Sorgen bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen des Affordable Care Act (ACA) auf die Gesundheitsbranche läuteten vor rund fünf Jahren eine längere Phase attraktiver Einstiegschancen im US-amerikanischen Gesundheitssektor ein. Dieser Trend hielt bis vergangenen Herbst an, als im Zuge der Präsidentschaftsvorwahlen Debatten über Preiskontrollen, die mögliche Einführung eines Single-Payer-Systems oder auch die vollständige Aufhebung des Affordable Care Act angestossen wurden. Die Börse reagierte negativ auf die vielstimmige und häufig widersprüchliche politische Diskussion; konfrontiert mit einer drohenden Zinswende und einer US-Wirtschaft, die Fahrt aufzunehmen schien, entschieden sich die Anleger für Gewinnmitnahmen und deutlich risikoärmere Investments. Janet Yellen beliess dann die Zinsen doch auf niedrigem Niveau, während als Folge des Brexit auch die ökonomischen Unsicherheiten weiter virulent bleiben. Für Healthcare-Anleger sind dies gute Neuigkeiten, da die Ertragslage der Branche 2017 besser auszufallen scheint, als dies prognostiziert worden war. Die Einschätzung der Healthcare-Experten für die kommenden Jahre, sowohl was die relative Bewertung gegenüber dem S&P 500 als auch das im historischen Vergleich niedrige KVG- und KVG-Wachstums-Verhältnis (PE/G-Ratio) angeht, ist daher ausgesprochen positiv. Dies gilt insbesondere für den Biotech-, Generika- und medizinischen Dienstleistungssektor. Günstige relative Wachstumsaussichten und eine hohe Cashflow-Generierung lassen auch den Medizintechniksektor weiter attraktiv erscheinen, obwohl er sich im Jahresverlauf bisher am besten entwickelte.
Die öffentliche Debatte über die Gesundheitspolitik in den USA wird bis zu den Wahlen im November an- und abschwellen, ebenso die Volatilität der Gesundheitsaktien. Für Investoren ergeben sich daraus interessante Investmentchancen. Die Portfolio Manager sind überzeugt davon, dass Anleger das tägliche "Hintergrundrauschen" der politischen Diskussion ausblenden und realisieren sollten, dass die Gesundheitsbranche ein Teil der Lösung ist, nicht etwa das Problem. Folgende Gründe sprechen für einen attraktiven Einstiegszeitpunkt: (1) Der Ausgang der Präsidentschaftswahl ist derzeit völlig offen. Unabhängig davon, wer das Rennen macht, dürften die Republikaner zwar einige Sitze einbüssen, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat jedoch behaupten. Mit schnellen Gesetzesänderungen ist daher nicht zu rechnen. (2) Der effektivste Weg zur Kappung der enormen Kosten im Gesundheitswesen dürfte vermutlich über die US-Bundesstaaten führen. Die in Massachusetts, New York und Kalifornien ergriffenen Massnahmen legen nahe, dass sich die Kostenexplosion auf diese Weise am ehesten in den Griff bekommen lässt. (3) Wenn sich diese Einschätzung als korrekt erweist, könnten Innovation und Konsolidierung die heissesten Investmentthemen im Jahr 2017 und darüber hinaus werden.
