Die sofortige Erfüllung von Wünschen ist der stärkste Instinkt im 21. Jahrhundert. Dies ist zum Teil Folge des rasanten technologischen Fortschritts, der mit sich gebracht hat, dass sich so vieles im Handumdrehen, per Mausklick oder per Tap auf dem Smartphone erledigen lässt. Wir sind es gewohnt, innerhalb von Sekunden Ergebnisse zu sehen. Die Schauspielerin Carrie Fisher beklagte einmal, dass „die sofortige Erfüllung von Wünschen zu lange dauert“.
Aber am Finanzmarkt ist die Erwartung an die sofortige Erfüllung aller Wünsche ungesund. Die Kurzfristigkeit kann zu Wirtschaftskrisen führen: so sind viele der Ansicht, dass die globale Finanzkrise durch die Jagd nach schnellen Gewinnen zu Lasten langfristiger Ziele verursacht wurde. Die Subprime-MBS-Krise, die in den Vereinigten Staaten immense Verwüstungen anrichtete, passt genau in dieses Muster. Aber nicht alle erliegen der Versuchung des kurzfristigen Denkens: sogar in der Eurozone gab es die eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Dabei denke ich an Deutschland, das ich zu Anfang des Monats besuchte. Natürlich hat auch die deutsche Wirtschaft ihre Probleme, aber sie hat die schwierige Zeit nach 2008 besser als andere Volkswirtschaften der Eurozone gemeistert. Während andere Länder der Eurozone mit stockendem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten, ging die deutsche Wirtschaft beharrlich ihren Weg.
Wenn ein Land dem Trend trotzt und eine Krise besser als andere Länder bewältigt, muss man - so finde ich - näher hinsehen und herausfinden, woran dies liegt. Was macht Deutschland richtig, was andere Länder der Eurozone falsch machen? Die Antwort ist, dass der Sektor, der das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet, genau so entschlossen langfristig denkt wie in früheren Generationen.
Dieser Sektor ist der Mittelstand – die 3,5 Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die das Wachstum tragen und 52 Prozent des Ausstosses generieren. Der Grund für den Erfolg dieser Unternehmen liegt auf der Hand: es ist die Kultur der Langfristigkeit, die ihr Denken beherrscht. Diese Unternehmen sind im Durchschnitt 70 Jahre alt, im Gegensatz zu den S&P 500-Unternehmen, deren Durchschnittsalter gerade einmal 15 Jahre beträgt. Dies sagt eine ganze Menge über ihr Durchhaltevermögen aus.
Die gleiche Stabilität wird in der Amtsdauer der Vorstände oder Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen sichtbar, die in Deutschland im Durchschnitt 20 Jahre beträgt, während die in Grossbritannien und den Vereinigten Staaten herrschende Hire- und Fire-Kultur sie dort auf 9,9 Jahre verkürzt hat. Bei manchen deutschen Mittelständlern ist die Geschäftsführung noch viel länger im Amt: Glasbau Hahn, Hersteller von Vitrinen für Museen, hatte in den 180 Jahren seines Bestehens erst 5 Geschäftsführer. Im Mittelstand herrschen besondere Bedingungen, die diese Langfristigkeit fördern. Häufig sind diese Unternehmen familiengeführt und eng in die lokale Gemeinschaft eingebunden.
Diese konservative Kultur ist für Investoren, die auf das schnelle Geld aus sind, uninteressant, ist aber Garant für langfristiges Wachstum. Der so genannte „dynastische Wille“ dieser Unternehmen ist das Motiv der Geschäftsführer, ein florierendes Unternehmen an die nächste Generation zu übergeben. Langfristige Investoren werden die Früchte ernten. Geschäftsführer, die lange im Sattel sitzen, können es sich leisten, die mit vierteljährlichen Gewinnausweisen verbundene Hektik wegzulächeln.
Diese mittelständischen Unternehmen sind auch in punkto Finanzierung ziemlich konservativ. Seitdem eine Bank ganz am Anfang seiner Karriere eine Entschädigung für die verspätete Tilgung eines Kredits von ihm verlangt hatte, weigerte sich Hans Riegel, der verstorbene Chef von Haribo, jemals wieder einen Kredit zur Finanzierung des Wachstums seines Unternehmens aufzunehmen: er liess sogar Warren Buffett abblitzen. Solche Unternehmen generieren zwar auf kurze Sicht keine astronomischen Zuwächse, aber - wie wir vor nicht allzu langer Zeit gesehen haben - überstehen sie schwere Zeiten, denen andere zum Opfer fallen, und sind am Ende der Krise noch immer da. Und am Ende der nächsten Krise genauso und so weiter............und so fort.
Während die Deutschen ihre Kultur der Langfristigkeit pflegen, hat sich das Gros der Investment-Community immer stärker der kurzfristigen Perspektive verschrieben. Hatte in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie noch sieben Jahre betragen, war sie bis 2007 auf gerade einmal sieben Monate gesunken. Wie das enden kann, das haben wir gesehen, aber viele Investoren scheinen aus der Krise des Jahres 2008 nichts gelernt zu haben.
Überspitzt gesagt, hat dieser Fokus auf Kurzfristigkeit den Hochfrequenzhandel aus der Taufe gehoben und den Flash Crash verursacht, bei dem binnen einer halben Stunde an den US-Börsen ein Vermögen von 1 Billion USD vernichtet wurde. Auch wenn die Kurzfristigkeit weniger extreme Formen annimmt, ist sie zu einer Geissel geworden. Je schneller Investoren kaufen und verkaufen, desto mehr fixieren sie sich auf vierteljährliche Gewinnausweise, so dass das die Manager von Unternehmen geradezu panische Angst haben, die Erwartungen des Marktes zu enttäuschen. Eine Umfrage bei britischen CEOs kam zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent von ihnen lieber Ausgaben in Bereichen wie Forschung und Entwicklung kürzen, als eine Prognose zu verfehlen.
Die Angst vor aktivistischen Aktionären bringt Unternehmen dazu, Aktien zurückzukaufen anstatt in langfristige zukunftsorientierte Projekte zu investieren. Forscher der Universität Stanford behaupten, dass dieser Trend die US-Wirtschaft rund 0,3 Prozent Wachstum jährlich kostet. Wir können es uns nicht leisten, Wachstum zu vernichten. Ein berühmtes Zitat von Warren Buffett lautet: „Heute sitzt jemand im Schatten, weil ein anderer vor langer Zeit einen Baum gepflanzt hat.“ Stabiles Wachstum und die Generierung von Wohlstand erfordern einen langfristigen Ansatz.
Martin Gilbert, CEO, Aberdeen Asset Management