Die Coronapandemie hat grundlegende Entwicklungen im Gesundheitssektor beschleunigt. Patienten werden digitaler versorgt und regulatorische Prozesse wurden vereinfacht. Zugleich geht es immer mehr darum, die im Zuge der sich verändernden Altersstruktur der Bevölkerung steigenden Kosten für stationäre Behandlungen und chronische Erkrankungen besser in den Griff zu bekommen. Die USA und China, die beiden Länder mit den grössten Gesundheitssystemen weltweit, haben dabei unterschiedliche Präferenzen. Dementsprechend unterscheiden sich die Ansätze, um die Gesundheitssysteme qualitativ besser und zugleich effizienter und bezahlbar zu gestalten.
USA – die ungelöste Kostenfrage
In der öffentlichen Wahrnehmung der Coronakrise dominiert von den USA das Bild einer Nation mit den höchsten Infiziertenzahlen und Todesfällen weltweit. Zugleich hat sich im Hinblick auf die Bekämpfung der Pandemie zwischen Gesundheitsindustrie und Regierung ein höchst effektives Zusammenspiel bei klinischen Studien und Zulassungsverfahren eingestellt. Davon sollte der gesamte Gesundheitssektor auch in der Zeit nach COVID-19 profitieren. Dazu ist die Akzeptanz der Telemedizin als Option für die Beratung und Behandlung von Patienten gestiegen. Frühdiagnosen von Krankheiten werden verstärkt in ambulanten Behandlungszentren vorgenommen. Um künftige Engpässe bei Medikamenten zu vermeiden, verlagert sich die Arzneimittelproduktion teilweise zurück in die USA. Ähnliche Massnahmen sind auch in Europa zu erwarten.
Das Hauptproblem für die Gesundheitsversorgung in den USA ist nicht der Zugang zur Versorgung, sondern die ausufernden Kosten. Allein 2019 stiegen die Gesamtkosten um 6% nach 4.1% bzw. 3.4% in den Vorjahren. Die Ausgaben für verschreibungspflichtige Arzneien schnellten um 1.7% nach oben. Keine der beiden Parteien präsentierte im US-Wahlkampf überzeugende langfristige Lösungsansätze dafür, wie die Kostenfrage angegangen werden kann. Die Pläne der Demokraten unter Joe Biden zielen darauf ab, die Ausgaben in der Summe zu erhöhen und mehr Personen finanzielle Unterstützung in der Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Auch die Äusserungen von Noch-Amtsinhaber Donald Trump lassen keine kohärenten Pläne erkennen. Zentral geht es darum, die Ausgaben besser zu kontrollieren. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des unter Obama verabschiedeten Affordable Care Act steht noch aus.
Pro-Kopf-Pauschalen könnten als zentrales Element für die Eingrenzung der Gesundheitsausgaben stärker in den Vordergrund rücken. Eine Vorreiterrolle spielt hier der Bundesstaat Massachusetts, der im Zeitraum 2013 bis 2018 geschätzte Einsparungen von USD 7.2 Mrd. erreichte. Die ausstehenden Zahlen für 2019 und die Schätzungen für 2020 bis 2022 werden von steigenden Gesundheitsausgaben für die Bewältigung der Coronapandemie beeinträchtigt. Vier weitere Bundesstaaten haben sich konkrete Vorgaben gesetzt, Oregon und Kalifornien erwägen einen ähnlichen Schritt.
China – die Coronakrise als Chance
China hat die Coronapandemie in medizinischer und ökonomischer Hinsicht schneller bewältigt als die westlichen Industriestaaten und andere Weltregionen wie Lateinamerika. Zugleich sieht sich die politische Führung in Peking durch die Krise in ihrer Strategie bestärkt, auch in der Gesundheitsversorgung technologisch unabhängiger vom Rest der Welt zu werden. Chinas globaler Anteil an den Ausgaben für Forschung und Entwicklung hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. 2019 lag er mit USD 533 Mrd. bei 22.5% und damit nur noch knapp hinter den USA als Nummer eins mit USD 597 Mrd. und 25.2%. Der Handelskonflikt mit den USA wird den Trend zu eigenen Innovationen in der Gesundheitsindustrie weiter verstärken, wie er sich auch in den Zielsetzungen des neuen Fünfjahresplans widerspiegelt.
