Barings Leading Thoughts: Wo Fortschritte möglich sind — Washington nach den US-Zwischenwahlen

In der US-Hauptstadt hat man sich in letzter Zeit eher an politischen Stillstand gewöhnt, als legislative Fortschritte zu erzielen, doch im kommenden Jahr könnte Washington mit einigen kleinen Überraschungen für die Finanzmärkte aufwarten. Barings | 29.10.2018 10:16 Uhr
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Die emotionale Anhörung von Brett Kavanaugh und seine Berufung zum Richter am Obersten Gerichtshof hat den Wahlkampfendspurt der Midterm Elections, die bis dahin als recht vorhersehbar betrachtet wurden, ordentlich aufgerüttelt. Allgemein wird weiterhin angenommen, dass die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobern werden, während der Senat weiter in der Hand der Republikaner bleibt, doch gibt es innerhalb dieses Szenarios noch jede Menge Unsicherheitsfaktoren.  

Zudem könnten bei einer Machtkonstellation, bei der politische Grabenkämpfe unvermeidbar scheinen, dennoch legislative Fortschritte bei Themen wie Infrastruktur, Kontrolle von Arzneimittelpreisen und möglicherweise auch Mindestlohnregelungen erzielt werden. Auch die Zustimmung zum neuen nordamerikanischen Handelsabkommen ist möglich. Schwer vorstellbar sind allerdings nachhaltige Maßnahmen zur Bewältigung des mit Abstand größten wirtschaftlichen Problems: die derzeitige Entwicklung des US-Haushaltsdefizits.

Zwei Wochen = zwei Ewigkeiten

Nach derzeitigem Stand wäre der überraschendste Ausgang, wenn es den Republikanern gelänge, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen. Zum einen war es in der Vergangenheit meist so, dass sich die Partei des Präsidenten bei Zwischenwahlen im Repräsentantenhaus nicht behaupten konnte, zum anderen stünde ein solcher Ausgang im Gegensatz zu den aktuellen Prognosen, die einen recht eindeutigen Sieg der Demokraten vorhersagen. Ein unerwarteter Sieg der Republikaner würde allerdings aller Voraussicht nach zu einer Rally an den Märkten führen, da die Möglichkeit weiterer Steuersenkungen und einer stärkeren Deregulierung bestünde. In diesem Szenario würden insbesondere Finanzwerte sowie die Titel von Pharma-, Energie- und Rüstungsunternehmen beflügelt werden.

Dass die Republikaner die Kontrolle über den Senat verlieren, erscheint weniger wahrscheinlich, auch wenn wir inzwischen längst gelernt haben, dass sich Prognosen auf Bundesstaaten-Ebene häufig als nicht verlässlich erweisen. Politik-Junkies verfolgen die Kopf-an-Kopf-Rennen in Missouri, Montana, Indiana und Florida, wo die Demokraten ihre derzeitigen Sitze verlieren könnten. Für die Republikaner werden Verluste in Nevada und Arizona prognostiziert, doch hier haben sich die Abstände jüngst verringert, da die Basis der Republikaner seit der Kavanaugh-Auseinandersetzung stärker mobilisiert scheint. Nicht zu vergessen ist, dass eine Woche in der Politik eine Ewigkeit sein kann – und bis zu den Wahlen sind es noch knapp zwei Wochen.

Einigkeit unter seltsamen Verbündeten?

Selbst wenn sich die Parteien nach den Wahlen die Macht im Kongress teilen müssen, ist nicht alles verloren: Es gibt einzelne wichtige Bereiche, in denen selbst die erbittertsten Feinde Einigungen erzielen können. Die demokratische Oppositionsführung im Repräsentantenhaus, ob Nancy Pelosi oder ein neues Gesicht, wird unter immensem Druck stehen, eine neue Untersuchung der Geschäftsangelegenheiten von Donald Trump und seiner Wahlkampfverbindungen zu Russland einzuleiten. Dennoch gibt es ein paar wichtige Bereiche, in denen die wirtschaftlichen Ideologien beider Parteien sehr nah beieinanderliegen.

