position, wenn die Verhandlungen ernsthaft beginnen.
Die Entscheidungen der USA am 2. April wecken Erinnerungen an beängstigende Ereignisse der Geschichte wie den Smoot-Hawley Tariff Act im Jahr 1930, der die Große Depression verlängerte und dem Welthandel schadete. Der damalige protektionistische Teufelskreis war aber vor allem auf den Zusammenhang zwischen Handel und Goldstandard zurückzuführen. Heute haben die Regierungen mehr Möglichkeiten. Wenn sie ihre Nerven behalten, hat die alte regelbasierte Handelsordnung noch eine Chance.
Von Gilles Moëc, Chief Economist und Head of Research, AXA IM