Dieser «Made in China»-Trend zeigt sich in der Medikamentenentwicklung ebenso wie in der Medizintechnik. Mittel- bis langfristig sollen heimische Firmen zunehmend Arzneiimporte ersetzen. Verbesserte Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die in China hergestellten Produkte schaffen dafür die Voraussetzungen. Zugleich erhöhen sich durch grössere Produktionskapazitäten und modernisierte Prozessabläufe die Skaleneffekte. Mit mehr Qualität und Effizienz lassen sich auch Kosten einsparen – und die angesichts der demografischen Entwicklung steigenden Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen ist eine zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre.
Die eingesparten Finanzmittel fliessen in die Förderung. China hat zuletzt in der Krebsmedizin erhebliche Fortschritte verzeichnet, aber auch in der Medizintechnik profilieren sich immer mehr heimische Akteure. Beispiele dafür sind AK Medical mit seinen orthopädischen Implantaten auf der Basis von 3D-Technik und Sinocare für digitales Monitoring des Blutzuckerspiegels bei Diabetespatienten.
Zugleich hat die Coronapandemie die Digitalisierung vorangetrieben. In einem Flächenstaat wie China erwies sich die Telemedizin während des Lockdowns als einzige Option für Konsultationen in akuten Krankheitsfällen. Apotheken können Onlineverschreibungen ausstellen und Zahlungen direkt vom Konto der Patienten abwickeln. Dazu hat sich ein nationales Reportingsystem für Epidemien und die Überwachung von Krankheitsverläufen etabliert. Für die Telemedizin eröffnet sich die Chance, die Region Asien näher zusammenzubringen. Neben etablierten Playern wie Ping An Good Doctor aus China werden dabei Neulinge wie Yidu Cloud beim digitalen Monitoring von Krankheitsverläufen, JD Health als Onlinehändler und Telemedizinspezialist sowie Apollo 24/7 als medizinischer Informationsdienstleister eine wichtige Rolle spielen.
Gesundheit – ein sicherer Hafen für Investoren
Innovationen fördern und zugleich Kostenüberhänge dauerhaft reduzieren bleiben die Treiber für Gesundheits-Investments. Für Anleger hat sich in diesem turbulenten wie schwierigen Börsenjahr der defensive Charakter der Branche ausgezahlt. Gerade im Zeitraum April und Mai schlug die Performance ausgewählter Gesundheitsindizes den Gesamtmarkt um Längen. Aber auch die aktuellen Bewertungen dieser Segmente bleiben im historischen Vergleich niedrig und deutlich unter den Indizes wie S&P 500 oder EuroStoxx50.
Der Fokus auf COVID-19 sorgte für wenige Disruptionen und regulatorische Verzögerungen. Am ehesten waren frühklinische Projekte davon betroffen. Einzelne Felder wie mRNA-Technologien oder Telemedizin rückten durch die Coronapandemie aber stärker ins Blickfeld der Investoren. Mit 42 neuen Arzneien, die 2020 bislang in den USA zugelassen wurden, ist der Wert von 48 aus dem Vorjahr fast erreicht und ein klares Indiz für die Innovationskraft des Sektors. Dieser Trend wird auch in den nächsten Jahren anhalten und neuen Therapieansätzen mit hohem Kommerzialisierungspotenzial in unterschiedlichsten Krankheitsfeldern den Weg freimachen.
Dr. Cyrill Zimmermann, Head Healthcare Funds & Mandates, Bellevue Asset Management