Chinesische Aktien: Kehrtwende in 2024?

„Wenn man an das erste Quartal des vergangenen Jahres zurückdenkt, war die Stimmung für Investitionen in China nach der Pandemie bemerkenswert positiv“, sagt Bin Shi, Head of China Equities bei UBS Asset Management. Leider hielt die gute Stimmung nicht an, und die Aktienkurse fielen nach dem Frühjahr größtenteils, was für den Rest des vergangenen Jahres zu Frustration bei den Anlegern und zu Entmutigung zu Beginn des Jahres 2024 führte. UBS | 26.03.2024 12:21 Uhr
Bin Shi, Head of China Equities bei UBS Asset Management / © e-fundresearch.com / UBS Asset Management
Bin Shi, Head of China Equities bei UBS Asset Management / © e-fundresearch.com / UBS Asset Management

„Aktuell notieren chinesische Aktien auf Basis des China Securities Index 300 (CSI 300) rund 40 Prozent unter ihrem Höchststand von vor drei Jahren, doch seit Februar sind sie wieder im Aufwärtstrend. Auch wenn die Daten auf Monatsbasis noch keinen Aufwärtstrend anzeigen, sind wir der Meinung, dass eine Erholung in Sicht ist. Jede Überraschung nach oben könnte zu einer Umkehr des Trends führen und für das Jahr 2024 eine Kehrtwende einläuten. Gegenüber dem Vorjahr sind wir für chinesische Aktien deutlich positiver gestimmt.

Politik und Regulierung

Der Ton im chinesischen Regulierungsumfeld hat sich verändert. Wie ein Pendel schwingt die chinesische Gesetzgebung hin und her. Einige Regulierungen und Kontrollen, die vor zwei oder drei Jahren angekündigt wurden, werden nun zurückgenommen. Dies ist teilweise auf den Widerstand der Industrie und die schwächere Konjunktur zurückzuführen. Dennoch kann der Richtungswechsel langsam erscheinen und wird Zeit brauchen.

Dennoch ist es für Investoren leicht, sich zu sehr auf den Schaden zu konzentrieren, der in der Vergangenheit angerichtet wurde und zu übersehen, dass sich das regulatorische Klima entspannt hat. Ein Beispiel dafür ist der Entwurf für neue Beschränkungen für Online-Spiele, der Ende letzten Jahres vorgeschlagen wurde, eine übertriebene Marktreaktion auslöste und dann schnell fallen gelassen wurde. Dies deutet darauf hin, dass die Stimmung unter den Investoren nach wie vor sehr pessimistisch ist, während sich die Haltung der politischen Entscheidungsträger in Bezug auf die Regulierung ins Gegenteil gekehrt hat. Eineinhalb Monate nach Veröffentlichung des Vorschlagsentwurfs wurden insgesamt 322 Spiele genehmigt.

Bei der fiskal- und geldpolitischen Unterstützung verfolgt die Regierung im Allgemeinen einen proaktiveren Ansatz. Dazu gehören die Senkung der Mindestreserveanforderungen für Banken und der Zinssätze, die Finanzierung von noch nicht fertig gestellten Immobilienprojekten und der Erwerb von Aktien durch staatliche Investmentgesellschaften.

Die Priorität, die die Regierung dem Wachstum einräumt, wurde bei den letzten beiden Treffen deutlich – ein wichtiges politisches Ereignis, bei dem sowohl die wirtschaftlichen Ziele als auch die politischen Signale im Vordergrund standen. Die politischen Entscheidungsträger haben sich für dieses Jahr dasselbe BIP-Wachstumsziel von rund 5 Prozent gesetzt und sich verpflichtet, die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, und zwar durch eine Umgestaltung des bestehenden Entwicklungsmodells bei gleichzeitigem Abbau der Immobilienkrise und der lokalen Verschuldung. Abgesehen von einer außerbudgetären Emission spezieller sehr langlaufender Staatsanleihen in Höhe von 1 Billion CNY sind die vorgeschlagenen Konjunkturmaßnahmen eher moderat und entsprechen den Erwartungen. Diejenigen, die ein groß angelegtes Konjunkturprogramm oder einen mutigen Politikwechsel zur kurzfristigen Ankurbelung der immer noch schwachen Wirtschaft und zur langfristigen Beseitigung der strukturellen Ungleichgewichte fordern, dürften enttäuscht sein.

Wohlstand der Haushalte

Alles in allem war die Reaktion der Märkte auf die Konjunkturpakete verhalten. Obwohl die zusätzlichen Anreize in diesem Jahr im Vergleich zu den Maßnahmen in 2008 und 2015 verblassen, scheint das Volumen nicht der entscheidende Faktor zu sein. Unter der Oberfläche ist die aktuelle Situation eine Frage des Vertrauens.

Die chinesische Bevölkerung hat in den letzten 30 bis 40 Jahren großen Reichtum aufgebaut und, ohne die durch den Immobilienmarkt bedingte Vermögensvernichtung in den letzten drei Jahren herunterzuspielen, gibt es immer noch einen großen Wohlstand der Haushalte. Der Inlandstourismus kann als schneller Referenzpunkt dienen: Die Reiseaktivitäten sind seit 2018 jedes Jahr um 5-7 Prozent gestiegen und erreichten zum chinesischen Neujahrsfest 120 Prozent des Niveaus von 2019 (Quelle: Ministry of Culture and Tourism, Wind, UBS estimates).