Die Reform des US-Gesundheitswesens ist unvermeidbar
Die USA geben über 17% des Bruttoinlandprodukts für die Gesundheit ihrer Bürger aus - mehr als jede andere Industrienation. Mit 11.5% steht die Schweiz zwar an zweiter Stelle, allerdings bei einem Pro-Kopf-BIP, das um 60% über demjenigen der Vereinigten Staaten liegt. Gesundheitsausgaben in dieser Höhe sind daher eindeutig zu hoch, sowohl für die US-Wirtschaft als auch für den Bundeshaushalt. Obamas Affordable Care Act sollte auch den weniger wohlhabenden Amerikanern den Zugang zu Gesundheitsleistungen eröffnen und gleichzeitig den Kostenanstieg deckeln. Leider leistete die Reform weder das eine noch das andere. Vielmehr bürdete sie der Mittelschicht eine enorme Steuerlast auf und dürfte somit einer der Gründe für die Konsumzurückhaltung gewesen sein, die die wirtschaftliche Erholung der USA in den vergangenen sechs Jahren verlangsamte. Natürlich sollte "Obamacare" nicht grundsätzlich verdammt werden. So sind heute deutlich mehr US-Amerikaner krankenversichert, und einige Ungerechtigkeiten des früheren Systems wie z.B. die Verweigerung des Versicherungsschutzes bei Vorerkrankungen wurden abgeschafft. Damit ist die Reform aber noch nicht am Ziel. In der Bevölkerung ist sie nach wie vor äusserst unbeliebt, und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass der Kongress durch die Streichung von Bundesmitteln den Geldhahn zudreht. Auch dies wäre selbstverständlich keine Lösung. Die Analyse der von Clinton und Trump vertretenen Positionen zur Gesundheitsreform offenbart allerdings wenig substanzielle Lösungsansätze für das eigentliche Problem: die Höhe und die dramatische Steigerung der Gesundheitskosten.
Neue Ansätze einiger US-Bundesstaaten könnten kostendämpfend wirken
Bei der Eindämmung der Kosten für die staatliche Gesundheitsversorgung (Medicaid) machen drei Bundesstaaten von sich reden: Kalifornien, New York und Massachusetts. Ihre Massnahmen könnten einen gangbaren Weg für eine landesweite Reform in den kommenden Jahren aufzeigen. Über Kontakte zu Krankenhäusern in Massachusetts erhält das Healthcare Team intensive Einblicke in die praktische Umsetzung gesundheitspolitischer Massnahmen. Massachusetts hatte als erster Bundesstaat überhaupt eine Versicherungspflicht für seine Bürger eingeführt. Mittlerweile sind 96% der Bevölkerung krankenversichert. Unglücklicherweise kam damit eine gigantische Kostenlawine ins Rollen, so dass nun 40% des Haushaltsbudgets für die Gesundheitsversorgung und zugehörige Dienstleistungen aufgewendet werden müssen. Um sich hier wieder Luft zu verschaffen, startete Massachusetts vor drei Jahren ein fünfjähriges Pilotprogramm, das die Ausgaben eindämmen und die Versorgungsqualität erhöhen soll. Das Programm war so erfolgreich, dass es nach nur drei Jahren abgeschlossen werden konnte. Im vergangenen Januar wurden schliesslich Gesetze verabschiedet, mit denen das neue System im Haushaltsjahr 2017 flächendeckend eingeführt wird. Das konkrete Ziel lautet, "die inflationäre Entwicklung der Gesundheitskosten in den kommenden drei Jahren um jährlich 200 Basispunkte zu verringern". Da der Healthcare-Markt in Massachusetts im vergangenen Jahrzehnt eine Phase der Konsolidierung durchlaufen hat, sind die dortigen Anbieter bestens positioniert, um diese Ziele konstruktiv zu unterstützen. So umfasst eine typische Klinikgruppe in dem Bundesstaat ein oder mehrere Kliniken, Post-Akut-Kliniken sowie Notfall- und Spezialkliniken mit den jeweils dort Beschäftigten, d.h. Ärzten und Pflegepersonal. Kliniken, die nicht in der Lage sind, den gesetzlichen Anforderungen zu genügen und ihre Funktionsweise anzupassen, werden mit Geldbussen belegt und letztlich gezwungen, mit Gruppen zu fusionieren, die den Wandel erfolgreich vollzogen haben.
