Gewinn und Cashflow
Kürzlich erhielt ich einen Research-Kommentar von John Mauldin, indem er schreibt, dass „der Gewinn die Muttermilch für das Wirtschafts-, Aktienmarkt- und Portfoliowachstum ist“ und dass „ohne Gewinn, und zwar einen hohen Gewinn, nichts Gutes passiert“. Dieses Zitat eignet sich meiner Ansicht nach hervorragend, um mit dem Kommentar für diesen Monat zu beginnen. Eine hohe Rentabilität sowie ein nachhaltiger operativer Cashflow sind für eine Kapitalausschüttung an die Aktionäre ebenso wie für eine positive Entwicklung am entsprechenden Anlagemarkt absolut entscheidend.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels wurden die Ergebnisse für das dritte Quartal 2016 veröffentlicht, für das mehr als die Hälfte der Unternehmen im S&P 500 Index ihre Ergebnisse bereits bekanntgegeben hat. Im Anschluss an eine ziemlich negative Phase fallen die jüngsten Ergebnisse wieder besser aus. Die Wachstumsprognose für den Gewinn je Aktie ist, wenn auch nur leicht, positiv (+1% im Vergleich zum Vorjahr). Die veröffentlichten Daten sind wichtig, da die Gesamtrentabilität und die Cashflow-Generierung die beiden Haupteinflussfaktoren für die Indexrenditen darstellen.
Wofür sollte der Cashflow ausgegeben werden?
Wenn wir uns Daten im Vergleich zu den Nicht-Finanztiteln im S&P500 anschauen, können wir bestimmen, wofür Firmen ihren Cashflow aufwenden.
In den letzten zwölf Monaten generierten US-Unternehmen einen operativen Cashflow von circa 1,3 Billionen US-Dollar. Dieser Cashflow wurde auf zwei herkömmliche Arten verwendet: Wiederanlage in das Unternehmen (circa 1,0 Billionen US-Dollar) und Dividenden an Aktionäre (circa 0,3 Billionen US-Dollar). So weit, so gut. Wichtig zuwissen ist auch, dass weitere 0,4 Billionen US-Dollar über Anleihen und Darlehen aufgenommen und für Aktienrückkäufe ausgegeben wurden. Die Verfahrensweise, dass ein Unternehmen seine eigenen Aktien am freien Markt erwirbt, ist zwar nicht neu, erfreut sich aber steigender Beliebtheit.
Warum Aktienrückkäufe?
Aus welchem Grund ziehen Unternehmen einen Rückkauf ihrer Aktien einer Wiederanlage in das eigene Unternehmen vor?
Aktienrückkäufe waren für Unternehmen schon immer eine Option zur Kapitalverwendung, wenn keine Geschäftsprojekte anstanden, die über das Potenzial verfügten, eine ausreichend attraktive Kapitalrendite zu erzielen. In den letzten 20 Jahren kauften Unternehmen ihre Aktien auch aus dem Grund zurück, um im Zuge aktienbasierter Vergütungspakete die Emission neuer Aktien auszugleichen. Ein dritter Grund bezieht sich auf die Optimierung der Kapitalstruktur des jeweiligen Unternehmens. Es ist möglicherweise günstiger, einen größeren Anteil des Unternehmens über günstiges Fremdkapital anstatt durch Eigenkapital zu finanzieren. Auf diese Weise wird auch eine übermäßige Verwässerung für Aktionäre vermieden. Ein vierter Grund – wohl weniger ehrenwert, stärker eigennützig und mit der zunehmend kurzfristigen Natur der Kapitalmärkte verbunden – hängt damit zusammen, dass Unternehmensführungen „tun, was auch immer nötig ist“, um Performanceziele zu erreichen. Tatsächlich hat durch die Aktienrückkäufe ein Prozess der Verringerung des Aktienbestandes eingesetzt. Heute beträgt der Wert der sich im Umlauf befindenden Aktien im S&P 500 8,6 Mrd. US-Dollar, vor zehn Jahren waren es noch 9,3 Mrd. US-Dollar. Dadurch ergibt sich ein besseres Ergebnis „je Aktie“, da die Geschäftsführung so einen höherenGewinn je Aktie für die Aktionäre erzielen kann. Der umfangreiche Kauf der eigenen Aktien könnte darüber hinaus zu einer besseren Aktienmarktentwicklung führen, vor allem wenn man bedenkt, dass bei den aktuell niedrigen Renditen jede Ausschüttungssteigerung eines Unternehmens den Aktienkurs unterstützen dürfte.
