Marktkommentar von Lucio Soso, Lead Portfolio Manager des Bellevue Global Macro Fonds
Das Jahr 2022 hat mit hohen Inflationszahlen und einem gespannten Blick auf die Zentralbanken begonnen. Vor allem in den USA ist die Geldpolitik eines der beherrschenden Themen. Das Fed hat im Kampf gegen die Coronapandemie USD 4.5 Billionen in die Hand genommen – über eine Billion mehr als Ben Bernanke im Rahmen aller seiner QE-Programme. Seine Bilanz hat sich seit 2008 auf knapp USD 9 Billionen verzehnfacht, die Geldmenge ist innerhalb von nur zwei Jahren um 41% gestiegen. Beides ist inflationär.
Die Konsumentenpreisinflation ist im Dezember auf 7% gestiegen – ob es sich um eine vorübergehende Spitze oder den Beginn einer längeren Phase höherer Inflation handelt, hängt nicht zuletzt von den Massnahmen des Fed ab. Die kommenden sechs Monate dürfte sie uns aber zunächst erhalten bleiben. Denn aufgrund des Ende 2021 klar gestiegenen darunter liegenden Verbraucherpreisindex sollte die Inflationsrate, selbst wenn die Preise ab heute unverändert bleiben, per Ende Juni noch 5% betragen, aber wahrscheinlicher sich um die 6% bewegen.
Gleichzeitig haben die realen Zinssätze, die sich aus der Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen abzüglich der Inflationergeben, die Negativrekorde der 1970er Jahre übertroffen. Ein Renditeniveau des 10-jährigen US-Treasuries von 6% bis 8%, das es bräuchte, um die realen Renditen in den positiven Bereich zu bringen, ist derzeit nicht in Sicht. Nachhaltig ist diese Situation nicht – entweder müssen mittelfristig die Anleiherenditen steigen oder die Inflation muss sinken. Höchstwahrscheinlich werden wir eine Kombination aus beidem sehen.
Weniger Dramatik in Europa
In Europa ist die Inflation ebenfalls gestiegen, mit 5% allerdings nicht ganz so stark wie in den USA. Auch die Geldmenge wuchs wesentlich weniger, sodass die inflationäre Situation deutlich schwächer ist – was allerdings auch auf dasWirtschaftswachstum zutrifft. Wichtig ist aber vor allem, dass die Negativzinsen dazu geführt haben, dass sich die Anleiherenditen der Eurozonen-Peripherie verengen und sich den deutschen Renditen annähern, was für das Überleben des Euro unerlässlich ist. Negative deutsche Anleiherenditen treiben die Anleger dazu, italienische Anleihen zu kaufen. Wenn die Zinsen in Deutschland auf ein positives Niveau steigen, werden die Renditen italienischer Anleihen vermutlich wieder ansteigen. Daher gehen wir davon aus, dass die EZB im Laufe des Jahres mit dem Tapering des QE beginnen wird. Die Zinsen dürfte sie aber nur sehr vorsichtig anheben.
China vor massivem Abschwung?
In China dagegen stehen wir vor einem ganz anderen Problem: Hier bildet sich gerade eine Kreditblase von epischemAusmaß. Der Anteil der Kredite am chinesischen BIP ist von 160% im Jahr 2008 auf 320% 2020 angestiegen – und dieUnternehmensverschuldung, auf die aktuell 70% dieser Kredite zurückgehen, hat sich im gleichen Zeitraumversiebenfacht. Ein großer Teil der Kredite wurde zur Finanzierung von Immobilien verwendet – deren Preise massiv überbewertet sind. Bedenkt man, dass der Immobiliensektor in China bereits seit acht Jahren 27% bis 28% des BIP ausmacht (ähnlich wie der von der Blase von 2006 bis 2008 massiv betroffene spanische Immobiliensektor), wird die Dramatik der Lage deutlich. Kreditkrisen werden in der Regel durch eine Kombination aus Schuldenrückzahlung, Schuldenerlass und Monetarisierung bewältigt. Wie die chinesische Regierung dem begegnen wird, lässt sich derzeit nur mutmaßen.
Was bedeutet dies für die Finanzmärkte? Ein starker wirtschaftlicher Abschwung Chinas dürfte weltweit spürbar werden, der Renminbi könnte vorübergehend oder langfristig abwerten, chinesische Investitionen ins Ausland dürften eingeschränkt werden. Gleichzeitig könnte aber ein Abschwung in China die US-Notenbank dazu veranlassen, das Tempoder geldpolitischen Straffung zu verlangsamen. Für US- Anleihen und weltweite Aktien wäre das eine gute Nachricht.
Lucio Soso, Lead Portfolio Manager des Bellevue Global Macro Fonds