Leithenmüller: Nein, die Kursbewegung in den letzten drei Wochen an sich stellt keine neue Erkenntnis dar. Die Zahl an Indexfonds oder indexnahen Produkten hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das führt dazu, dass der Index verkauft wird, wenn sich die Risikoeinschätzung, vor allem von institutionellen Anlegern, ändert. Wir sahen eine ähnliche Entwicklung im zweiten Halbjahr 2008. Auch damals brachte Stock-Picking keinen Mehrwert. Wenn sich dann die Nebel aber lichten und man die unterschiedliche Entwicklung der Unternehmen erkennt, wird dies wieder honoriert und die Zeit der Stock-Picker ist wieder da.
Was ist die Lehre aus dieser Entwicklung?
Unsere zuletzt entwickelten Produkte wie die 3 Banken Value-Aktienstrategie oder die beiden Dividendenstrategien kombinieren Stock-Picking und Market-Timing. Wir haben in den vergangenen Wochen temporär die Hälfte dieser Fonds abgesichert und dadurch das Marktrisiko halbiert. An den sorgfältig ausgewählten Einzelaktien haben wir aber weitgehend festgehalten. Relativ betrachtet hat dies im August einen doch beachtlichen Mehrertrag im Vergleich zum schwachen Markt gebracht.
Es ist in diesem Umfeld wichtig, welche Aktien man hat. Wie viele man aber davon hat, ist die wichtigere Entscheidung.
Welche Trends ergeben sich auf Branchenebene?
Wir arbeiten bei der Auswahl unserer Sachwerte- oder Dividendenaktien mit klar definierten Filtern. Ein Filter davon ist die Abhängigkeit von politischen Entwicklungen in den jeweiligen Staaten. Dieser Filter gewinnt massiv an Bedeutung und wird eine zentrale Herausforderung in den kommenden Jahren darstellen. Gerade Versorger scheinen da gefährdet. Die schlechte Kursentwicklung von RWE und E.ON ist bekannt. In Italien gibt es Pläne für eine Sondersteuer auf Versorger, die zuletzt etwa den führenden Versorger ENEL unter Druck brachte. Dass in Venezuela zuletzt der Goldsektor verstaatlicht wurde, ist sicherlich ein isoliertes Einzelereignis, passt aber ins Bild. Fazit daher: Wenn wir uns einig sind, dass die Staaten sparen müssen und Steuern brauchen, so müssen wir uns auch überlegen, welche Bereiche dies betreffen kann. Eine reine Brancheneinschätzung ist daher zu wenig. Man muss dies mit der jeweiligen Ländermeinung kombinieren und diese umfasst letzten Endes auch die Beurteilung der politischen Komponente (Stichwort: Zwang/Bereitschaft zur Budgetkonsolidierung, neue Steuern, Verstaatlichungen).
Wo liegen sonst noch Risiken für Enttäuschungen?
Bei den Dividendenaktien muss man sehr sorgfältig analysieren. Die Dividendenqualität bei vielen Titeln aus der Pharmaindustrie oder aus dem Bereich Nahrungsmittel und nicht zyklischer Konsum ist sehr überzeugend. Die Bilanzqualität ist sehr gut, eine stabile hohe Ausschüttung daher auf Jahre gesichert. Aber ist dies auch bei den Telekom-Aktien so? Bei manchen ja, bei manchen nein. Telekom-Austria etwa zahlt seit Jahren eine Dividende, die man sich eigentlich nicht leisten kann. Dadurch sinkt das Eigenkapital Jahr für Jahr. Das ist letztendlich nicht im Sinne des Aktionärs, zumindest nicht des Privataktionärs. Wir schließen daher bei vielen Telekom-Aktien Dividendenkürzungen nicht aus.
Wie schaut es mit den Bewertungen insgesamt aus?
Im historischen Vergleich sind viele Aktien sicherlich attraktiv bewertet, auch wenn man ins Kalkül zieht, dass in vielen Branchen die Gewinnerwartungen unsicher und viele Analystenprognosen immer noch zu hoch sind. Umso mehr ist in diesen Zeiten der Blick auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis zielführender als eine reine KGV-Betrachtung. Der Buchwert des Eigenkapitals schwankt weniger stark als der Gewinn. Eine Extremsituation sehen wir derzeit in Österreich. Der ATX notiert derzeit im Schnitt unter dem Buchwert. Dies hat es in den vergangenen 15 Jahren nur einmal gegeben, in der zweiten Jahreshälfte 2008. Das muss und wird die Börse wohl nicht morgen honorieren. Die Asset-Klasse Aktie bleibt aber in den kommenden Jahren ein Bestandteil der Vermögensanlage. Gerade wenn über die Qualität unseres Geldsystems diskutiert wird, ist die Beteiligung an einem produzierenden Unternehmen eine gute Antwort.