Gut, schlecht oder hässlich?
Mit Blick auf unsere aktuellste Statistik zeigt sich, dass die Unternehmen des S&P 500 beachtliche 450 Mrd. US-Dollar (nach Abzug der Neuemissionen) für Aktienrückkäufe ausgaben. Wirken sich Aktienrückkäufe, die mit Investitionsausgaben und Dividenden als Kapitalverwendung konkurrieren, negativ auf diese Unternehmen aus? Muss man den Umfang der Aktienrückkäufe als überhöht ansehen? Ist Fremdkapital ein nachhaltiger Finanzierungskanal für diese Methode?
Erstens gibt es keinen Nachweis dafür, dass Aktienrückkäufe andere Arten der Kapitalverwendung wie Investitionen oder Dividenden verdrängen. In den USA liegt der prozentuale Anteil der Investitionsausgaben am Cashflow bei knapp über 50%, was historischen Trends entspricht. Der prozentuale Anteil vom Cashflow, der für Dividenden verwendet wird, liegt bei knapp über 20%, was ebenfalls dem Trend entspricht. Unser Fazit ist, dass sowohl Investitionen als auch Dividenden bisher nicht von den vermehrten Aktienrückkäufen beeinträchtigt wurden.
Eine weitere Frage ergibt sich aus dem Volumen der Aktienrückkäufe. Aus historischer Perspektive ist der Betrag von 450 Mrd. US-Dollar, der in den vergangenen zwölf Monaten für Aktienrückkäufe aufgewendet wurde, absolut betrachtet sehr hoch. Im vierten Quartal 2007erreichten die Kurse den vorherigen Höchststand, bevor sie im zweiten Quartal 2009 auf den niedrigsten Wert absanken. Damit war das Market Timing der Firmenchefs alles andere als optimal, schien es doch so, als würden sie prozyklisch kaufen, anstatt antizyklisch.
Eine dritte Überlegung bezieht sich auf die Finanzierungsquelle für die Aktienrückkäufe, die für viele Unternehmen Fremdkapitalist. Ein Unternehmen sollte grundsätzlich kein Kapital an die Aktionäre ausschütten, das es nicht selbst generiert hat. Wenn also für Investitionen und Dividenden die gesamten vom Unternehmen generierten Erträge / der gesamte Cashflow absorbiert wird, sollte demzufolge kein zusätzliches Kapital ausgeschüttet werden. Nach heutigem Stand liegen die Ausgaben von US-Unternehmen insgesamt so deutlich über dem generierten Cashflow wie nie zuvor. Das ist weder gesund noch nachhaltig. Anfang 2009 und Mitte 1999 wurden die vorherigen Höhepunkte erreicht und in beiden Fällen ging eine wirtschaftliche Rezession sowie ein starker Markteinbruch voraus. Sicherlich kein gutes Omen.
