2023 hat der Gesundheitssektor insgesamt eine enttäuschende Performance gezeigt. Dies lässt sich teilweise darauf zurückführen, dass die Wachstumsraten einiger Unternehmen nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder auf ein normales Niveau zurückgekehrt sind. Namhafte Unternehmen im Diagnostikbereich, wie beispielsweise Roche und Thermo Fisher, spürten diese Veränderungen deutlich. Zusätzlich stellten signifikant angestiegene Zinssätze eine wesentliche Herausforderung dar. Besonders betroffen waren hiervon Wachstumsunternehmen, deren zukünftige Cashflow-Prognosen nun mit höheren Abzinsungsraten konfrontiert sind. Dies hatte insbesondere Auswirkungen auf den Biotechsektor und Unternehmen, die digitale Geräte und Dienstleistungen im Gesundheitswesen entwickeln. Des Weiteren verzeichneten Unternehmen, die noch keine Gewinne erzielen, einen Anstieg der Risikoprämien.
Innovationskraft ungebrochen
Doch die Innovationskraft der Branche ist ungebrochen. Diese Einschätzung wird von den jüngsten Zulassungen in der Krebsmedizin, der Gentherapie oder bei der Behandlung von Alzheimer und Stoffwechselerkrankungen eindrucksvoll untermauert. So wurde etwa in Großbritannien das weltweit erste Medikament zugelassen, das auf Genomeditierung durch die sogenannte «Genschere» basiert. Fehlerhafte Fragmente im Erbgut werden bei diesem Verfahren herausgeschnitten und durch neue DNA-Bausteine ersetzt, die durch zelleigene Reparatursysteme in den DNA-Strang integriert werden. Bei zwei seltenen, erblich bedingten Bluterkrankungen könnte das Präparat mit dem Namen Casgevy die Transplantation von Stammzellen ersetzen. Entwickelt wurde es von den Firmen Crispr Therapeutics und Vertex Pharmaceuticals.
Diese Erfolgsmeldung blieb aber unter dem Radar der meisten Anleger. Zu den wenigen Themen, die von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, zählten neue Medikamente gegen Diabetes und Fettleibigkeit. Hier wurden beeindruckende Studiendaten vorgelegt. Die in diesem Bereich führenden Pharmafirmen Eli Lilly und Novo Nordisk haben davon stark profitiert. Denn das Potenzial für die Behandlung von Diabetes und Fettleibigkeit ist enorm. Weltweit sind rund 40% der Bevölkerung übergewichtig. Und in den USA entfallen ganze 21% der Gesundheitskosten auf die Behandlung von Fettleibigkeit. Aus diesem Grund hat Bellevue Asset Management im November den Bellevue Obesity Solutions Fonds aufgelegt, der entlang der gesamten Wertschöpfungskette in die attraktivsten Firmen investiert.
Die positiven Nachrichten zur Behandlung von Fettleibigkeit hatten aber auch eine Kehrseite. An den Märkten herrschte Verunsicherung, welche Auswirkungen für das Geschäft von Medizintechnikfirmen zu erwarten sind. Die Annahme: die hohen Umsätze mit Geräten zur Überwachung von Diabetes oder mit Hüftimplantaten infolge von Übergewicht könnten durch die neuen Medikamente gefährdet werden. Wir gehen davon aus, dass die Wachstumsperspektiven weiterhin intakt sind. Diabetes ist häufig altersbedingt und nicht nur eine Konsequenz von Fettleibigkeit. Im Falle von fettleibigen Diabetikern, die abnehmen, ist eine Optimierung der Insulindosierung ebenso unerlässlich.
Mit Blick auf den Medtechsektor haben sich erste Unternehmen bereits positiv zu 2024 geäußert, was unsere These der weiteren Erholung der Operationsvolumen im Jahr 2024 stützt. Die Zulassung und Markteinführung relevanter neuer Produkte werden für ein anhaltend hohes Umsatzwachstum sorgen. Beispiele sind TriClip, AVEIR und Libre von Abbott, Farapulse PFA von Boston Scientific und die nächste Generation des Da-Vinci-Operationsroboters von Intuitive Surgical. Die neu erlangte Preissetzungsmacht im niedrigen einstelligen Prozentbereich hält an und die negativen Auswirkungen der Lieferkettenprobleme laufen aus, was zusätzliches Margenverbesserungspotenzial verspricht.
Impulsgeber künstliche Intelligenz
Eine besondere Rolle kommt der künstlichen Intelligenz (KI) zu. Besonders das Gesundheitswesen profitiert in hohem Maße von dem technologischen Quantensprung, der durch die Veröffentlichung von ChatGPT ausgelöst wurde. KI könnte zum zentralen Bestandteil der digitalen Medizin werden. Wir sehen enormes Potenzial in der Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen und damit verbunden eine Verbesserung der Diagnostik, Behandlungsqualität und Verwaltungseffizienz. Zudem ermöglicht die schnellere Entwicklung und gezieltere Anwendung von Medikamenten neuartige Behandlungsmethoden.
So ist der weltgrößte Biotechnologiekonzern Amgen davon überzeugt, in der Medikamentenentwicklung dank dem Einsatz von KI rund 20% der Kosten sparen zu können. Vor allem in der klinischen Phase II lassen sich bestimmte Muster bei den Patientenstudien herausfiltern. Dadurch können die Studiendesigns adaptiert werden, was nebst der Prozessbeschleunigung das Risiko von klinischen Fehlschlägen senkt.
Fazit
Die Innovationskraft im Gesundheitssektor ist ungebrochen. Das zeigen die jüngsten kommerziellen Durchbrüche in der Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes, die Zulassungen von Arzneien gegen Alzheimer und Krebs sowie die Markteinführung von minimalinvasiven Herzklappen. Gleichzeitig ist der gesamte Gesundheitssektor in den Industrieländern sowie im asiatischen Raum historisch niedrig bewertet. Dies dürfte auch die M&A-Aktivitäten wieder ins Rollen bringen, im Speziellen im Biotechsektor, in welchem Pharmaunternehmen weiterhin auf externe Innovationen setzen, um ihre Produktportfolios zu stärken und sich mit weiteren Produktzukäufen gegen drohende Patentabläufe zu rüsten.
Rückenwind dürfte der Healthcare-Sektor von US-Leitzinssenkungen, Repositionierungen der Investoren sowie dem guten Umfeld für nichtzyklische Sektoren infolge getrübter Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft erhalten. So dürfte der nächste Aufschwung nur eine Frage der Zeit sein. Dabei verfügen die besonders abgestraften Mid und Small Caps über das größte Aufholpotenzial.
Von Cyrill Zimmermann, Mitglied der Geschäftsleitung von Bellevue Asset Management und Head Healthcare Funds & Mandate