Die Infrastrukturpläne von Donald Trump sind neben seinen Steuer- und Handelsinitiativen weitgehend untergegangen, doch den Demokraten ist der Handlungsbedarf im Infrastrukturbereich ebenfalls bewusst. So könnte es gut sein, dass sie ohne Weiteres einem Programm zustimmen, das eine Kombination aus öffentlichen und privaten Geldern bereitstellt, und sich beide Seiten die Anerkennung dafür teilen – wenn auch zähneknirschend. Der Präsident wird möglicherweise gezwungen sein, nicht weiter auf höheren Verteidigungs- und Grenzschutzausgaben zu beharren, doch die politischen Definitionen von „Infrastruktur“ und „Grenzmauer“ lassen sich leicht verwischen. Von entscheidender Bedeutung wird es sein, Trump dazu zu bewegen, die Mineralölsteuer zu erhöhen, die seit 1993 nicht mehr angepasst wurde.

Im Bereich der Handelspolitik käme von einem demokratischen Repräsentantenhaus starker Rückenwind für die Fortsetzung der Offensive gegen China, sodass weitere Zölle und strengere Kontrollen für chinesische Investitionen in den USA wahrscheinlich sind. Die stärker protektionistisch geprägte Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) könnte auch bei vielen Demokraten Gefallen finden. Handelsabstimmungen sind immer besonders kontrovers und knapp, doch das neue, von Trump vorgelegte USA-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA) beinhaltet klar die Bestimmung, dass künftig mehr Bauteile von Autos in Ländern mit höheren Löhnen (sprich in den USA) gefertigt werden müssen, weshalb einige Arbeitnehmerorganisationen bereits zugesagt haben, den Vorstoß unter bestimmten Bedingungen zu unterstützen.

Weniger wahrscheinlich, aber dennoch möglich, sind Fortschritte in Punkten wie der Kontrolle von Arzneimittelpreisen – ein Thema, zu dem sich Trump bereits mehrmals auf Twitter geäußert hat und das vielen Demokraten am Herzen liegt. Die jüngste Entscheidung von Amazon, seine Stundenlöhne zu erhöhen, wurde sowohl von der Trump-Regierung als auch von dem demokratischen Senator Bernie Sanders gelobt. Dies könnte den Beginn einer Annäherung im Bereich Mindestlohngesetzgebung markieren. Trump würde die Gewinnmargen der Pharmaunternehmen herabsetzen, während Sanders sich mit Gegenstimmen aus dem Gastgewerbe auseinandersetzen müsste.

Nicht alle dieser Spekulationen werden sich als korrekt erweisen, aber einige könnten zutreffen.

Der Elefant im Raum wird sich nicht rühren

Was mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist: ein kohärenter Ansatz zur Bekämpfung des US-Haushaltsdefizits, das sich in diesem Jahr durch die Steuersenkungen weiter ausgeweitet hat. Die Demokraten werden Spitzenverdiener höher besteuern und wichtige Haushaltskürzungen wieder einführen wollen. Trump hingegen wird mit Blick auf seine Wiederwahl wohl kaum zurückrudern, schließlich geht es hier um einen der in seinen Augen wichtigsten legislativen Erfolge. Wenig überraschend ist auch, dass scheinbar keine der beiden Parteien bereit ist, die eher langfristige Herausforderung der Anpassung der bundesstaatlichen Sozialleistungssysteme anzugehen.

Es könnte also gut sein, dass die Bereiche, in denen potenziell Fortschritte erzielt werden können, überschattet werden von politischen Dramen und faulen Kompromissen, die auf nächtlichen Sitzungen geschlossen werden, um vorläufige Haushaltsmaßnahmen durchzuboxen. Mit diesen könnte eine Haushaltssperre verhindert werden, sie werden aber wohl nicht zu einer nachhaltigeren langfristigen Haushaltspolitik beitragen.

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Christopher Smart, PhD, CFA, Leiter Macroeconomic & Geopolitical Research, Barings

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