"Die Ergebnisse vom Wochenende haben gezeigt, dass Bolsonaro trotz des Sieges von Lula besser abgeschnitten hat als erwartet, indem er den größten Teil der Stimmen, die die Kandidaten der Mitte in der ersten Runde erhalten hatten, für sich gewinnen konnte. Bolsonaro verlor lediglich um 1,8 Prozentpunkte, was ihn ermutigen könnte, die Ergebnisse anzufechten, den Übergang zu verzögern oder den Wahlprozess insgesamt zu Fall zu bringen. Wir hoffen, dass die brasilianischen Institutionen stark genug sind, um etwaige Störungen zu unterbinden. Unter der Annahme, dass ein geordneter Machtwechsel stattfindet, erwarten wir eine gewisse Umkehr der Risikoprämie für politische Faktoren, die wir im Vorfeld der Wahlen beobachtet haben.
Die Märkte gehen davon aus, dass Lula angesichts des knappen Sieges pragmatisch sein und einen eher gemäßigten Ansatz wählen wird. Es besteht die Hoffnung, dass er den Erfolg seiner ersten Amtszeit wiederholen kann, als er ebenfalls Rückenwind von den Rohstoffen hatte.
Nach der Vereidigung werden der Markt und wir uns auf die Einzelheiten der Steuerpolitik und die Regierungsfähigkeit Lulas in einem stark fragmentierten Kongress konzentrieren. Lulas engster Block (Brasilien der Hoffnung - bestehend aus der Arbeiterpartei, der Kommunistischen Partei und den Grünen) verfügt im Unterhaus über 16 Prozent der Sitze, während Bolsanaros engster Block (die Liberale Partei - bestehend aus Bolsanaro-Loyalisten, die kürzlich beigetreten sind, und traditionellen "Centrao"-Politikern) 19 Prozent der Sitze hat. Der gewählte Präsident und die Gouverneure werden ihr Amt am 1. Januar 2023 antreten. In der Legislative beginnt die Amtszeit am 1. Februar - die Wahl der Sprecher beider Kammern findet ebenfalls zu Beginn dieses Monats statt.
Auch die Wahl des Finanzministers durch Lula steht im Mittelpunkt des Interesses und wird von den Märkten aufmerksam verfolgt werden.
Auf der positiven Seite sorgen die hohen Rohstoffpreise für Rückenwind in Brasilien, zumal viele brasilianische Unternehmen Exporteure sind."
Omotunde Lawal, Head of Emerging Markets Corporate Debt bei Barings