„Der amerikanische Karren steckt am Straßenrand fest und US-Präsident Joe Biden weiß, dass er wieder in Fahrt kommen muss. Er weiß auch, dass es keinen Abschleppwagen gibt, der stark genug ist, um zu helfen. Dabei ist das Risiko groß, dass ein Tritt aufs Gas zu einem unkontrollierbaren Schlingern und einer Kollision führen könnte oder zu durchdrehenden Rädern, die den Karren tiefer in den Schlamm sinken lassen.
Während die neue Regierung versucht, Amerikas Schulden um weitere 1,9 Billionen Dollar aufzustocken, mit weiteren Ausgaben, die später in diesem Jahr folgen sollen, stellen sich die Investoren wichtige Fragen. Wird diese Geldschwemme die Wirtschaft letztlich in eine inflationäre Katastrophe stürzen? Oder führt es zu einer Generation von Unternehmenszombies und jahrelanger nachlassender Produktivität?
Die besten Antworten, die sich abzeichnen, sind in beiden Fällen „nein“. Falls die Inflation eines Tages ansteigt, dürfte sie genauso langsam zurückkehren, wie sie in den letzten Jahrzehnten abgeschmolzen ist. In der Zwischenzeit werden sich die neuen Schulden von selbst erledigen, solange das Wachstum höher ist als die Zinsen. Die Kosten für den Schuldendienst sind mit den Zinssätzen gesunken und das Ausfallrisiko liegt bei null, da das Land immer neues Geld drucken kann.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie sich das billige Geld auf die Produktivität der Unternehmen auswirkt und auf die Firmen, die nur deshalb über Wasser bleiben, weil ihre Zinszahlungen so niedrig sind. Diese Bedenken decken sich jedoch nicht mit den bisherigen Daten, da die Insolvenzen im Zeitalter des billigen Geldes nicht zurückgegangen sind und die Produktivität sogar zu steigen beginnt.
Das Wichtigste bei der Erhöhung der Staatsausgaben wird sein, dass man sich auf Projekte konzentriert, die das langfristige Wachstumspotenzial der Wirtschaft fördern, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur und Bildung. Auch die Klimapolitik wird eine Balance zwischen den Kosten und den wirtschaftlichen Chancen finden müssen. Ein ebenso kontroverses Thema ist die Reform der US-Einwanderungspolitik – aber nachhaltiges Wachstum erfordert eine wachsende Erwerbsbevölkerung.
Um sicherzustellen, dass das Geld gut ausgegeben wird, haben der ehemalige Finanzminister Robert Rubin, der frühere Haushaltsdirektor Peter Orszag und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz vorgeschlagen, die Laufzeiten der Schulden zu verlängern, um die Anfälligkeit für einen eventuellen Zinsanstieg zu verringern. Sie plädieren zudem für „automatische Stabilisatoren“, um beispielsweise Infrastrukturinvestitionen in einem Abschwung zu erhöhen, wenn sie am dringendsten benötigt werden, und sie in der Erholungsphase anzupassen.
Alles in allem gibt es keine einfachen Lösungen für die Probleme, mit denen die Biden-Administration in den nächsten vier Jahren des Aufschwungs konfrontiert ist. Die wirtschaftlichen Debatten darüber, was eine gute Politik ausmacht, verschieben sich fast so schnell wie die Neuausrichtung der politischen Debatten. Klar ist aber, dass der Karren nicht im Graben bleiben kann – und kein Abschleppwagen unterwegs ist.“
Christopher Smart, Chefstratege und Leiter des Barings Investment Institute
Das ausführliche Statement von Christopher Smart in englischer Sprache finden Sie hier.