«Im Oktober stieg die Inflation im Euroraum überraschend stark an, was vor allem auf die Energiepreise zurückzuführen war. Staatliche Eingriffe in die Energiemärkte sorgen für Volatilität. In der vergangenen Woche überraschte eine Anhebung der regulierten Gas- und Strompreise in Italien die Märkte, obwohl dies im Voraus angekündigt worden war.
Der Nachteil staatlicher Interventionen auf den Energiemärkten besteht auch darin, dass ein Rückgang der Großhandelspreise für Energie nicht schnell weitergegeben werden kann. Wir gehen davon aus, dass die Inflation im Euroraum bis zum Ende des Jahres hoch und zweistellig bleiben wird. Die Inflationserwartungen sprechen für eine allmähliche Abschwächung der Inflation im Jahr 2023. Die EZB strebt eine Anhebung der Leitzinsen an, um dies beizubehalten. Ein Spitzen-Leitzins von etwa 3 % ist in dieser Perspektive sinnvoll.
Dies ist auch der Grund dafür, dass der überraschende Inflationsanstieg im Oktober die Erwartungen der Märkte in Bezug auf Leitzinserhöhungen durch die EZB nicht gestärkt hat. Die Kurve ist bereits stark gestrafft, da man davon ausgeht, dass die EZB die Leitzinsen weiter anheben muss, um die Inflationserwartungen zu verankern. Ein «dovish pivot» würde die Gefahr bergen, dass die Inflationserwartungen steigen und die EZB gezwungen wäre, eine tiefe Rezession herbeizuführen, um die Inflation zu zähmen.
Die Regierungen bekämpfen die kontrafaktische Situation. Fiskalische Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft bei erhöhter Energieinflation müssen verhindern, dass die Wirtschaft einbricht. Indem sie die Nachfrage stützen, könnten sie den Eindruck erwecken, dass sie die Arbeit der Zentralbanken erschweren. Eine sich verschlechternde Wirtschaft würde jedoch die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen erschweren und die Wirtschaftsaussichten weiter belasten. Der Einfluss Russlands auf die europäischen Energiepreise hält dieses empfindliche Gleichgewicht in ständiger Bewegung. Unser Basisszenario geht davon aus, dass diese heikle politische Strategie erfolgreich ist und eine Stagflation der Preis dafür ist. Es wird einige Jahre dauern, bis sich die Inflation dem Zielwert annähert, während die Nachfrage zurückgeht und die Wirtschaft stagniert.»
Agnès Belaisch, Managing Director und Chief European Strategist des Barings Investment Institute