Ein Expertenbeitrag von Adam Wheeler, Co-Head of Global Private Finance, Barings:
Die Pandemie stellte den europäischen Markt für direkte Unternehmenskredite sicherlich vor Herausforderungen – vor allem zu Beginn, als viele Unternehmen mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen hatten, nachdem sie drastische Umsatzeinbußen hinnehmen mussten. Doch inzwischen hat sich das Aktivitätsniveau stark erholt. Wenn wir den Markt von heute betrachten, sind drei Faktoren besonders in den Vordergrund gerückt und dürften die zukünftigen Chancen bestimmen.
1. Zugang ist von größter Bedeutung
Trotz des wieder steigenden Deal-Flows kann der Zugang zu den attraktiveren Gelegenheiten begrenzt sein. Europa ist in der Regel ein Sole-Lender-Markt (d. h. mit nur einem Kreditgeber), und das Wachstum der Marktanteile hat sich zunehmend konzentriert, da die führenden Kreditgeber ihr Stück vom Kuchen vor allem während der Pandemie überproportional vergrößert haben. Im Wesentlichen war am Markt eine Flucht in die Qualität zu sehen, wie es in Zeiten von Ungewissheit üblich ist: Private-Equity-Sponsoren fokussierten sich auf Manager, mit denen sie bereits starke Partnerschaften hatten – sowie auf Manager mit guten Umsetzungsfähigkeiten, beträchtlichen Haltekapazitäten und flexiblen Kapitalstrukturlösungen. Dadurch wurden die ohnehin schon hohen Eintrittsbarrieren des Markts noch höher. Das Resultat ist, dass eine Reihe kleinerer Marktteilnehmer jetzt mit einer nachteiligen Auswahl konfrontiert ist bzw. ihr Anlageuniversum im Grunde auf die Transaktionen beschränkt ist, die die Top-Manager abgelehnt haben.
Quelle: GCA Altium Mid-Cap Monitor. Stand: 30. Juni 2020.
Dennoch gehen wir davon aus, dass die Chancen im Bereich der europäischen Unternehmenskredite bestehen bleiben, insbesondere angesichts der in den letzten zehn Jahren verstärkten Finanzregulierung in Europa, die die Kreditvergabe der Banken weiterhin einschränkt und eine Marktlücke für Direktkreditgeber geschaffen hat, um die Kapitalknappheit auszugleichen. In den letzten beiden Jahren haben bankfremde Kreditgeber ihren Marktanteil von 38 Prozent auf heute 62 Prozent erhöht, und wir erwarten, dass sich dieses Wachstum in Zukunft fortsetzt – oder möglicherweise sogar beschleunigt.1
2. Eine wachsende Anlegerbasis
Insgesamt ist das Segment für direkte Unternehmenskredite für die kommenden Monate offenbar gut aufgestellt, selbst wenn die Zinsen steigen sollten. Direkte Unternehmensfinanzierungen sind eine variabel verzinsliche Anlageklasse, die bei Transaktionen im mittleren Marktsegment üblicherweise eine LIBOR-Untergrenze und somit einen Puffer gegen das Durationsrisiko aufweist.
Das Potenzial, attraktive langfristige Renditen mit einem geringeren Risiko durch Zinsschwankungen zu erzielen, hat das Interesse an der Anlageklasse in den letzten Jahren weiter verstärkt. Während Pensionsfonds und Versicherungen in der Vergangenheit das größte Interesse an direkten Unternehmensdarlehen in Europa gezeigt haben, haben sich in letzter Zeit auch große Staatsfonds der Anlageklasse zugewandt. Diese Anleger bauen zunehmend strategische Beziehungen zu Managern einer gewissen Größenordnung auf, um über den Zyklus hinweg beständige Renditen und potenziell attraktive Erträge zu erzielen. Auf höherer Ebene werden europäische Direktkredite für viele Investoren immer mehr zu einer Kernallokation, was vor einigen Jahren nicht unbedingt der Fall war. Gleichzeitig weiten zahlreiche nordamerikanische Anleger ihre direkten Kreditallokationen auf Europa aus – ähnlich wie sie es seit über zehn Jahren bei Hochzinskrediten und breit syndizierten Darlehen tun.
3. ESG
ESG-Faktoren (Environmental, Social, Governance bzw. Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) tragen auf dem Markt für direkte Unternehmenskredite eine große Bedeutung, und insbesondere in Europa stehen ESG-Überlegungen im Vordergrund. Obwohl Inhaber von Schuldtiteln per Definition keine Eigentümer von Unternehmen sind oder nicht in deren Vorstand sitzen und daher keinen direkten Einfluss auf das Verhalten der Unternehmen ausüben können, erkennt der Markt zunehmend die Möglichkeiten von Kreditgebern an, ESG-Praktiken durch die Bedingungen und letztlich die Preisgestaltung von Kreditstrukturen zu beeinflussen. Tatsächlich war unser Team vor Kurzem an einer der ersten europäischen Mid-Market-Transaktionen beteiligt, bei der ESG-Kriterien so in den Darlehensbedingungen verankert waren, dass sie den Gesamtpreis direkt beeinflussten. Dies ist ein positives Zeichen, wie sich der Markt entwickeln könnte. Wenn immer mehr Kreditgeber ihre Möglichkeiten in Betracht ziehen, Kreditnehmer zur Einhaltung bestimmter ESG-Standards anzuhalten, werden ESG-Kriterien bei diesen Transaktionen wahrscheinlich zu einer tragenden Säule.
Doch angesichts der Illiquidität des Markts und der begrenzten Verfügbarkeit von Daten Dritter erfordern Private-Credit-Anlagen, was ESG betrifft, von sich aus ein hohes Maß an Selektivität im Voraus. Daher lehnen wir auch Deals ab, wenn unserer Einschätzung nach eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass ESG-Risiken eine Investition im Laufe ihres normalerweise fünf- bis siebenjährigen Lebenszyklus wesentlich beeinträchtigen werden.
Zentrale Erkenntnis
Die Deal-Pipeline in Europa ist nach wie vor sehr stark und wird durch anhaltende Fusionen und Übernahmen unterstützt. Zudem zeichnen sich viele der heutigen Transaktionen am Markt durch ein geringeres Leverage-Niveau, eine robustere Dokumentation und attraktivere Preise gegenüber der Situation unmittelbar vor der Krise aus – was unserer Ansicht nach auf eine Umbasierung des Markts gegenüber den letzten Jahren hindeutet. Mit der Einführung von Impfstoffen in ganz Europa könnten wir in der zweiten Jahreshälfte einen Wiederanstieg der wirtschaftlichen Aktivität verzeichnen, was die Anlageklasse weiter unterstützen würde.
Angesichts der hohen Anzahl von Coronafällen und der verlängerten Lockdown-Maßnahmen in Europa setzen wir Kapital jedoch in dem Bewusstsein ein, dass die Wirtschaft in eine tiefere Rezession übergehen könnte. Aus diesem Grund meiden wir weiterhin Modebranchen („Fads“) wie Restaurants und Einzelhandel, die von der Pandemie überproportional betroffen waren und nennenswerte Risiken darstellen können. Stattdessen investieren wir in Unternehmen, die unserer Meinung nach widerstandsfähiger und in der Lage sind, einen breiteren wirtschaftlichen Abschwung zu überstehen.
Adam Wheeler, Co-Head of Global Private Finance, Barings
1. Quelle: AlixPartners Mid-Market Debt Report. Stand: 31. Dezember 2019.