Grosse Fortschritte bei neuen Technologien
Der weitere Entwicklungspfad für Arzneimittel, die defekte Gene reparieren oder die Genaktivität modulieren, wird immer klarer. Und damit steigt die Zuversicht, dass In-vivo-Gentherapien erfolgreich sein können, wenn die Herangehensweise stimmt. Insbesondere das Gene Editing rückt für seltene genetische Krankheiten und Krebs zukünftig stärker in den Mittelpunkt.
Kleinmolekulare Ansätze, die auf genetische Krankheitsauslöser abzielen, erleben dank der Innovationen im Bereich «Big Data» und KI einen Aufschwung. Im Weiteren ist mit einem Durchbruch zu rechnen bei hemmenden siRNA- und Antisense-RNA-Therapien gegen seltene Krankheiten wie ATTR-Amyloidose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Hypertriglyceridämie (Lp(a)). Auf Unternehmensebene geben Alnylam, Ionis und Arrowhead in diesem Bereich den Ton an.
Interessant wird es 2023 auch bei Kombinationsansätzen von mRNA-Impfstoffen, die nicht nur für COVID-19/Grippe oder RSV eingesetzt, sondern auch für andere Infektionskrankheiten getestet werden. Darüber hinaus wird diese Technologie auch für therapeutische Krebsimpfstoffe eingesetzt. Für 2023 erwarten wir auch hier Daten.
Neurologie wird 2023 ein noch wichtigeres Thema
Die Suche nach geeigneten Medikamenten gegen Alzheimer geht 2023 in die nächste Runde. Das Potenzial ist enorm. Letztes Jahr wurden grosse klinische Fortschritte erzielt. Der Antikörper Lecanemab von Eisai/Biogengegen die Alzheimer-Krankheit erhielt am 6. Januar 2023 die Zulassung in den USA . Mit Donanemab von Lilly dürfte eine weitere Zulassung eines Alzheimermedikaments später im Jahr erfolgen, sofern die klinischen Daten positiv sind. Gegen Schizophrenie ist KarXT von Karuna ein neuer Hoffnungsträger.
Spreu wird sich bei Digital-Health-Unternehmen vom Weizen trennen
Aufgrund makroökonomischer Faktoren wie der Zinsentwicklung und einer Sektorrotation hat die Performance von Digital-Health-Unternehmen 2021 bis Mitte 2022 gelitten. Seither hat sich die Situation entspannt und das aktuelle Bewertungsniveau ist attraktiv.
Die zugrunde liegende Geschäftsentwicklung befindet sich weiterhin auf einem soliden Wachstumstrend. Insbesondere die digitalen Medtechunternehmen dürften von der Normalisierung des Patientenaufkommens nach der Pandemie und der zusätzlichen Nachfrage aus aufgeschobenen Behandlungen profitieren.
Trotz der sehr positiven Brancheneinschätzung erwarten wir ein weiteres Jahr, in dem die Aktienauswahl entscheidend sein wird. Daher gehen wir davon aus, dass qualitativ hochwertige Unternehmen mit einem Geschäftsmodell, das nachweislich kommerziellen Erfolg hat, profitabel oder nahe der Gewinnschwelle ist, bevorzugt werden und sich besser entwickeln dürften.
Big Pharma befindet sich in einer starken Position
In der Vergangenheit schnitten Pharmaunternehmen in Zeiten steigender und hoher Zinsen sowie in der ersten Hälfte von Rezessionen besser ab. Da das Risiko weiterer Zinserhöhungen durch die Zentralbanken und/oder einer globalen Konjunkturabschwächung weiterhin besteht, könnte sich die Beliebtheit des Sektors bei den Anlegern als etwas dauerhafter erweisen. Wir gehen davon aus, dass aufgrund der hohen kurzfristigen Cashflows, hohen Margen, angemessenen Bewertungen sowie der starken Preissetzungsmacht Pharmaunternehmen attraktiv bleiben werden. Angesichts der gesunden Bilanzen und der moderateren Bewertungen von Small- und Mid-Cap-Biopharmaunternehmen erwarten wir für 2023 eine verstärkte M&A-Aktivität. Auch dürfte sich der Trend zu Veräusserungen fortsetzen wie zuletzt bei J&J oder Novartis.
Im Mittelpunkt des Interesses stehen Mega-Blockbuster-Medikamente bei weit verbreiteten Krankheiten, die transformative Behandlungen bieten und über ein grosses Marktpotenzial verfügen. Neben den Fortschritten bei klinischen Studien und Zulassungen im Bereich Alzheimer rechnen wir auch mit starken Umsätzen im Bereich Fettleibigkeit im Jahr 2023.
Zudem beobachten wir zwei weitere Trends: Erstens sehen wir 2023 als das Jahr, in dem Biosimilars mit der bevorstehenden Einführung von Humira-Biosimilars neuen Schwung erhalten sollten. Dies stellt für die Pharmaindustrie sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung dar. Zweitens ist 2023 ein Jahr, in dem neue Wirkmechanismen (MOA) nicht mehr nur bei sehr seltenen Krankheiten, sondern auch bei grösseren Krankheiten (Gentherapien für Hämophilie/DMD, Zelltherapie bei Diabetes, RNAi bei Bluthochdruck und Alzheimer, mRNA-Impfstoffe bei Krebs) eine transformierende Wirkung haben werden.
Asia Healthcare – Risiko für Delistings in den USA gebannt
Abnehmende geopolitische Spannungen zwischen den USA und China könnten die Risikoprämien insbesondere für chinesische Unternehmen mit einem grösseren internationalen Engagement senken. Das erste Anzeichen, das wir im Dezember erkannten, war vielversprechend: Das Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) gab bekannt, dass es zum ersten Mal in der Geschichte in der Lage war, vollständigen Zugang zu Inspektionen und Untersuchungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit Sitz auf dem chinesischen Festland und in Hongkong zu erhalten. Damit ist das Risiko eines sofortigen US-Delistings für chinesische ADRs, einschliesslich Biotechunternehmen, weitgehend gebannt.
Das chinesische Trilemma – Null-COVID-19-Politik, Wirtschaftswachstum und soziale Stabilität – führte schliesslich zu einer viel schnelleren Wiederbelebung der Wirtschaft als erwartet. Die Durchimpfungsrate der älteren Bevölkerung und die Auslastung der Intensivstationen müssen in den ersten Monaten des Jahres 2023 sehr genau beobachtet werden, um zu beurteilen, ob das Gesundheitssystem die COVID-19-Welle bewältigen kann. Im Zuge der Pandemie wird die wachsende Akzeptanz digitaler Lösungen den Wachstumspfad der digitalen Gesundheitsunternehmen in China beschleunigen.
Von Dr. Cyrill Zimmermann, Head Healthcare Funds & Mandates und Mitglied der Geschäftsleitung, Bellevue Asset Management AG
Biografie: Dr. Cyrill Zimmermann
Dr. Cyrill Zimmermann ist Head of Healthcare Funds & Mandates und Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management. Er gründete Adamant Biomedical Investments im Jahr 2001 und leitete die Investmentboutique bis zu ihrer Übernahme durch Bellevue im Jahr 2014. Cyrill Zimmermann hält einen Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften der Universität Zürich.