Die Finanzierung von Aktienrückkäufen mittels Fremdkapital könnte zu einem überhöhten Verschuldungsgrad führen. Die Emission von Schuldtiteln nimmt hochgerechnet jährlich um 20% zu, gleichzeitig stagniert die Rentabilität, weshalb sich wichtige Kennzahlen wie Debt /EBITDA sowie die Zinsdeckung in den letzten Jahren verschlechterten (der Verschuldungsgrad stieg von 2 auf 2,5 und der Zinsdeckungsgrad von 10 auf 8). Da bestimmte Grenzwerte erreicht sind und so die Bonität von Unternehmen im S&P-Index ohnehin strapaziert wird, kann der Verschuldungsgrad nicht weiter ausgedehnt werden. Die Situation ist auf lange Sicht nicht tragbar – Alles geht nicht. Entweder muss sich die Ertragslage der Unternehmen verbessern oder die Aktienrückkaufprogramme müssen reduziert werden. Außerdem sind die Rückkaufprogramme aufgrund der Schuldenfinanzierung anfällig für eine Straffung der Kreditbedingungen im Fall von Rezessionssorgen oder aufgrund einer Straffung der Geldpolitik. Auch in einem solchen Szenario müssten die Aktienrückkaufprogramme reduziert werden.
Wenn Aktienrückkäufe aufgrund bilanzieller Aspekte oder eines Anstiegs der Finanzierungskosten zurückgingen, würde man die Auswirkungen an den Aktienmärkten spüren. Für das Jahr 2016 werden Aktienrückkäufe die größte Quelle der Aktiennachfrage für US-Aktien darstellen. Wir konnten über mehrere Jahre hinweg beobachten, in wie weit sich Veränderungen im Volumen der Aktienrückkäufe nachfolgend auf die Aktienmärkte auswirkten.
Liquiditätsstarke Unternehmen
Auch wenn sich hier ein düsteres Bild zeichnet, sollten wir noch nicht verzweifeln. Nicht alle Unternehmen haben mit den von mir genannten Problemen zu kämpfen.
Mit Blick auf die Marktkapitalisierung ist ein übermäßiger Verschuldungsgrad vor allem bei kleineren Unternehmen zu beobachten. Bei größeren Unternehmen, die sich aufgrund ihrer meist hohen Liquidität in der besten Ausgangslage befinden, um ihre Aktienrückkaufprogramme aufrechtzuerhalten, gibt es hingegen kaum Probleme. Auf Ebene der Sektoren kommen schwerwiegende Cashflow-Probleme in der Energie- und Industriebranche sowie beizyklischen Konsumgütern vor. Bei den Sektoren Gesundheitswesen und IT handelt es sich um liquiditätsstarke Branchen, denen das Aufrechterhalten des aktuellen Rückkaufniveaus weniger Schwierigkeiten bereiten dürfte.
Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass große Unternehmen im Gesundheits- und IT-Sektor erhebliche Summenin ihren Bilanzen haben, die im Ausland gehalten werden und die, entsprechend der vorangegangenen Ausführungen, aktuell im Ausland gebunden sind. Da sich beide US-Präsidentschaftskandidaten für Initiativen aussprechen, die solche Beträge freigeben und repatriieren würden, sollte man das Potenzial dieser Gelder zum Zweck von US-Investitionen, Dividenden und Aktienrückkäufen nicht unterschätzen.
„It’s the profits, Dummkopf!“
Unternehmensrentabilität und Cashflow-Generierung bestimmen die zukünftigen Trends. Zwei kurzfristige Faktoren sollten beobachtet werden: Der Rohölpreis sowie der Wert des US-Dollar.
Vor allem in den USA können Explorations- und Produktionsgesellschaften durch Verbesserungen in der Förderungstechnik Öl zu immer geringeren Kosten produzieren. Diese niedrigeren Angebotskosten setzen einer weiteren Ölpreisrally eine Obergrenze. Allerdings lässt das Unvermögen von OPEC- und nicht-OPEC-Ländern, zu einer Einigung im Hinblick auf einen Plan zur Angebotsreduzierung zu kommen, das Öl weiter fließen. In Nordamerika fördern viele notleidende Produzenten, einschließlich solcher, die Gläubigerschutz nach Chapter 11 der amerikanischen Insolvenzordnung beantragt haben, nachweislich weiter Öl für Bares aus dem Boden. Aus diesem Grund ist es höchst unwahrscheinlich, insofern es nicht zu einem Schock kommt, dass der Ölpreis höher als 55 US-Dollar bis 60 US-Dollar je Barrel steigen wird. All diese Überlegungen machen eine Erholung der Rentabilität im Energiesektor immer noch möglich, sie deckeln jedoch das zukünftige Wachstum des Gewinns je Aktie.