Der Wohlstand schlägt sich nicht in Ausgaben für größere Anschaffungen oder langfristige Investitionen nieder. Dies liegt an einem Mangel an Vertrauen sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei einigen Unternehmern. Die Unternehmer nehmen eine abwartende Haltung ein und tätigen keine dynamischen Investitionen zur Nutzung der Chancen der Zukunft. Die politischen Entscheidungsträger haben zwar ihre Unterstützung zugesagt. Es muss jedoch mehr getan werden, um das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen wiederherzustellen. Sobald die Zuversicht zurückkehrt, werden die Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft eine weitaus größere Wirkung entfalten als jetzt.

Wie den chinesischen Verbrauchern und Unternehmern geht es in gewisser Weise auch den globalen Investoren. Internationale Gelder fließen aus dem Aktienmarkt ab, sodass die Allokationen in China auf einem Mehrjahrestief liegen. Ausländische Direktinvestitionen (FDI) steigen nach einem kurzen Rückgang im vergangenen Jahr wieder. Da das chinesische Bankensystem gut entwickelt ist und über reichlich Liquidität verfügt, ist der Kapitalabfluss an sich weniger besorgniserregend. Doch nicht nur das Geld bringt Vorteile durch ausländische Direktinvestitionen. Chinesische Unternehmen haben aus der Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen wertvolle Lehren gezogen. Der Rückgang des Austauschs ist ein Rückschlag, den es umzukehren gilt.

Strategieentwicklung der Unternehmen

Chinesische Unternehmen sind oft widerstandsfähig und in der Lage, sich schnell an ein unsicheres Wachstumsumfeld anzupassen, indem sie neue Strategien entwickeln. Viele sind auf der Suche nach neuen Wachstumschancen im Ausland und im Wettbewerb mit etablierten Weltmarken auf internationalen Märkten – mit Erfolg. Andere richten den Blick nach innen, auf die Kontrolle der Kosten und auf die Steigerung der Effizienz und Rationalisierung der Prozesse.

Mit anderen Worten: Eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führt nicht automatisch zu einem Rückgang der Aktienrenditen. Die fehlende Korrelation mag verwirrend sein, lässt sich aber gut am Beispiel der chinesischen Telekommunikationsanbieter veranschaulichen. Das Wachstum dieser Unternehmen lag lange Zeit unter 10 Prozent. Dennoch waren die Gesamtrenditen zuletzt gut.

Diese Unternehmen finden verschiedene Wege zur Erzielung von Gewinnwachstum und zur Verbesserung des Cashflows. Viele automatisieren Teile ihres Geschäfts und senken die Kosten. Dadurch können sie überschüssige Liquidität in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an die Aktionäre zurückgeben. Dies trägt zu steigenden Aktienkursen bei, was ein Hinweis darauf ist, dass die am besten geführten Unternehmen in der Lage sein werden, sich an ein Umfeld mit geringerem Wachstum anzupassen und zu gedeihen.

Investitionen zum richtigen Zeitpunkt

In der Vergangenheit gab es zu viel Enthusiasmus für Investitionen in China. Die überzogenen Bewertungen waren manchmal schwer zu rechtfertigen. Die Stimmung hat die Realität oft überholt. Vor dem Hintergrund global wettbewerbsfähiger Unternehmen, attraktiver Aktienbewertungen und einer großen Volkswirtschaft mit hohem Wachstumspotenzial erscheinen die Argumente für Investitionen in China übertrieben pessimistisch und nicht gerechtfertigt.

Es ist zweifellos schwieriger geworden, mit chinesischen Aktien Alpha zu generieren. Dennoch gibt es nach wie vor zahlreiche Anlagemöglichkeiten. Um diese zu finden, ist eine gründliche Fundamentalanalyse erforderlich, um die nächsten Marktführer zu identifizieren – diejenigen mit einem starken Wettbewerbsvorteil.

Wir konzentrieren uns stets auf starke Unternehmen, die über ein bewährtes und differenziertes Geschäftsmodell verfügen und mit ausreichenden finanziellen Ressourcen ausgestattet sind. Diese Unternehmen sind in der Regel in der Lage, schwierige Zeiten zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen. Langfristiges, nachhaltiges Wachstum ist uns wichtiger als kurzfristige Wachstumsschübe, deren Vergänglichkeit sich meist in überhöhten Aktienkursen niederschlägt. Wenn Euphorie auf hohe Erwartungen trifft, können die Bewertungen überzogene Niveaus erreichen, was wir zu vermeiden versuchen.

Die Geschichte zeigt, dass die beste Zeit für Investitionen ist, wenn die Erwartungen und Bewertungen niedrig sind. Wir sind davon überzeugt, dass es für eine Erholung der Anlageklasse lediglich eines positiv überraschenden Impulses bedarf.“

Von Bin Shi, Head of China Equities bei UBS Asset Management

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