Asiatische Märkte stehen nicht mehr in der Gunst der Anleger. Die zögerliche Haltung der US-Notenbank, die eine Zinserhöhung immer wieder verschoben hat, und die nachlassende Dynamik der chinesischen Wirtschaft haben für Unsicherheit gesorgt und einen Schatten über die Region geworfen, der sich nicht so leicht vertreiben lässt.
Das ist bedauerlich. Denn die Anleger könnten eines der weltweit momentan vielversprechendsten Anlageziele außer Acht lassen: Indien. Doch bevor man nun den Reformstau kritisiert oder vorbringt, dass die politischen Flitterwochen von Premierminister Narendra Modi vorbei sind: Es spielen noch viele andere Aspekte eine Rolle, die große Auswirkungen für Anleiheinvestoren haben. Dabei geht es keineswegs um Narendra Modi. Es geht um den Gouverneur der Reserve Bank of India Raghuram Rajan, dem ersten Chef der indischen Notenbank, der seine Geldpolitik explizit auf die Inflation ausrichtet.
Rajan hat zur Stärkung der Glaubwürdigkeit der indischen Zentralbank beigetragen. Eine Inflation von etwa 4,4% mag im globalen Vergleich zwar hoch erscheinen. Es handelt sich jedoch um ein Land, in dem zweistellige Teuerungsraten verzeichnet wurden, wenn eine schwache Monsunsaison zu Nahrungsmittelknappheit führte.
Der Inflationsrückgang ist zum Teil auf die niedrigeren Ölpreise zurückzuführen, da Indien ein wichtiger Importeur ist. Doch die Rollevon Rajan sollte nicht unterschätzt werden. Er ist momentan wahrscheinlich der beste Zentralbanker der Welt.
Als Chefökonom des Internationalen Währungsfonds warnte er die Zentralbanken fast drei Jahre vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 vor den steigenden Risiken im globalen Finanzsystem. Unser leitender Fondsmanager traf ihn in diesem Jahr (2015) und berichtete, dass Rajan sogar noch beeindruckender ist, wenn man ihn persönlich erlebt.
Rajan, der Inflationsbezwinger, strebt eine Konsumentenpreisinflation von 4% (plus oder minus 2 Prozentpunkte) an. Er genießt die volle Unterstützung von Modi, zumal dieses Ziel im Einklang mit dem Wunsch des Premierministers steht, die Reallöhne der Ärmsten in Indien zu erhöhen.
Unser Vertrauen in die Fähigkeit der indischenZentralbank, ihr Inflationsziel zu erreichen, wird durch die strukturellen Reformen gestützt, die trotz der Verzögerungen und Rückschläge, von denen Sie möglicherweise in den Zeitungen gelesen haben, von Modi durchgeboxt werden.
Das beste Beispiel ist, wie die Nahrungsmittelinflation trotz schwacher Monsunregenfälle in zwei aufeinanderfolgenden Jahren unter Kontrolle gebracht werden konnte. Der Regierung Modi ist es gelungen, Getreide in notleidende Gebiete zu liefern und die Hortung von Beständen zu verhindern. Hierin zeigt sich ein hohes Maß an Kompetenz.
Warum ist das für Anleger wichtig, die in festverzinslichen Wertpapieren investieren?Sofern es Rajan gelingt, die Inflation auf diesem Niveau zu halten, müssen sich Anleger die Frage stellen, warum zehnjährige Staatsanleihen in Lokalwährung eine Rendite von über 7,5% bieten. Wenn die Inflationserwartungen in Zukunft bei etwa 4% liegen, spricht dies dafür, dass der „risikofreie“ zehnjährige Zins eigentlich deutlich niedriger sein müsste.
Die Antwort könnte sein, dass das Land eine hohe „Risikoprämie“ zahlen muss, um die vergleichsweise hohen Bonitätsrisiken auszugleichen. Selbstverständlich galt Indien früher als riskant, da es der Regierung und der Zentralbank an Glaubwürdigkeit mangelte und frühere Reformbemühungen nicht weit genug gingen.
Selbst heute weisen indische Staatsanleihen in Lokalwährung ein niedrigeres Rating von Standard & Poor’s und Moody’s auf als chinesische Papiere, während zehnjährige Staatsanleihen aus China nur mit knapp über 3% rentieren und damit eine weniger als halb so hohe Rendite bieten wie indische Anleihen.
Doch es hat sich vieles in Indien geändert im Vergleich zu 2013, als das Land in der Zeit des sogenannten „Taper Tantrum“ unter Kapitalflucht litt. Damals hatte der frühere Vorsitzende der US-Notenbank Ben Bernanke mit seiner Ankündigung eines möglichen Endes der geldpolitischen Anreize für Panik gesorgt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Indien als eines der schwächeren Schwellenländer angesehen, das durch chronische Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite belastet wurde.
Heute werden dem Land die besten Aussichten unter den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China) eingeräumt. Denn den Daten zufolge könnte es ein höheres Wachstum als China verzeichnen, die Staatsfinanzen befinden sich in einem besseren Zustand und die Rupie hat sich als eine der stabileren Schwellenländerwährungen angesichts des wieder erstarkten Dollar erwiesen. Aus diesen Gründen sind wir der Ansicht, dass das Länderrisiko Indiens massiv überschätzt wird. Auf Rupie lautende Staatsanleihen sollten nicht eine so hohe Rendite aufweisen. Die Risikoprämie für Indien ist zu hoch und müsste eigentlich sinken.
Sofern wir richtig liegen, sich die Inflation also längere Zeit auf einem niedrigen Niveau hält und sich auch andere Reformen positiv auf die Wirtschaft auswirken, könnte es zu einer Abflachung der indischen Zinsstrukturkurve kommen. Die Anleihekurse würden mit den sinkenden Renditen steigen. Niedrigere Kreditkosten dürften das Wachstum der Unternehmen stützen, was zu steigenden Gewinnen und letztlich höheren Aktienkursen führt. Der Konjunkturaufschwung und steigende Preise von Vermögenswerten dürften ausländische Portfolioinvestitionen anlocken, und höhere Kapitalzuflüsse dürften die Rupie stärken. Die Entwicklungen im Jahr 2016 lassen sich kaum mit Sicherheit voraussagen. Dies ist jedoch eine der bevorzugten Anlagethemen unserer sowohl für regionale als auch globale Portfolios zuständigen Rentenfondsmanager. Deshalb sind wir recht zuversichtlich, dass es sich hierbei um eine besondere Anlagemöglichkeit handelt.
Donald Amstad,
Business Development Director Fixed Income
Aberdeen Asset Management