Ein stärkerer US-Dollar hätte negative Auswirkungen auf die Ertragslage von Unternehmen im S&P 500. Diese würden sowohl unter den in Fremdwährungen generierten Erträgen als auch unter einer verminderten internationalen Wettbewerbsfähigkeit leiden. Es versteht sich von selbst, dass aus diesem Grund zukünftige Trends in der geldpolitischen Vorgehensweise eine entscheidende Rolle spielen werden.
Zusätzlich zu diesen kurzfristigen Treibern sollten auch einige langfristige Trends berücksichtigt werden. Erstens haben die US-Gewinnspannen aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Höchststand erreicht und könnten allmählich sinken. Hierbei handelt es sich um eine dezente aber dennoch unvermeidliche Entwicklung. Bestimmt wird dieser Trend von Aspekten wie höheren Lohnkosten, einer höheren effektiven Besteuerung sowie höheren Zinsbelastungen. Obwohl sie langsam und schrittweise vonstattengehen, werden diese Erhöhungen nicht zum Gewinnwachstum beitragen, sondern es eher bremsen. Denkbar ist außerdem, dass wir bereits den Höhepunkt der Globalisierung erlebt haben. Die Welt scheint sich immer stärker auf nationale Interessen und protektionistische Maßnahmen zu konzentrieren. Der Welthandel, den globalen Gewinnen bisher zuträglich, könnte sich dann als Hemmnis erweisen.
Thomas Jefferson
Die derzeitige Zuwachsrate der Aktienrückkäufe ist nicht nachhaltig. In dem Szenario, das sich gegenwärtig abzuzeichnen scheint, könnte sich das für hohe Gewinne und günstige Finanzierungen vorteilhafte Umfeld verschlechtern. Vielen Unternehmen mangeltes möglicherweise an verfügbaren Finanzmitteln oder günstigen Finanzierungsquellen für Aktienrückkäufe. Wie eine Decke, die zu kurz ist, um uns vom Hals bis zu unseren Fußzehen zu bedecken, reichen Gewinne und Cashflows nicht aus, um die Aufwendungen eines Unternehmens für Investitionen, Dividenden und Aktienrückkäufe zu decken. Alles geht eben nicht.
In Anbetracht der Präsidentschaftswahlen in den USA möchte ich Thomas Jefferson Anerkennung zollen und, nachdem ich nun bei meinem Fazit zu den Aktienrückkäufen in den USA angelangt bin, eines seiner Zitate wiedergeben: „Verfüge nie über Geld, ehe du es hast.“
Anlagestrategie
Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen behalten wir unsere neutrale und vorsichtige Positionierung im Aktiensegment bei. Innerhalb der Anlageklasse bevorzugen wir EM Asien und Japan.
Darüber hinaus bestätigten wir im Aktiensegment unlängst erneut unsere positive Haltung zu „Value-Investitionen“ als Anlagestil. Im Rahmen unserer Multi-Asset-Strategien drückt sich dies durch eine Position in europäischen und japanischen Banktiteln aus. Wir erachten „Qualitätswachstum“ und viele „Bond Proxys“ nach wie vor als zu teuer.
US-Hochzinsanlagen gehören weiterhin zu unseren bevorzugten Positionen, um auf konservative Weise von der positiven, wenn auch moderaten, Wachstumsdynamik in den USA zu profitieren.
Marino Valensise, CFA
Chairman
Strategic Policy Group
Barings, London