Diese neue Kultur des Healthcare-Managements ist der Schlüssel für die Bekämpfung der Kosten und Ineffizienzen, unter denen das Gesundheitswesen leidet. Ein Arzt, der die Anpassung seiner Klinikgruppe an die neuen Gegebenheiten leitet, formuliert es folgendermassen: "An unseren Hochschulen werden Ärzte dafür ausgebildet, Erkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln. Nur sehr wenige werden darin geschult, wie sich Erkrankungen vermeiden lassen. Wenn wir unsere Unabhängigkeit bewahren wollen, müssen wir dies ändern." Anstelle einer rein kurativen Medizin muss sehr viel mehr Wert auf Prävention gelegt werden. In enger Zusammenarbeit mit Versicherungsunternehmen schaffen die Kliniken finanzielle Anreize, um die Versicherten zu einem konstruktiven Verhalten anzuregen. Dass das Rauchen in den USA quasi zum Tabu wurde, dürfte auch daran liegen, dass Raucher mit höheren Versicherungsbeiträgen belegt werden als Nichtraucher. Ein anderes Beispiel sind extremes Übergewicht und Typ-2-Diabetes, zwei Krankheitsbilder, die bekanntermassen direkt miteinander verknüpft sind. Eine geringere Häufigkeit dieser Erkrankungen könnte zu weniger Herzinfarkten und zu niedrigeren Kosten führen, sofern das System die richtigen Anreize setzt und die Betroffenen über gesundheitliche Risiken aufklärt. Genau dieser Ansatz wird in einigen Bundesstaaten verfolgt. Er wird das Problem nicht von heute auf morgen lösen, aber er ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Politik ist immer lokal - sind es vielleicht auch die Lösungen?
Nachdem Massachusetts, Kalifornien und New York so überzeugend vormachen, wie sich mehr Kostenkontrolle und Versorgungsqualität erzielen lassen, könnte es durchaus sein, dass andere Bundesstaaten und schliesslich auch die Regierung in Washington ihrem Beispiel folgen. Bis dahin dürfte die Gesundheitsbranche als Speerspitze des Wandels wirken. Unternehmen, die innovative Medikamente, Geräte und Lösungen zur kosteneffektiven Behandlung von Erkrankungen im Portfolio haben, werden auf der Siegerseite stehen. Preisüberlegungen hingegen werden eher bei Me-Too-Produkten und -Lösungen eine Rolle spielen. In diesem Segment wird es auf die Grösse ankommen, da Anbieter, die hochwertige Produkte zu niedrigen Preisen in grossem Umfang in den Markt drücken können, eindeutig im Vorteil sind. Unternehmen, die mit diesem Geschäftsmodell Erfolg haben wollen, müssen entweder auf reines Wachstum oder auf einen Sell-out setzen, da es infolge des Rückgangs bei den über viele Jahrzehnte aufgeblähten Absatzzahlen und Marketingbudgets mit einiger Wahrscheinlichkeit zu schrumpfenden Bruttomargen kommen wird. Um dem Management einer Klinikgruppe ein Produkt zu verkaufen, braucht es kein vielköpfiges Vertriebsteam. Ärzte sind heutzutage nicht mehr unabhängige Entscheider, sondern angestellte Fachkräfte, die stärker als in der Vergangenheit auf die Erfordernisse ihres Klinikbetreibers achten. Individuelle Schulungen vor Ort werden auch in diesem Szenario noch wichtig sein, erhebliches Einsparpotenzial gibt es dennoch.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die anstehenden Veränderungen positiv zu werten sind. Das amerikanische Gesundheitssystem wird Innovation auch künftig (finanziell) belohnen. Dabei ist eine weitere Branchenkonsolidierung unserer Ansicht nach unvermeidlich. Der Rückgang der Bruttomargen infolge des harten Preiskampfs lässt sich durch eine effizientere Vertriebsarbeit und geringere Marketingausgaben wettmachen. Unterm Strich betrachten wir den US-Gesundheitssektor daher nach wie vor als Wachstumsbranche. Investoren, die hier engagiert sein wollen, sollten allerdings langfristig orientiert sein und eine diversifizierte globale Anlagestrategie verfolgen.